Kalte Perfektion

Vor einigen Wochen entschlossen wir uns, den guten, alten JVC-Analog-Fernseher durch einen modernen zu ersetzen. Er äußerte nämlich einige Mucken, vor allem ließ er sich manchmal nur mit Tricks überreden, aktiv zu werden. Der Neue ist ein Sony von etwa gleicher Göße (70 x 40 cm), wobei der allerdings fast die doppelte Bildschirmfläche aufweist, wegen des schmalen Rahmens. Und natürlich hat der neue mit fast 2000 Pixeln in der Breite eine beeindruckende Auflösung. Man kann sogar einzelne Haare der Moderatorin erkennen. Selbst die Farben sind perfekt, na ja, nahezu jedenfalls. Nur der Ton ist schlichtweg Scheiße, ein zu einem dröhnenden Geröhre verschmolzenes Akustikgemisch, aus dem sich auch mit Hilfe des (bei Sony-Geräten ohnehin kaum wirksamen Equalizers) kein verständliches Sprachsignal herausfiltern lässt. Aber da wir Kopfhörer verwenden, ist das zweitrangig.

Nun geschah vor einigen Tagen folgendes: ich wollte zwischendurch mal auf ARD umschalten, wo das Spiel Bayern gegen Werder übertragen wurde. Mich interessierte nur der Spielstand, denn 90 Minuten lang zusehen, wie Bayern München einen weiteren Club in die Knie zwingt, dass wollte ich mir nicht antun. Aber ich weiche ab. Also, ich drückte die 1 auf der Fernbedienung, und statt eines grünen Rasens wurde mir eine Meldung präsentiert: „Kein Signal. Überprüfen Sie die Antennenverbindung.“ Ich schaute nach draußen: Windstille, tiefgrau verhangener Himmel, zudem noch die Meldung im Ohr, dass zur Zeit ein Unwetter über NRW tobe. Da macht der Satellitenempfang nicht immer mit, also durchaus erklärlich, diese Meldung.

Der Empfang kam an dem Tag nicht zurück, auch nicht am nächsten, und so machte ich mich  an die systematische Fehlersuche. Beide Antennenanschlüsse waren ok, sie funktionierten mit diversen Geräten wie TV-Karten – nur mit dem neuen Sony nicht. Deprimiert packte ich den Fernseher in den Originalkarton und formulierte eine kleine Fehlerbeschreibung für die Reklamation. An dem Tag ging alles schief: Die Reparatur der Terassen-Schiebetür erwies sich als kompliziert und aufwändig, der schon Tage andauernde Telefonterror erreichte mit 7 Anrufen (jeweils andere Nummer) einen Höhepunkt. Nur eines klappte: der Anschluss des alten Analog-Fernsehers, den ich zusammen mit dem Receiver noch aufbewahrt hatte.

Als ich den Alten wieder einschaltete und erstmals das vertraute Bild vor Augen hatte, war ich überrascht. Sicher, aus der Nähe betrachtet war vieles verwaschen, aber aus 3 Metern Entfernung spielte das kaum noch ein Rolle. Stattdessen waren die Farben um Größenordnungen angenehmer als beim Sony. Nein, nicht perfekt, aber warm, gemütlich, wohnlich. Eine überaus freundliche Bildwiedergabe, die so richtig zur Gemütlichkeit unseres Wohnzimmers passt. Im Vergleich dazu wirkte der Sony kalt, perfekt und eiskalt, wie ein Fremdkörper.

Am Abend telefonierten wir mit unserer Tocher, wobei wir auch von dem Missgeschick mit den neuen TVer erzählten. „Gleich morgen wird das Teil reklamiert, ist ja noch Garantie drauf“, versicherte ich. Meine Tochter, die ebenfalls einen Sony besitzt,  meinte: „Bist du sicher? Die gleiche Fehleranzeige erhältst du, wenn du mal aus Versehen von digital auf analog umschaltest, mit der Taste direkt über der 1.“  Direkt über der 1? Ich wollte doch die ARD einschalten, sollte ich dabei aus Versehen? Aber eine derart oberflächliche, sogar irrefeführende Fehlermeldung? Hätte es dann nicht heißen müssen: „Kein Signal am Analogeingang.“?

Kurz: Der peinliche Gang in der Reklamationsabteilung blieb mir erspart; es war wirklich nur ein versehentliches Antippen einer falschen Taste. Also wird der Sony wieder angeschlossen, aber nicht heute und auch nicht morgen. Ein paar Tage lang genieße ich das unvollkommene, aber wundervoll angenehme Bild des Analog-Fernsehers. Ein paar Tage lang genieße ich die freundliche Unvollkommenheit, genieße es, Details nicht sehen zu müssen, die mich im Grunde überhaupt nicht interessieren.

Wenn ich an die Leute denken, die sich eine ganze Wand mit einem 4k- oder 8k-Fernseher tapazieren, dann frage ich mich, ob die überhaupt noch wissen, worauf es wirklich ankommt. Leben die eigentlich noch, oder sind das gelenkte Medienkonsumenten? Und was wird aus einer Gesellschaft, die hinter Blendinnovationen herhechelt und den Blick für das Wesentliche verliert? Nichts gegen Fortschritt, solange er wirklich etwas bringt und nicht nur den global operierenden Herstellern riesige Geldsummen in die Kasse spült, die wiederum verwendet werden, um … Na, wofür wohl? Mein Gott, wie kaputt ist das alles.