Was habe ich eigentlich gegen Smartphones?

Wenn meine persönliche Meinung eklatant von der Mehrheitsmeinung abweicht, dann fühle ich mich irgendwie verpflichtet, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, worauf meine Meinungsbildung beruht und ob die von mir angelegten Kriterien eine krasse Außenseitermeinung rechtfertigen können. Beim Smartphone handelt es sich um einen solchen Fall. Ich mag das Teil nicht, es stößt mich ab. Aber was steckt dahinter, ist es nur subjektive Ablehnung?

An und für sich können die Dinger ja eine ganze Menge, und das zum Teil ausgezeichnet. Und dennoch kann mich die menschliche Leistung an der Entwicklung dieser Geräte nicht beeindrucken, denn das meiste (und komplizierteste) erledigen Computer. Nein, die Erfindung des Rades oder die Berechnung eines Mikroskops oder die Entwicklung des Webstuhls, das waren menschliche Leistungen ganz anderen Kalibers, wobei die Produkte, die mit Computerunterstützung entstehen, um Himmels willen nicht abgewertet werden sollen. Aber bewundern muss man sie ja nicht gerade.

Wie gesagt, mit den Smartphones kann ich beim gesten Willen nicht warm werden. Das hat nichts mit einer grundsätzlichen Ablehnung von IT-Technik zu tun. Im Gegenteil: Ich liebe meine PCs, programmiere begeistert (meistens C++) und finde insbesondere die Digitaltechnik mit ihren klaren, logischen Strukturen äußerst interessant. Also, was habe ich gegen Smartphones?

Ist es die miserable Ergonomie, die mich abstößt? Keine Frage, die meisten Smartphones sind eine ergonomische Zumutung: viel zu breit, viel zu flach, viel zu glatt an den Rändern. Aber damit kann man sich noch arrangieren, man kann ja die Handhabung üben. Bloß muss man das Teil dazu benutzen, und damit hapert es bei mir. Dennoch: eine Macke, nicht mehr.

Oder ist es der Touchscreen, mit dem ich mich nicht anfreunden kann? Zugegeben, dieses Herumfummeln auf einer Hochglanzscheibe, diese matschige, analoge Eingabetechnik bei einem Digitalgerät, das ist zweifellos etwas für weiche Fummelgemüter, wozu ich nicht gehöre. Wie schon gesagt, ich liebe die klaren, eindeutigen Verhältnisse der Digitaltechnik, die mit einem Touchscreen einfach nicht realisierbar sind. Unangenehm, aber nicht schlimm. Eine weitere Macke.

Oder ist es das total unlogische Betriebssystem Android? Ist es die von Google intensiv betriebene Hinwendung zu semantischen Bedienungsstrukturen, damit auch Leute angelockt werden, die – sagen wir mal – lieber drauflostippen oder probieren anstatt zu denken? Na gut, noch ‚ne Macke. Man kann ja das Denken ausschalten. Und irgendwann kann man’s mangels Übung nicht mehr einschalten.

Oder ist es der viel zu kleine Bildschirm, in den man zwar einiges hineinpressen kann, der aber einen wichtigen Aspekt nicht ermöglicht, nämlich Übersicht? Ist es die Tatsache, dass man auf einem Smartphone quasi immer durch enge Kanäle geschleust wird und auf Dauer den typischen, verengten Blickwinkel bekommt? Na ja, auch das kann mal noch als Macke durchgehen lassen, wenn auch so gerade.

Mal ehrlich, welches Produkt hat eigentlich keine Macken? Sicher, das Smartphone hat unangenehm viele davon, aber letztlich ist man auf das Teil ja nicht angewiesen. Solange es noch bessere Alternativen gibt, kann man von Fall zu Fall ja darauf zurückgreifen. Ach, wie liebe ich meine „richtige“ Kamera, auch wenn sie zehn mal so schwer ist wie ein Smartphone und in keine Jackentasche passt. Schlimm wird es allerdings, wenn irgendwann solche Alternativen fehlen sollten. Das darf nie geschehen, und ich möchte nie gezwungen sein, das Smartphone zu benutzen.

