Kinderwurst

Ja, es gibt sie, die kleinen Begebenheiten, die einen froh stimmen und für eine Weile den großen Ärger vergessen lassen. Ich beginne mit der Erinnerung an eine Zeit, als wir noch Jungen waren. Wir mussten die Einkäufe erledigen, mindestens einmal täglich beim Lebensmittelhändler, etwa zwei mal die Woche beim Metzger. Unsere Mutter schrieb auf, was zu kaufen war, die Verkäuferin schrieb an, und samstags kaufte Mutter selbst ein und bezahlte. Wir empfanden unsere Einkaufspflicht nicht als schlimm, aber doch als etwas lästig, vor allem, wenn wir lieber auf dem nahen Schulplatz gebolzt hätten. Andererseits bekamen wir beim Metzger immer eine Scheibe Schinkenwurst auf die Faust, und beim Lebensmittelhändler durften wir in das große Glas mit Himbeer-Bonbons greifen.

Vor einigen Tagen nun im Supermarkt, an der Fleischtheke. Die Verkäuferin fragte ein kleines Mädchen zu meiner Linken, ob es eine Scheibe Wurst wolle. Das Mädchen strahlte und nickte überdeutlich. Während die Kleine die Scheibe Schinkenwurst von der hingehaltenen Gabel streifte, sah ich nach rechts, wo die Mama des Kindes stand. Geht das überhaupt noch, dachte ich, heute, wo sich alles um gesunde Ernährung dreht? Müssen da die Kinder nicht ausgewogen (= fleischlos) ernährt werden? Aber die Mama strahlte auch, freute sich, als sie zusah, wie die Kleine die Wurstscheibe andächtig zusammenfaltete und ins Mündchen steckte. Ich konnte nicht anders, ich musste mitstrahlen. Wir lächelten gemeinsam, es war, als wären wir für einige Momente miteinander vertraut geworden.