Über Werbung und Datenauswertung

Werbung ist aus unserer marktorientierten Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, denn sie bewirkt einiges, was den Markt überhaupt am Leben erhält. Dadurch erhält Werbung einen gewissen Wert, und dass man z.B. bei bemalbaren, weithin sichtbaren Flächen von „wertvollen“ Werbeflächen spricht, liegt in der Natur der Sache. Einige Firmen schöpfen sogar ihren Firmenwert aus Werbung, wie z.B. Facebook. Im Gegensatz zu Werbeagenturen, die immer schöpferisch und damit auch produktiv arbeiten, sind werbeorientierte Internetkonzerne lediglich wohlfeile Speicher- und Präsentationsportale für Werbeinhalte, im Grunde also Blasen, die jederzeit platzen können.

Einerseits ist Werbung sehr wichtig für einen funktionierenden Markt, andererseits richtet sie aber auch enormen Schaden an. Einige Beispiele:

  • Werbung verbraucht gewaltige Ressourcen in Form von Papier und anderen Werbeträgern, belastet also die Umwelt.
  • Belastend für die Umwelt ist ferner der große Energieverbrauch durch „Lichtreklame“ in den bekannten Formen.
  • Es werden Kunstwerke zerstört, indem z.B. bei Fernsehübertragungen Filme durch Werbepausen auseinandergerissen oder Werbebanner in laufende Filme eingeblendet werden.
  • Werbung kann, wenn sie telefonisch erfolgt, den Charakter von Nötigung erhalten.
  • Werbung wirkt sich negativ auf das Stadtbild aus, wenn z.B. Architektur in Form von Werbeflächen regelrecht verschandelt wird.
  • Unabhängig davon wird Werbung meistens als lästig und störend empfunden und reduziert demnach die Lebensqualität.

Werbung ist also vielschichtig und hat eine Reihe verschiedener Aspekte, von denen hier nur zwei herausgegriffen werden sollen, weil sie im weitesten Sinne „datenrelevant“ sind:

  • Werbung ist manipulativ. Sie appelliert an Wünsche, Instinkte, Triebe von Menschen, um von daher das Konsumverhalten zu beeinflussen. Der Mensch handelt weniger aus eigenen, rationalen Motiven heraus, sondern lässt sich in ein bestimmtes Verhalten hineinlocken. Das Locken funktioniert umso besser, je weniger die Reize bewusst werden, je weniger rationale Sperren also aufgebaut werden können. Werbung befriedigt keine Bedürfnisse, sondern erzeugt welche.
  • Werbung ist immer auf den Vorteil des Werbenden fokussiert; das Wohlergehen des Konsumenten ist grundsätzlich sekundär. Letzteres wird zwar suggeriert, und tatsächlich zieht der Konsument sehr häufig einige Vorteile aus der Werbung, aber man sollte sich stets bewusst sein, dass dieses nicht der eigentliche Beweggrund des Werbenden ist. Der zufriedende Kunde ist vor allem ein Kunde, der dem Geschäft gut tut.

Während der erste Aspekt hauptsächlich in der modernen, psychologiegesteuerten Werbeindustrie in Erscheinung tritt, ist der zweite seit jeher im kaufmännischen Denken verwurzelt. Jedoch steckte das Bewusstsein dahinter, dass ein guter Handel beiden Partnern Vorteile bringt. Dieses trotz aller Konkurrenz doch auf Einigung ausgerichtete Denken tritt immer mehr in den Hintergrund und hat im globalen, agressiven Markt mit seinen Tendenzen zur Monopolbildung und zum rücksichtslosen Abdrängen von Konkurrenten kaum noch einen Stellenwert.

Umso wichtiger ist es, die Mechanismen zu durchschauen und sich nicht von der Werbung treiben zu lassen. Es muss allgemein bewusst sein, dass in der vernetzten IT-Welt das Wissen um Neigungen, Stärken und Schwächen der Konsumenten inmmer mehr an Bedeutung gewinnt. Je besser die Adressaten bekannt sind, desto wirksamer lassen sie sich werbemäßig manipulieren. Dass dabei allgemeine, der Zeitströmung unterworfene Interessenlagen eine Rolle spielen, ist klar. Aber heute geht es um mehr, nämlich um individuelle Befindlichkeiten. Zielgerichtete Werbung ist das Motto der Werbeindustrie. Je kleiner der Adressatenkreis, desto wirksamer lässt sich Werbung gestalten. Im Idealfall besteht der Adressat aus einer einzelnen Person.