Also, die Macken des smarten Gerätes reichen nicht aus, um meine Ablehnung stichhaltig zu erklären. Es gibt da noch etwas anderes, etwas Schwerwiegenderes. Da sind zum Beispiel einige Beobachtungen: Ich bummle durch die Stadt und stelle fest, dass ein großer Teil der Jugendlichen ein Smartphone in der Hand vor sich herträgt.  Ihr Blick verrät eine gewisse Abwesenheit; sie scheinen nur halb in der Welt zu sein. Oder auf dem Rand des Springbrunnens sitzt eine Gruppe von Jugendlichen, offensichtlich befreundet. Nur – sie reden kaum miteinander, sondern fummeln auf ihren Smartphones herum. Es gibt noch viele weitere Beobachtungen, die ähnlich gelagert sind. Da stimmt doch etwas nicht. Vor unseren Augen geschieht etwas, was wir gar nicht zulassen sollten. Da wuchert eine parallele Kommunikationswelt, die mehr und mehr die echte Kommunikation und damit das Gemeinschaftsleben abwürgt. Die negativen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander sind bereits überdeutlich zu spüren. Es fehlt nur noch der Mut, die Verbindungen zwischen den Wertverlusterscheinungen bzw. Verrohungstendenzen und der wachsenden Mobil-Digitalisierung herzustellen (abgesehen von einigen Veröffentlichungen, deren Autoren bemerkenswerterweise direkt aus der Digitalszene kommen).

Einige Leute argumentieren, dass das Smartphone ein tolles Werkzeug ist, wenn es gilt, die Abläufe in der Welt zu optimieren. Richtig, das Smartphone hat das Zeug, ein solches Werkzeug zu sein, aber die Entwicklung hat es in eine ganz andere Rolle gedrängt. Die meisten Menschen, die mit dem Ding in der Hand durch die Welt irren, benutzen es nicht wirklich, sondern werden benutzt. Sie werden von dem Ding quasi Gassi geführt. Genauer genommen, von den Profiteuren in der IT-Wirtschaft. Der Mensch mit dem Phone in der Hand ist nur selten eine souverän entscheidende und handelnde Person, sondern ein von Daten gelenktes Zahnrad in einem großen Getriebe, in welchem der Einzelne seine Funktion gar nicht mehr einordnen kann. Das ist beängstigend, keine harmlose Macke mehr.

Ein anderer Aspekt: das App-System. Die Welt versinkt inzwischen in einem Dschungel der verschiedensten Apps. Wo in der Gesellschaft wir uns auch bewegen, überall fliegen uns Apps um die Ohren. MIt Apps kann man sich informieren, kann man bezahlen (egal was), kann man Menschen mobben und loben, kann man die Welt mit Nichtigkeiten zumüllen usw. usw. Dabei ist eine „App“ (Wortschöpfung von „Apple“ für „Application“) zunächst mal nichts anderes als ein Programm. Und doch gibt es einen Riesenunterschied zum herkömmlichen Computerprogramm. Ein Computerprogramm installiert der Benutzer selber, und dieser ist zuständig für das einwandfreie Funktionieren. Apps dagegem werden nicht vom Benutzer installiert, sondern grundsätzlich von einem Server bei Google oder Apple ferninstalliert. Der Benutzer bestellt sie nur, und er hat auch keinen Einfluss auf die Funktion oder eventuelle sinnvolle (oder sinnlose) Updates. Alles erfolgt automatisch.

Vordergründig bietet das App-System einige Vorteile, die auch zur Begründung publiziert werden: Die Apps sind einfach zu installieren, und Apple oder Google können problemlos Updates vornehmen, Bugs beseitigen usw., und das alles, ohne dass der Benutzer es merkt oder verhindern kann. Der Benutzer dankt es, indem er sich völlig kritiklos dem App-System anvertraut. Aber das App-System hat noch eine andere Seite, die zwar allgemein bekannt ist, der man aber aus Bequemlichkeitsgründen keine Beachtung schenkt. Über die Apps sind die Smartphones ständig mit dem zentralen Server verbunden. Nichts, was auf dem Smartphone erledigt wird, bleibt in dem Gerät, sondern alles wird als Datenstream zu Apple oder Google oder Facebook hinübergeschaufelt. Viele Funktionen, die scheinbar auf dem Smartphone aktiv sind, laufen in Wirklichkeit auf dem Zentralserver ab. Man denke nur an die Sprachauswertung oder Gesichtserkennung. Im Grunde ist es so, dass die Besitzer eines Smartphones ihr Gerät nicht wirklich besitzen, weil sie nur das damit machen können, was Big Brother im Hintergrund ihnen aktuell zugesteht. Schlimm, keine vernachlässigbare Macke mehr. Und natürlich Kalkül der IT-Firmen.

