Wenn man so anschaut, was da im Internet, vor allem in den digitalen Medien, so abgeht, dann kann man sich eigentlich nur schütteln. Da wird mit Hassbotschaften nur so um sich gespritzt; da mobben sich Kinder bis zur Ausweglosigkeit und Verzweiflung; da ist das Zerstören (Hacken) zu einem Sport geworden (olympisch?); da werden Meinungen nach Belieben in gewünschte Richtungen gesteuert; da tauchen die Menschen ab in eine digitale Parallelwelt und vergessen, dass sie im Grunde nach wie vor analog kacken müssen (wie lästig und rückständig); da werden Wahrheiten nicht mehr von Tatsachen, sondern von Wünschen und Zielen definiert. Usw, usw.
Und dennoch klebt die Menschheit am Netz, vor allem die jüngere Menschheit. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen pochen auf ihr Recht auf freie Benutzung des Netzes und denken kaum noch daran, dass die ältere Generation es war, die das Netz geschaffen hat. Aber wenn Stimmen laut werden, Regeln im Netz einzuführen, dann wird lauthals protestiert und die Freiheit des Internets heraufbeschworen. Wiederum: hauptsächlich von der jungen Generation.
Doch was ist das eigentlich, diese heißbegehrte und mit größtem Einsatz geforderte „Freiheit des Internets“? Etwa das Recht, alles sagen und machen zu dürfen, was das Netz hergibt? Das kann es nicht sein, denn daraus ergeben sich ja die oben aufgezählten Missstände. Vielleicht sollten wir erst mal fragen, was Freiheit überhaupt ist. Nach meiner Beobachtung ist das vielen Leuten gar nicht soo klar.
Freiheit – dahinter steckt zunächst mal ein Freiraum, in welchem man so agieren kann, wie man es möchte oder wozu man sich verpfichtet fühlt. Der freie „Raum“ ist dabei nicht wörtlich zu nehmen, es kann sich um ein irgendwie geartetes Betätigungsfeld handeln. Klar, im Kittchen hat man nicht den Freiraum, lange Spaziergänge an frischer Luft zu machen, und sagen kann man ebenfalls nicht überall das, was einem auf der Zunge brennt. Freiräume sind nötig, aber logischerweise auch begrenzt. Eine starke Einschränkung der Freiräume erfolgt durch Kontrolle und Überwachung. Wer sich beobachtet fühlt, kann nicht mehr wirklich frei agieren, ein Grund, warum der Schutz der Privatsphäre so extrem wichtig für eine freiheitlich orientierte Gesellschaft ist. Interessanterweise ist es das von den digitalen Freiheitskämpfern so heiß verteidigte Internet, das die privaten Freiräume bedroht, zum Beispiel über das SmartHome.
Doch Freiraum ist nicht alles, was Freiheit ausmacht, vielleicht nicht mal das Wichtigste. Soziologen, Theologen usw., praktisch alle, die sich für ein moralisches Verhalten einsetzen, bringen im Zusammenhang mit Freiheit die Verantwortung ins Spiel, quasi als Komponente einer besonders wertvollen Form von Freiheit. Ich möchte noch weiter gehen und die Verantwortung nicht nur als ethische Überhöhung sehen, sondern als unabdingbarer Bestandteil von Freiheit. Es gibt m.E. keine Freiheit ohne Verantwortung. Dort, wo man konsequenzfrei agieren kann, herrscht vielleicht sowas wie Anarchie, aber keine echte Freiheit. Es gibt eine bezeichnende Standardformulierung, die man auf alles Mögliche beziehen kann: „Er (sie, es) wurde in die Freiheit entlassen.“ Man könnte genau so gut sagen: „Er (sie, es) wurde in die Eigenverantwortlichkeit entlassen.“
Jetzt müsste deutlich werden, warum es im Internet, so wie es sich zur Zeit darstellt, überhaupt keine Freiheit gibt. Das Internet ist auf Anonymität getrimmt, und wenn persönliche Daten verarbeitet werden, dann geschieht das im Hintergrund, meistens unbemerkt und heimlich. Wer sich zu Wort meldet, tut es in der Regel über einen willkürlich zusammengebastelten Nutzernamen, und wer irgendeinen Inhalt „teilt“, also weiter verbreitet (verfielfacht), tut es ohne zu wissen, wo der Kram schließlich landet. Mit verantwortlichem, medialen Verhalten hat das nichts zu tun.
Aber auch der Freiraum, auf den sich viele Freiheitskämpfer gerne beschränken, ist im Internet bedroht, und zwar auf zweifache Weise. Zum einen durch den Benutzer: Wer etwas zwanghaft tut, handelt nicht frei. Wer ständig auf der digtialen Plattform herumklickt und unruhig wird, wenn er die digitalen Pseudokontakte für längere Zeit unterbrechen muss, der ist abhängig und nicht frei. Zum anderen gibt es die Bedrohung durch die Digitalkonzerne und die Firmen bzw. Institutionen, an welche die Daten weiterverkauft werden. Diese Dunkelgestalten im Hintergrund steuern die Informationen und Angebote, und zwar so, dass sie selbst größtmöglichen Profit erzielen und die Adressaten sich in einer medialen Komfortzone wähnen. In Wirklichkeit sind sie lustvoll herumzappelnde Marionetten, alles andere als frei.
Was soll das also, dieses Verlangen nach Freiheit im Internet? Vielleicht meinen die Verfechter dieser eingebildeten Freiheit ja so etwas wie einen Raum, in dem es regel- und verantwortungsfrei, also anarchisch zugehen kann. Ein Raum, in dem man nach Herzenslust herumtoben kann, sicherlich auch einige nützliche Dinge erledigen kann. Das ist zwar keine Freiheit und hat auch nichts mit dem zu tun, was Journalisten unter Meinungsfreiheit verstehen, befriedigt aber womöglich ein Grundbedürfnis von Menschen. Vielleicht sollten wir nicht so kleinlich sein und uns an dem Missbrauch des Freiheitsbegriffs nicht stören. Und ich persönlich kann mich nicht darüber beschweren, dass man mir mediale Dreckklumpen an den Kopf wirft. Denn ich meide konsequent alle digitalen Rummelplätze. Die Freiheit habe ich nämlich, und einen solchen „Verzicht“ kann ich gut verantworten.