Falscher Ansatz

Die „Digitalisierung“ hat zur Folge, dass eine inzwischen unüberschaubar große Zahl von Geräten auf den Markt geworfen wurde. Ich meine an dieser Stelle nicht die unmittelbar betroffenen Geräte wie Smartphones, Router usw., sondern Geräte, die für ganz andere Aufgaben bestimmt sind und dazu digitale Techniken verwenden oder in irgendeiner Form vernetzt, also „smart“ sind. Beispiel Waschmaschine oder SmartWatch. Eine Waschmaschine ist dazu da, um Bettlaken und Unterhosen wieder sauber zu kriegen, und eine Uhr ist dazu da, um die Zeit anzuzeigen. Was bewegt die Leute, immer neue „smarte“  Geräte zu erfinden oder bestehende Geräte „smart“ zu machen?

Wenn es um die Entwicklung neuer Technik geht, dann gibt es grundsätzlich zwei Ansätze, die Sache in Angriff zu nehmen bzw. zu planen. Dazwischen gibt es noch etliche Zwischentöne, aber um die Ansätze deutlich zu machen, beschränke ich mich auf die Extrempositionen. Immer, wenn es um etwas Neues geht, sollte die Kernfrage sein: „Wozu das eigentlich?“ Auch wenn es nur um technische Dinge geht – Technik hat immer (!) nur eine Hilfsfunktion, eine Werkzeugfunktion -, dann muss diese Frage gestellt werden, wenn die Menschen die Herrschaft über Technik behalten wollen.

Der eine Ansatz besteht also darin, erst mal zu fragen: Was vermissen wir, was wollten wir immer schon haben? Und wenn dann die vernetzte Digitaltechnik eine Lösung anbietet, dann schließt sich gleich eine zweite Frage an: Ist das, was mit digitalen Mitteln möglich wird, so wichtig, so gewinnbingend, dass die Vorteile gegenüber den negativen Auswirkungen und Gefahren, die untrennbar mit der „Digitalisierung“ verbunden sind, hinreichend deutlich überwiegen?

Bei einer solchen Fragestellung kann die „Digitalisierung“ sehr viel Positives bewirken. Sowohl die Hersteller von Produkten als auch die Konsumenten profitieren von der neuen Technik. Doch leider verführt das große Gestaltungspotential rund um Digitalisierung und Vernetzung zu der entgegengesetzten Fragestellung: Was kann man damit alles anstellen, und wie kann ich die Produkte als sinnvoll und nützlich darstellen? Diesem Ansatz kommt entgegen, dass die Entwicklungs- und Erprobungszeiten für neue, digitale Produkte oft vergleichbar gering sind. Die Fülle von Angeboten und die immer kürzer werdenden Produktionszyklen sind sehr vielsagend. Eines steht dabei an letzter Stelle, nämlich der wirkliche Bedarf der potentiellen Kunden, denn die Motivation liegt einseitig bei den Herstellern und ihrem Gewinnstreben. Doch wo kein natürlicher Bedarf vorhanden ist, muss ein künstlicher Bedarf erzeugt oder einfach vorgegaukelt werden. Das SmartHome mit seinen vielen Varianten ist kennzeichnend dafür.

Nun darf man diese Sichtweisen nicht nur auf digitale Produkte beschränken. Die Produktvielfalt ist inzwischen unüberschaubar. Supermärkte müssen in immer geringeren Abständen neue, größere Verkaufshallen bauen, weil sie sonst das Warenangebot nicht komplett präsentieren können. Und der Kunde steht vor dem Regal mit gefühlt drei Dutzend verschieden aromatisierter Sorten desselben Tees und hat Probleme, die von ihm bevorzugte Sorte zu finden, nämlich diejenige ohne kitschige Geschmacksverschiebung. Das nur als Beispiel.

Jedenfalls ergibt sich ein derartiges Sortiment aus der zweiten Fragestellung (siehe oben). Aber im Supermarkt ist das Überangebot eher lästig als tragisch, denn wer keine Schokolade mit Himbeergeschmack mag, lässt sie im Regal liegen. Und eine versehentlich in den Einkaufswagen gelegte Tafel der falschen Sorte kann man schließlich noch wegwerfen. Die „richtige“ Ware ist immer noch zu finden, und verhungern muss niemand wegen der Geschmacksverirrung von Schokolade- oder Teeproduzenten.

Ganz anders der digitale Sektor. Was hier so smart daherkommt und den Leuten als Sicherheitsgewinn, Superkomfort oder Erleichterung aufgedrängt wird, ist mit gefährlichen Nebenwirkungen verbunden, auf die ich nicht erneut eingehen muss. Nebenwirkungen, die allzu leicht übersehen werden, weil sie in einer smarten Verpackung angeboten werden.