Um eine effektive, zielgenaue Werbung anzubringen, sind also die persönlichen Profile der Konsumenten von außerordentlichem Wert. Die Profile werden aus Daten herausgerechnet, Daten, die auf den ersten Blick kaum etwas hergeben, aber in ihrer Gesamtheit erstaunlich (bzw. bedrückend) genaue Aussagen über die Neigungen des Einzelnen ermöglichen. Je mehr Daten, desto besser; die Frage der Verarbeitbarkeit riesiger Datenmengen spielt keine Rolle mehr.

Nun kommt allerdings die Frage, mit der sich so viele Leute achtlos aus der „Datenverantwortung“ herausreden und die von den Datensammlern als wohlweiles Argument dient: „Ist das wirklich so schlimm, wenn man über mich Bescheid weiß und mir daraufhin passende Werbeangebote unterbreitet? Ich hab‘ schließlich etwas davon, und letzten Endes geht es ja nur um Werbung.“ – Geht es wirklich „nur“ um Werbung? Sollte sonst niemand scharf auf diese Daten sein? Doch unabhängig davon, ob mit den Daten nur Werbung gemacht wird oder sonstwas, ist die Augen-zu-Haltung („Es wird schon nichts Schlimmes passieren“) fatal, denn diese fehlende Sensibilität begünstigt den explosiven Datenmissbrauch erheblich.

Natürlich kann individuelle, auf den einzelnen Konsumenten zugeschnittene Werbung sauber sein, aber nur dann, wenn die Geschäftspartner schon miteinander in Kontakt getreten ist und der Umworbene ausdrücklich die Werbung wünscht. Wenn diese Wechselbeziehung fehlt, können die zur Individualisierung erforderlichen Daten nur „hintenrum“ besorgt werden, ohne Wissen und Einverständnis der Betroffenen. Das ist immer eine schmierige Angelegenheit und sollte eigentlich auch als kriminell eingestuft werden.

Noch ein paar Gedanken zum manipulativen Charakter von Werbung. Naürlich will Werbung beeinflussen, und das ist in Ordnung, wenn die oben genannten, negativen Begleiterscheinungen in Grenzen gehalten werden. Wenn Grenzen überschritten werden, z.B. bei allzu nerviger Telefonwerbung, muss halt der Gesetzgeber einschreiten. Doch grundsätzlich muss Werbung als Element der Marktwirtschaft akzeptiert werden. Und der Werbende hat zweifellos ein Recht, sich ein Bild über die Wünsche und Schwächen der realen oder potentiellen Kunden zu machen. Doch dieses Bild muss absolut anonym sein. Es dürfen keine Daten verwendet werden, die personifiert sind oder sich personifizieren lassen. Es ist nur die rein statistische Ebene erlaubt; Personendaten müssen restlos und unwiderbringlich abgekoppelt sein. Und es dürfen nur Marktforschungsmethoden erlaubt sein, die diese Anonymität zu 100 % gewährleisten.

Derartige allgemeine Werbemethoden haben zwar auch manipulativen Charakter, aber sie sind vor allem warenorientiert und allgemein genug, um schädliche Auswirkungen auf den Einzelnen durch gesellschaftliche Maßnahmen wie Aufklärung reduzieren zu können. Ganz anders die gezielte, auf bestimmte Personen gerichtete Werbung. Hier wird Verhalten aufgezeichnet und analysiert; hier werden Stärken und Schächen registriert und ausgenutzt; hier werden individuelle Bedürfnisse instrumentalisiert oder sogar erst geschaffen. Hier kann man nicht mehr von manipulativem Charakter sprechen, sondern das ist konkrete Manipulation in ziemlich krasser Form. Die dafür benötigten Daten sind die Grundlage für sogenannte „Anfälligkeitsprofile“, verbunden mit einem schamlosen und schmutzigen Eindringen in die menschliche Privatsphäre.

Allgemeine Werbung ist eine der Schattenseiten des Kapitalismus, aber gesellschaftlich tolerierbar und begrenzbar. Gezielte, individualisierte Werbung ist Manipulation pur und ein Verstoß gegen menschliche Grundrechte.