Solidarität ist ein wesentlicher gesellschaftlicher Faktor, und wie der Name andeutet, trägt er erheblich zur Festigkeit und Stabilität einer Gesellschaft bei. Solidarität ist in ihrem Kern ein Stück Hilfsbereitschaft und das Sichverlassenkönnen auf die Hilfe Anderer, wobei diese „Anderen“ häufig anonym bleiben und Mitglieder einer mehr oder weniger großen, oft diffusen Solidargemeinschaft sind. Solidarität wird häufig beschworen, um Kräfte zu bündeln, doch das kann u.U. auch in die falsche Richtung gehen.
Eine zweifellos positive Folge von Solidarität ist, dass die Gemeinschaft das Missgeschick von einzelnen Personen auffangen kann. So ein Missgeschick kann in vielerlei Formen auftreten und verschiedene Ursachen haben, wobei das Verursacherprinzip im Schadensfall nur eine untergeordnete Rolle spielt (spielen darf!). Ein ganz wesentliches Merkmal des Solidaritätsprinzips ist nämlich die damit verbundene Nivellierung. Diese ist mitunter nur schwer erträglich, vor allem, wenn man sich von einem starken Gerechtigkeitsdenken leiten lasst. Solidarität verträgt sich nicht mit dem differenzierenden Vorgehen, das im Streben nach totaler Gerechtigkeit begründet ist. Krass formuliert: Eine Solidargemeinschaft muss auch schon mal ein schwarzes Schaf ertragen. Das schließt natürlich nicht aus, dass die Ursachen von Missgeschicken und Fehlern in vertretbarem Maße eingegrenzt werden, aber dass darf nur im Vorfeld geschehen, bevor ein Missgeschick eintritt, und muss stets dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit folgen.
Es sollte klar sein, dass jeder Versuch, nach dem Verursacherprinzip zu differenzieren, zu einer Zersetzung der Solidargemeinschaft beiträgt. Da dieser Prozess schleichend ist und sich hervorragend populistisch auswerten lässt, kann es dadurch zu einer verhängnisvollen Bedrohung von Solidargemeinschaften kommen. Man kann diese gefährlichen Ansätze sehr gut verfolgen, wenn man sich die institutionalisierten Formen der Solidargemeinschaften, nämlich die Versicherungen, betrachtet. Immer wieder gibt es Versuche, Menschen, die sich nicht durchweg gesellschafts-, gesundheits- und sicherheitkonform verhalten, besonders zur Kasse zu bitten. Die Argumente dazu sind nicht nur wohlfeil, sondern in der Regel auch von kommerziellen Interessen der Versicherungsgesellschaften getragen. Das führte in der Vergangenheit dazu, dass deutliche Einschränkungen des Solidarprinzips bereits Realität sind. Beispiele aufzuführen, ist überflüssig, man muss nur an die Haftungsbedingungen im Verkehrswesen denken.
Ein bizarrer Versuch, das Solidaritätsprinzip aufzulösen, wurde vor einiger Zeit (Frühsommer 2014) bekannt. Es wurde bei einigen Autoversicherungen tatsächlich in Erwägung gezogen, das Verkehrsverhalten der Autofahrer durch ständige Protokollierung des Fahreraktiviäten mittels Bordcomputer zu überwachen und daraus die Höhe des Versicherungsbeitrages abzuleiten. Ok, dieser Gedankengang ist so absurd, dass sich nur kranke Hirne so etwas ausdenken können. Aber das Beispiel zeigt, wie gefährdet das Solidaritätsprinzp ist, wenn man das gegenläufige Prinzip einer (falsch verstandenen) Gerechtigkeit zu hoch bewertet oder als polulistisches Argument anführt.
Die größte Gefahr, die dem Solidaritätsprinzip droht, geht von der gesammelten Datenflut aus. Erst die Daten, die Aufschluss über das Verhalten des Einzelnen geben, ermöglichen Differenzierung und somit die Entsolidarisierung. Das ist eine besonders brisante Form des Datenmissbrauchs, weil an einem Grundpfeiler der Gesellschaft gerüttelt wird.