Merkel: Da geht’s lang

Immer schön, wenn man sich auf die Urteilskraft prominenter Politikerinnen und Politiker verlassen kann. Zum einen weiß man dann Bescheid; zum anderen hat man das beruhigende Gefühl, dass das Land auf dem richtigen Wege ist. Frau Merkel ist in dieser Hinsicht eine besondere Größe: kaum ein Ereignis, bei dem sie nicht um
Einordnung gebeten wird. Spionage der Amis im deutschen Handy-Netz? „Unter Freunden geht das gar nicht.“ Hass im Internet? „Hass ist Gift in unserer Gesellschaft.“ Im Mittelmeer ertrinkende Flüchtlinge? „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen.“ Krieg hier und dort? „Wir müssen uns um eine Friedenslösung bemühen.“ Usw. Lauter Meinungsäußerungen, auf die ein Normalbürger gar nicht gekommen wäre, abgesehen von jenen Bürgern, die sich selbst im Digitalzeitalter noch eine Portion gesunden Menschenverstand bewahrt haben.

Damit bin ich beim Thema: Merkel, ihre Meinung und das Digitalzeitalter. Als promovierte Naturwissenschaftlerin hat sie auf diesem Feld zweifellos eine besondere Meinungskompetenz. Uns so krame ich wieder ein Youtube-Video hervor, dass ich 2017 heruntergeladen habe und das eine Ansprache Merkels auf einem Happening in Saarbrücken 2016 wiedergibt. Dabei ging es um die Digitalisierung von Schulen, aber auch um Digitalisierung allgemein. Das Video dauerte nur wenige Minuten, aber das, was Frau Merkel da äußerte, hat es in sich.

Es begann mit einigen Äußerungen zur Gesundheitskarte, wobei sie jene Menschen auf die Schippe nahm, die eine gewissen Zurückhaltung gegenüber der Gesundheitskarte darauf zurückführten, dass vor allem ältere Menschen sich keine PIN merken könnten. Merkel betonte, dass dahinter etwas ganz anderes stecke, nämlich die Befürchtung, das Rennen von Arzt zu Arzt könnte mit der Karte aufgedeckt werden.

„Ditigalisierung schafft nämlich auch ziemlich gnadenlose Transparenz.“

Diesen Satz kann ich nur sarkastisch kommentieren: Richtig, Frau Merkel, es geht wirklich nicht, dass die Bürger die freie Wahl des Arztes dahingehend missbrauchen, dass sie mehrere Ärzte konsultieren. Das muss unterbunden werden, und der beste Weg ist tatsächlich die digitale Kontrolle. Transparenz muss her, wir müssen sehen, was die Bürger machen, und Fehlleistungen entlarven, gnadenlos. Der transparente (gläserne) Bürger wird sich schon systemgerecht verhalten und das Gesundheitssystem nicht aus egoistischen Gründen überlasten. Nicht wahr?

Ok, weiter in der Ansprache. Merkel ging nun auf die Erfassung von Bürgerdaten ein:

Wir haben nun die fast paradoxe Situation, dass wir ein Kerndatensystem für Flüchtlinge haben, wo man (…) ein gemeinsames Datensystem hat, dieses aber nur für Flüchtlinge existiert und nicht für Bürgerinnen und Büger, die schon viele Jahre hier leben. Und (…) wir müssen eine kleine Bewegung schaffen, dass der Bürger, der schon viele Jahre hier lebt, sagt: „Das will ich auch haben. … Teil eines Kerndatensystems zu sein.“

Nee, Frau Merkel, genau das will ich nicht. Und das dürfen alle Bürger nicht wollen, wenn Deutschland ein Land sein soll, in dem man „gut und gerne lebt“. Sie wollen diese Datei vielleicht, weil Sie dadurch ein erhöhtes Überwachungspotenzial schaffen, aber ich will nicht datenmäßig erfasst und ausgequetscht werden. Ich will einfach nur frei sein, und das heißt, dass ich eben nicht in einer Zentraldatei für jeden denkbaren Zugriff in Sekundenschnelle erreichbar bin. Ich will bestimmt ein guter Bürger sein, aber ich will andererseits nicht, das ich für jeden kleinen Fehler zur Rechenschaft gezogen werden kann. Freiheit beinhaltet auch Irrtümer und die Möglichkeit, diese ohne staatliche Kontrolle ausbügeln zu können.

