Stellen wir uns folgenden Menschen namens H. vor: Er ist Lehrer in Hessen, träumt von einer großen, deutschen Nation, hasst alles, was nicht ar… , pardon: deutsch ist. Und er will seine Visionen realisieren. Wie soll er vorgehen? Gar nicht so einfach in einer Demokratie, die sich in knapp 70 Jahren verfestigt hat.
Nun, als erstes muss er in eine Gegend ziehen, wo die Leute noch nicht so viel Erfahrung mit Demokratie haben, Thüringen zum Beispiel. Dann braucht er eine Partei, die für nationalistisches Gedankengut zumindest aufgeschlossen ist. Eine Partei, die sich noch formen lässt. Gibt es zum Glück, und somit ist der Wirkungskreis schon mal geschaffen. Ansonsten orientiert sich Herr H. an einem Vorbild, ebenfalls ein Herr H., der vor 90 Jahren zeigte, wie man es macht.
Als erstes kommt es darauf an, in der Partei die absolute Gefolgschaft sicherzustellen. Zweifler müssen überzeugt, Unverbesserliche herausgeschmissen werden. Ob man die bereinigte Partei irgendwann umbenennt, wie es der historische Herr H. gemacht hat, ist nicht unbedingt wichtig; Hauptsache ist doch, dass die nach nationaler Größe gierenden Bürger sich in der Partei wiederfinden können. „Alternativ“ oder sowas klingt schon mal ganz gut, der Begriff deutet zumindest auf etwas noch nicht Vorhandenes hin. Und was bisher nicht vorhanden war bzw. irgendwie abhanden gekommen war, ist klar: Deutschland über alles.
Dann, ganz wichtig, muss Stärke demonstriert werden: die Leute auf der Straße müssen zwischen Furcht und Bewunderung schwanken, diese Mischung mobilisiert. Am besten sich einreihen. Der alte Herr H. hat dazu braune Schlägertrupps auf die Beine gestellt; der neue Herr H. kann auf bestehende Formationen zurückgreifen. Sie marschieren wöchentlich vor allem in Dresden und sagen, wo’s lang geht: Raus mit allem Fremden, mit allen Nichtar…, pardon, Nichtdeutschen. Der Stil der Banner hat sich geändert, aber die Grundfarben schwarz-rot-weiß sind geblieben. Immer günstig, wenn man erst mal im Rahmen des geltenden Rechts operiert – die Maske kann man noch später abwerfen.
Die wichtigste Regel ist zweifellos, dass man ein griffiges Feindbild schafft. Man muss ja wissen, wohin mit seinem Hass und seiner Zerstörungswut. Und – ebenfalls ganz wichtig – die Feinde müssen nah genug sein, dass man ihnen ohne großen Aufwand in die Fresse schlagen kann. Damals waren Juden überall präsent, denn sie machten einen wesentlichen Teil der deutschen Kultur und des deutschen Gemeinwesens aus. Da macht es sich ganz gut, wenn man die antisemischen Thesen des historischen Herrn H. aufgreifen und modernisieren kann. Modernisieren, das heißt das Feindbild um moderne Eindringlinge wie Moslems oder Flüchtlinge erweitern.
Und so arbeitet sich der heutige Herr H. zielstrebig voran. Das Ziel, einen künftigen, völkischen Staat ohne lästige Demokratie aufzurichten, ist nicht ganz einfach. Aber zum Glück kann Herr H. (von heute) ja die gelungenen Strategien des Herrn H. (von damals) kopieren, wenn auch in modifizierter Form. Die Grundlehre: Wenn du die Demokratie beseitigen willst, dann gelingt das am besten, wenn du die demokratischen Freiheiten nutzt, um ihr den Hals umzudrehen. Nur einig muss die Fraktion sein, deshalb ist es ja auch so wichtig, eine solide Parteil auf die Beine zu stellen und auf das gemeinsame Ziel auszurichten. Erste Stufe der Gleichschaltung.
In der Tat, Einigkeit wirkt Wunder. Der alte Herr H. veranlasste seine Fraktion, geschlossen (ganz wichtig) den Reichstag zu verlassen, um das Parlament, das allerdings auch beschissen organisiert war, beschlussunfähig zu machen. Der heutige Herr H. muss da schon ein bisschen subtiler vorgehen, damit die Absichten nicht zu schnell erkannt werden. Da kann man zum Beispiel einen eigenen Kandidaten aufstellen und einstimmig (ganz wichtig) nicht wählen, sondern eine bedeutungslose Figur, hinter der eine bedeutungslose Partei steht. So geht das auch. Strategische Verarschung.
Und wenn man dann so einen Teilerfolg erzielt hat, dann ist erst mal Demut angesagt, das macht sich gut. Ein Händedruck mit devoter Verbeugung. Auch dabei kann der historische Herr H. als Vorbild dienen. Damals galt der Händedruck dem Reichspräsidenten, heute dem gewählten Ministerpräsidenten. Dem Ministerpräsidenten auf Zeit, natürlich. Und dann – Kopf wieder hoch und auf zum nächsten Schritt. Die Marschierer und Brüller in Dresden verlangen nach einem prominenten Redner.
Ich wollte noch einige Gedanken hinzufügen, aber soeben erfuhr ich in den Nachrichten, dass letzte Nacht in Hanau ein Deutscher aus wahrscheinlich nationalistisch-rassistischen Motiven elf Menschen mit Migrationshintergrund erschossen hat. Die Wirklichkeit überholt die Befürchtungen. Ihr Kommentar, Herr H.?