Vor etwa 4 Jahren habe ich mir nach langem Zögern ein Smartphone zugelegt, das ich gelegentlich auch verwende. Je länger ich das Ding habe, desto widerwilliger verwende ich es, doch das nur am Rande. In diesem Beitrag geht es um eine gesellschaftliche Kernfrage, nämlich um Informationsbeschaffung und die darauf beruhende Meinungsbildung. Dabei spielt das Fummelding mit dem glitschigen Namen „Smartphone“ allerdings eine dominante Rolle.
Als ich das Teil erstanden hatte und mich ein wenig darin umsah, stieß ich auf eine ganze Reihe vorinstallierter Apps. Ok, ich habe erst mal aufgeräumt und alles runtergeschmissen, was mir Android-Google runterzuschmeißen erlaubte. Da wurde mir zum ersten Mal klar, dass ich zwar das Smartphone gekauft hatte, dass aber Google der uneingeschränkte Herrscher in meinem smarten Phonehaus ist.
Bei einer App war ich mir nicht im klaren darüber, was ich machen sollte, nämlich beim Flipboard. War das nur eine Probeinstallation? Musste ich mich anmelden, um die App völlig nutzen zu können? Anmelden – nee das kam auf keinen Fall in Frage. Aber ich konnte auch ohne Anmeldung einen Eindruck gewinnen. Da wurden mir auf einer Art Messenger aktuelle Schlagzeilen angeboten, und wenn ich die anklickte (pardon: anfummelte), dann erhielt ich Zeitungsartikel vorgesetzt, zunächst nur als Schlagzeilen, ganz der digitalen Lesefähigkeit entsprechend. Die Auswahl schien seriös zu sein, es waren die verschiedensten Zeitungen vertreten, auch angesehene Blätter wie die „Zeit“ oder die „Süddeutsche“.
Also eine bequeme Versorgung mit den wichtigsten Nachrichten, so kam es mir anfänglich vor. Bei Nachrichtensendungen im Fernsehen ist es ja ähnlich. Und doch hatte ich beim Flipboard ein gewisses Unbehagen. Wer steckt dahinter? Wer wählt die Nachrichten aus? Sind die sogar auf meine persönlichen Interessen zugeschnitten? Und dann, regelrecht auffällig, die tendenziösen Informationen im Bereich der Digitalisierung. In diesen Belangen war die Nachrichtenauswahl ein einziges Loblied auf den digitalen „Fortschritt“.
Kurz: Das Unbehagen wuchs, und nach einigen Wochen habe ich alles weggewischt, was mit Flipboard zu tun hatte. MIr wurde klar, dass ich – und nur ich – zu entscheiden habe, was ich lese und was zu meinen Interessen passt bzw. gezielt nicht dazu passt, um den Horizont zu erweitern und evtl. die Interessenlage zu korrigieren. Und bei dieser Gelegenheit habe ich so einige Dinge erkannt.
In einer Demokratie brauchen wir Menschen mit klarem Meinungsbild, das aber andererseits nicht erstarren darf. Die Meinungsbildung wiederum benötigt Informationen und Meinungsäußerungen. Nur wenn jeder frei seine Meinung äußern kann, ist eine Demokratie überlebensfähig. Und natürlich muss jeder einen freien Zugang zu den Informationen haben. Diese Rechte sind elementar und werden im Grundgesetz garantiert. Aber es kommt noch etwas hinzu: Wir brauchen auch Meinungsvielfalt (Informationsvielfalt), sonst kommt es zu erstarrten, einseitigen Gesinnungen. Ja, eine Demokratrie braucht immer auch einige Quertreiber, mit denen sie sich auseinandersetzen muss.
Damit das Wechselspiel aus Informationsangeboten und Meinungsbildung funktioniert, muss sichergestellt sein, dass jeder einzelne Bürger entscheiden kann (und entscheiden muss) woher er die Informationen bezieht. Niemals dürfen den Bürgern irgendwelche Informationen aufs Auge gedrückt werden. Genau das aber geschieht, wenn man sich einem Nachrichten-Messenger anvertraut oder die Informationen sogar auf Facebook bezieht. Hier stimmt die Richtung nicht. Informationen zur Meinungsbildung müssen immer geholt werden, und erst recht nicht dürfen Informationen auf Grund persönlicher Profile von Algorithmen ausgewählt und zugestellt werden.
Natürlich drängt sich hier der Vergleich mit einer Tageszeitung auf. In der Regel werden solche Zeitungen ja auch automatisch zugestellt, und kaum jemand hat mehrere Blätter abonniert, um sich vielseitig zu informieren. Ja, es stimmt, die Fixierung auf eine einzige Tageszeitung ist in der Tat ein gewisses Handicap. Aber man kennt ja seine Zeitung, kennt die Kommentatoren, kennt die politische Gesinnung der Redakteure. Man identifiziert sich bewusst damit – oder aber man liest die Beiträge distanziert und kritisch. Wenn ich z.B. einen Kommentar zur politischen Lage lese, dann schaue ich mir zuerst an, wer ihn verfasst hat. Der Chefredakteuer persönlich? Der fällt doch nur wieder mal über die SPD her, das muss ich nicht haben, ich kann den Inhalt erahnen, auch ohne den Kommentar gelesen zu haben. Gleichzeitig ist mir immer bewusst, dass ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu zusätzlichen Zeitungen greife, die eine andere Grundposition einnehmen. Die Frankfurter Allgemeine gehört eher nicht dazu.
Klar, dass die Digitalisierung, so wie sie läuft, eine ganze Reihe von journalistischen Grundsätzen über Bord wirft, mit teilweise verheerenden Auswirkungen. Ich denke, ich muss das nicht alles zum wiederholten Male aufzählen. Doch wenn ich daran denke, dass es Mitbürger gibt, die allen Ernstes auf die Fehlinformationen in den sozialen Netzwerken hereinfallen oder sich aktiv an der Verbreitung von solchen schädlichen Informationen (Hetze, Fake-News usw.) beteiligen, dann wird mir übel. Dann frage ich mich, wo die eigentlichen Gefahren für die Demokratie zu suchen sind.