Dann ging’s um den Datenschutz. Den folgenden Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen (ich habe ihn in verschiedenen Beiträgen bereits zitiert). Sie meint damit Maßnahmen zum Datenslchutz:

„… bei denen wir jetzt aufpassen müssen, dass wir es nicht wieder so restriktiv machen, dass das Big Data Management dann doch nicht möglich wird.“

Mit anderen Worten: Damit wir zum Big Data Management gelangen, dürfen wir uns um Himmels Willen nicht zuviel Datenschutz erlauben. Ich weiß nicht, was Frau Merkel unter Big Data versteht, aber man darf wohl davon ausgehen, dass sie sehr wohl weiß, was damit gemeint ist. Big Data – die totale, vollständige Erfassung von allem, was sich in Form von Daten beschreiben lässt. Das sind Menschen, ihr Verhalten und ihre Meinungen; das sind Dinge und ihre Zugehörigkeit zu Menschen; das sind Zustände und Veränderungen usw. (endlose Liste). Vor allem ist mit Big Data die sogenannte Konvergenz der Datennetze gemeint, wobei es darum geht, sachbezogene und personenbezogene Daten miteinander zu verschmelzen – Nivellierung von Menschen auf Maschinenebene. Klartext: Big Data ist die absolute Algorithmisierung des menschlichen Miteinanders und somit das Ende dessen, was wir unter einer humanen Gesellschaft verstehen. Big Data ist das Goldene Kalb, worum sich jene Menschen versammeln, die aus Menschlichkeit (mit allen damit verbundenen Schwächen) keinen Sinn mehr beziehen können – oder wollen.

„Denn das Prinzip der Datensparsamkeit, wie wir es vor vielen Jahren hatten, kann heute nicht die generelle Leitschnur sein für die Entwicklung neuer Produkte.“

Hier meint Frau Merkel offensichtlich nur sachbezogene Daten. Ok, bei dieser Begrenzung, wenn sie denn äußerst strikt erfolgt, gibt es bei der Datenerhebung nichts zu bemängeln – außer dass mit dem Grad der Vernetzung auch die Störanfälligkeit wächst. Störungen, die sich übers Netz blitzschnell und umfassend verbreiten können. Doch wie gesagt: Auf keinen Fall dürfen persönliche, geschützte Daten daruntergemischt werden. Ob unsere Bundeskanzlerin diese Unterscheidung wohl im Fokus hatte? Egal, der letzte Satz, den ich hier zitiere, bezieht sich wieder auf persönliche Daten. Kann es sein, dass Frau Merkel da überhaupt nicht differenziert? Das heißt, sie hat hiel nur einen Begriff ins Spiel gebracht:

Datensouveränität

Ich weiß nicht, woher sie diesen Begriff hat; er wurde zeitnah auch von Sigmar Gabriel geäußert. Dahinter steckt der Versuch, den Begriff „Datenschutz“ aus der Welt zu schaffen. Mit Datensouveränität ist gemeint, dass jeder Bürger selber entscheiden solle, welche Daten er in welchem Umgang preisgibt. (Nach Möglichkeit natürlich viele, denn – siehe Big Data) Wie gesagt, Datensouveränität ist Quatsch, denn die gibt es überhaupt nicht. Das ist nicht mehr als ein fiktives Konstrukt, an das man sich klammert, um den Datenschutz abschütteln zu können. Einen souveränen Umgang mit Daten könnte es nur dann geben, wenn die Betroffenen voll und nachprüfbar über ihre Daten verfügen könnten, was nicht mal ansatzweise möglich ist. Kein Mensch kann wirklich verfolgen, wohin seine persönlichen Daten fließen. Kein Mensch kann nachprüfbar auf irgendeinem Server (inklusive der redundanten Speicherungen) die Daten vollständig löschen. Unter diesen Bedingungen von Souveränität zu reden, ist entweder total naiv oder – arglistig.

Pardon, Frau Merkel, auch wenn die Mehrzahl der Deutschen an Ihren Lippen hängt und Ihre Wegweisungen folgsam beachtet: das, was Sie in Saarbrücken von sich gegeben haben, ist ganz einfach unerträglich.