Und damit zum vielleicht wichtigsten Kritikpunkt, zum Datenmissbrauch. Niemand wird bestreiten, dass die Vernetzung der Welt, auf der die technischen Fortschritte aufbauen, einen enormen Datenaustausch voraussetzt. Solange es um technisch-sachliche Daten handelt, ist das ja auch in Ordnung. Nur wenn es um persönliche oder personalisierbare Daten handelt, liegt eine ganz andere Situation vor. Persönliche digitale Daten und ihre Analyse bedeuten Wissen. Wissen über Menschen, ihr Verhalten, ihren Charakter, ihren Standort, ihre sozialen Beziehungen, ihre Schwächen usw. usw. Bis zu einem gewissen Grade und vor allem für einen begrenzten, betroffenen Personenkreis ist solches Wissen unerlässlich. Man muss ja miteinander umgehen können. Doch durch die digitale Vernetzung werden alle erlaubten und mit den Grundrechten noch zu vereinbaren Grenzen überschritten, so dass hier eine strikte Beschränkung unerlässlich ist – sofern wir nicht bereit sind, die in Jahrhunderten Stück für Stück erworbenen und etablierten Menschenrechte aufzugeben. Erst durch das Smartphone ist die Datensammelei zu dem derzeitigen, skandalösen Ausmaß angewachsen. Keine Macke dieses Gerätes, sondern Fehlentwicklung mit gewaltigem Zerstörungspotenzial.

Als Beispiel weise ich auf die scheinbar harmlose, personalisierte Werbung hin. Nur scheinbar harmlos deshalb, weil die Benutzer sie kaum wahrnehmen und wenn doch, dann oft als angenehm empfinden. In Wirklichkeit ist das tückische Manipulation und Untergrabung der Informationsfreiheit. Ich hoffe, dass ich das hier nicht erläutern muss, denn es ist offensichtlich. Personalisierte Werbung, basierend auf einer Datenflut, die größtenteils von Smartphones geliefert wird, trägt in erheblichem Maße zur Zersetzung der demokratischen Gesellschaft bei. Das Widerlichste dabei: Mit solchen mafiösen Geschäftsmodellen verdienen Konzerne wie Facebook jährlich Milliarden, mehr als andere, seriöse Konzerne.

Schließlich noch ein Aspekt, der irgenwo zwischen Macke und schlimmer Folgeerscheinung angesiedelt ist. Die Smartphones haben sich äußerst negativ auf die Gestaltung von Internetseiten ausgewirkt. Schuld ist eindeutig Google, jener Verein, der neben Facebook wie keine anderer von der explosiven Verbreitung der mobilen Geräte profitiert. Und Google hat hinreichend Macht, um gewünschte Tendenzen so durchzusetzen, dass sie allgemein anerkannt werden – quasi wie Vorschriften. „Mobile first“, heißt so eine Devise, die nichts anderes besagt, als dass alle Internetinhalte auf alllen Endgeräten mit gleicher Qualität dargestellt werden. Und da das schwächste Gerät wegen des winzigen Bildschirms und dem Fehlen eine Cursors nun mal das Smartphone ist, haben sich die anderen anzupassen. Nivellierung auf niedrigstem Niveau, mit Mitteln des Responsive Designs. Folge: Noch nie in der Geschichte des Internets war die Masse der Internetseiten so schwach, so ideenlos, so nach Schema F programmiert wie in den letzten Jahren. Bleibt nicht aus, wenn ein Zwerg wie das Smartphone den Takt vorgibt und Augenhöhe verlangt.

Nun ja, und wenn solche Zwerge gleich in gigantischen Massen auftreten …