„Wir müssen uns gezielt GENTECHNISCH verändern, wenn wir weiter existieren wollen“
So die Überschrift eines Artikels in unserer Tageszeitung (IVZ), veröffentlicht mit „freundlicher Unterstützung von DIE WELT“. Es handelt sich dabei um ein Interview des Forschers und Buchautors Jamie Metzl, der beim Atlantic Council in Washington D.C. arbeitet. Die Thesen, die Metzl vertritt, sind ganz schön aufwühlend, und ich kann sie auch nicht widerspruchslos hinnehmen. Doch bevor ich dazu Stellung nehme, eine Auflistung der wichtigsten Thesen:
- Die künftigen Eltern besprechen mit dem Arzt die Ergebnisse des genetischen Screenings der Eizellen, Spermien und Embryos und entscheiden, welche aussortiert, welche genchirurgisch bearbeitet und welche eingepflanzt werden sollen.
- Die Reproduktion durch Sex wird in naher Zukunft als unnötiges Risiko gesehen. Bei künstlicher Befruchtung im Labor besteht die Chance, durch Selektion und gezielte genchirurgische Eingriffe schwere Krankheiten auszuschließen.
- Die Gesundheitsversorgung wird sich verändern, und zwar tiefgreifend. An die Stelle der derzeitigen generalisierten Medizin wird ein System der personalisierten Medizin treten.
- Die Bevölkerung ist zur Zeit noch nicht hinreichend auf die genetische Revolution vorbereitet. So gibt es in den USA die hinderliche Debatte um Abtreibungen, und in Europa „schnappt ein irrationaler Reflex bei der Debatte um gentechnisch veränderte Lebensmittel“.
- Bei der Anwendung der Gentechnologien muss sehr behutsam vorgegangen werden, insbesondere bei Umgang mit der Gen-Schere und den damit verbundenen Gefahren der Off-Target-Effekte, bei denen es zu unbeabsichtigten und potenziell gefähhrlichen Mutationen kommen kann.
- Die zukünftigen Menschen müssen als interstellare Spezies gesehen werden, und damit sie außerhalb unseres Planeten lebensfähig werden, ist eine gentechnische Veränderung unerlässlich.
Die wohl schwerwiegendste Aussage betrifft die Evolution des Menschen, in die die „gentechnische Revolution“ ja erheblich eingreift:
7. Über Milliarden Jahre hinweg hat sich das Leben auf der Erde durch zufällige Mutation und natürliche Selektion entwickelt. Aber jetzt übernehmen die Menschen zum ersten Mal die Kontrolle über die Hebel der Biologie und ihr eigenes Design.
Soweit die wichtigsten Thesen und Forderungen von Jamie Metzl. Was für viele Vertreter der modernen Wissenschaft inzwischen normales Denken ist, löst bei Menschen, die neben dem wissenschaftlichen Fortschritt noch andere Kriterien und Ziele im Blick haben, Befremden und Ablehnung aus. Ach bei mir. Die Beobachtung, dass viele Forscher sich nur noch an einem pragmatischen Fortschrittsgedanken orientieren, ist meines Erachtens bestürzend. Müssen wir wirklich so weit gehen, um das Überleben zu sichern? Und was ist das dann für ein Überleben – also Leben? Ist das noch Leben, wenn es nur um biologisches Funktionieren geht?
Tatsächlich schimmert hier die Arroganz moderner Wissenschaftler durch, die meinen, alles zu wissen und somit alles steuern zu können. Die Menschen sollen die Kontrolle über ihr eigenes Design übernehmen – welch eine Anmaßung! Wie in der modernen Digitalwelt, in der mittels künstlicher Intelligenz neue Wesen geschaffen werden sollen, ist auch der Traum von der Schaffung einer neuen Menschenrasse mit gentechnischen Mitteln Zeichen dieser Arroganz. Alles wissen – alles können. Selbst eine Entwicklung von Milliarden Jahren glauben viele Wissenschaftler einfach so umgestalten zu können, innerhalb weniger Jahre, nur weil das Wissen explodiert.
Doch selbst ein extrem aufgeschlossener Wissenschaftler wie Jamie Metzl treibt nicht nur an, sondern mahnt gleichzeitig zur Besonnenheit. Er ahnt durchaus die Gefahren, die in der Gentechnik stecken. Keine Frage, es kann zu ungewollten Mutationen kommen, die erst dann erkannt werden, wenn die Vererbung schon so weit fortgeschritten ist, dass es kaum noch einen Weg zurück gibt. Insofern sind die Bedenken kein „irrationaler Reflex“, wie Metzl es bezeichnet, sondern Ausdruck berechtigter Sorgen.
Dennoch sind derartige Gefahren eher technischer Natur und berühren nicht die ethische Kernfrage, die dahinter steht. Wer Menschen nach seinen Wünschen und Vorstellungen (designen) gestalten darf – wohlgemerkt nicht durch Erziehung, sondern bereits bei der künstlichen Zeugung -, der erhält gleichzeitig das Recht, sein Produkt, wenn es misslingt, zu zerstören. Herrschaft über Leben und Tod, das gehört in diesem Fall zusammen. Die Selektion unerwünschter Produkte wird dann nicht nur im embryonalen Zustand durch Abtreibung vorgenommen werden. Wenn die gentechnische Gestaltung des Menschen Normalität werden sollte, dann wird bald ein einklagbares Recht auf gelungene Produkte gefordert werden, mit dem gleichzeitigen Recht auf Schadensersatz im Falle des Misslingens und der Einklagbarkeit der Unkosten für die Entsorgung.
Doch selbst wenn wir die ethische Frage beiseite schieben und die Thematik ganz pragmatisch anfassen, dann ergeben sich kuriose Widersprüche. Die moderne Wissenschaft hat längst die Leistungsfähigkeit evolutionärer Vorgänge und Strukturen erkannt und kopiert sie, zum Beispiel in Form der „künstlichen Intelligenz“. Auch hier geht es um zufällige Einflüsse und die Optimierung von Vorgängen und Ergebnissen auf Grund von sehr vielen auswertbaren Ereignissen. Metzl will genau das Gegenteil, nämlich die unmittelbaren, gezielten Eingriffe, und das in Bereichen, die im Grunde für die Menschen noch völlig undurchschaubar sind – und wahrscheinlich immer nur zu einem gewissen Grade durchschaubar werden können. Wir haben gute Gründe, an dem Erfolg zu zweifeln.
Aber vielleicht gibt es in zwanzig Millionen Jahren ja eine andere Primatenart, die über das Aussterben der menschlichen Rasse nachdenkt (wie wir über das Sterben der Dinos) und in den Knochenfunden einen irreversiblen, vererblichen Gendefekt feststellt. Das dieser Defekt von den Menschen in ihrem Fortschrittswahn künstlich erzeugt wurde, bleibt womöglich ein Geheimnis. Vielleicht gibt es bei den Nachmenschen dann einige Forscher, die sowas vermuten und sich wissenschaftlich an den Spuren der Menschheit austoben.