Erste kritische Stimmen

Seit rund zwei Jahrzehnten gibt es bei der Vernetzung der Welt nur eine Richtung: immer mehr, immer schneller. Man spricht nicht von „Vernetzung“, sondern von „Digitalisierung“ und ist überzeugt, dass damit alle Probleme der Welt gelöst werden können. Vor allem das derzeitig aktuelle Klimaproblem. Wenn es um die Nennung ganz konkreter Vorteile durch die Vernetzung geht, ist man nicht mehr ganz so schnell bei der Hand (womit auch?), und wenn man die Argumente mal etwas sortiert, dann stellt man fest, dass es zu einem ganz erheblichen Teil darum geht, auf dem digitalen Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Man muss einfach mitmachen, weil man im globalen Wettbewerb in der Spitzengruppe sein möchte.

Dass die Vernetzung auch mit Nachteilen verbunden ist, wird als Nebenwirkung betrachtet, die behoben werden kann, wenn man nur dran arbeitet. Die fortschreitende Vernetzung darf ja nicht gefährdet werden, und im übrigen hat man ohnehin keine Wahl, denn die totale Vernetzung wird kommen. Ja, sie wird einfach kommen, und die Gesellschaft muss sich anpassen. So denkt man.

Doch inzwischen hat sich die anfängliche Euphorie ein wenig gelegt, denn die Nachteile der Vernetzung werden immer deutlicher; sie sind nicht mehr einfach vom Tisch zu wischen. Und es sind keine marginalen Nebenwirkungen, die sich ohne weiteres beheben lassen. Die Negativfolgen der Vernetzung haben das Potenzial, Gesellschaften zu zerstören, ja weltweite, kriegsähnliche Konflikte hervorzurufen. Hier nur einige wichtige Aspekte:

  • Sicherheit. Systembedingt ist die Unsicherheit im Internet sehr hoch und lässt sich nicht so weit beheben, dass man lebenswichtige Vorgänge über das Netz abwickeln darf. Passwörter? Mein Gott, dass dieses Passwortgehampel nicht funktionieren kann, sollte inzwischen jeder wissen.
  • Miteinander. Die vernetzte Kommunikation hat die zu erwartende Entwicklung genommen und ist zu einer Hasskommunikation geworden, die zwangsläufig mit einer Verrohung der Gesellschaft einhergeht.
  • Wahrheit. Die Wahrheit bleibt auf der Strecke. Fake News, Deep Fakes oder Cheap Fakes bestimmen das, was als faktisch richtig erkannt wird oder erkannt werden soll.
  • Privatsphäre. Menschen werden bis in ihre intimsten Bereiche hinein beobachtet und überwacht. Die Ergebnisse werden analysiert und dauerhaft zur gegenwärtigen oder zukünftigen Auswertung gespeichert.
  • Freiheit. Meinungen und Einstellungen werden gezielt und – individuell angepasst – gesteuert. Unter anderem wird auch das Kauf- und Wahlverhalten von Bürgern manipuliert.
  • Energie und Klima. Auch das darf nicht unerwähnt bleiben. Der Datenverkehr übers Netz verschlingt enorme Mengen an Energie, vor allem die als Patentlösung propagierte Blockchain-Technik. Smarte Technik kann nur ein Teil des Mehrbedarfs an Energie kompensieren.
  • Werte. In fast allen Lebensbereichen bewirkt die Vernetzung einen drastischen Wertverlust, teilweise durch die schiere Masse von allem Möglichen, teilweise durch Verflachung des Konsumverhaltens, wobei das Streaming eine erhebliche Rolle spielt,
  • Verantwortung. Dadurch, dass die Vernetzung den Menschen Entscheidungen in vielen Lebensbereichen abnimmt, bleiben Entscheidungskraft und Verantwortungsbereitschaft auf der Strecke. Algorithmisierte Moral.
  • Usw.

Und nun doch einiges Aufbegehren. So zum Beispiel im Stern, Ausgabe 5-2020. Der Artikel befasst sich vorwiegend mit Lügen und Manipulationen im Netz, deckt also nur einen Teil der negativen Auswirkungen der Vernetzung ab. Ich will an dieser Stelle nicht die Thesen und Begründungen des Artikels aufgreifen, sondern nur auf die im Artikel eingebundene Liste von Ratschlägen für mehr Datensicherheit  eingehen. Die Tipps lesen sich wie eine Zusammenfassung dessen, was ich seit mehreren Jahren in diesem Blog immer wieder thematisiere. Ich möchte aber in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass ich in meinen Beiträgen zwar den einen oder anderen Zeitungsartikel zitiert habe, dass das aber nur zur Veranschaulichung meiner persönlichen Meinung geschah. Meine Meinung basiert auf gesundem Menschenverstand und einer Portion Erfahrung im Umgang mit Computern und Algorithmen.

Umgekehrt darf ich auch davon ausgehen, dass den Autoren des Stern-Artikels mein Blog unbekannt war. Und so war es für mich äußerst verblüffend, was ich im Stern unter der Überschrift „Wie schütze ich mich?“ las:

  • Bezahlen statt gratis. Klar, es geht zu Recht gegen das Geschäftsmodell von Facebook & Co. Ich selbst war niemals mit Facebook unterwegs und bevorzuge die saubere Plattform Threema für Kontakte innerhalb der Familie. Nein, keine Likes, kein „Teilen“.
  • Nichtkommerzielle Software nutzen. Ein Hieb gegen Micrsooft und ein Plädoyer für Open-Source-Programme. Seit 15 Jahren arbeite ich teilweise, seit 4 Jahren fast ausschließlich mit Linux. Übrigens kinderleicht zu installieren und zu bedienen.
  • Handy richtig konfigurieren. Hier stieß ich auf Resignation: „Leider gibt es, was den Datenschutz angeht, keine wirklich empfehlenswerten Smartphones“. Stimmt, habe ich wiederholt festgestellt und als Urheber die ständige Netzanbindung und das App-System herausgestellt.
  • Weniger googeln. Gemeint ist vor allem, weniger die miteinander verkoppelten Google-Dienste in Anspruch nehmen. Habe ich noch nicht direkt thematisiert, aber eine damit zusammenhängende Technik, die Synchronisation von persönlichen Geräten, habe ich mehrmals kritisch hinterfragt.
  • Bar bezahlen, in lokalen Läden einkaufen. Natürlich darf der Online-Kauf im Interesse eines gesunden Gemeinwesens nur eine Ergänzung sein, und bargeldloses Bezahlen ist immer mit der Preisgabe von Daten verbunden. Ich weiß nicht, wie oft ich das schon angesprochen habe. Der Erhalt des Bargelds ist immens wichtig.
  • Keine Sprachsteuerung. Wörtlich: „Alexa, Siri und Google-Assistent [… ] sind faktisch Wanzen, die allem, was wir tun, im Hintergrund zuhören.“  Wie oft habe ich die diese Geräte schon verdammt, teils ironisch, teil bissig, aber immer vehement.
  • Weniger smart sein. Also weniger Klamotten ans Internet hängen, vor allem die Geräte des Smart Home.  „… haben oft nur einen begrenzten Mehrwert, öffnen aber das eigene Zuhause der Überwachung aus dem Internet …“. – So schön habe ich es noch nicht formuliert; ich sprach nur wiederholt von einem hohen Maß an Überflüssigkeit. Begrenzter Mehrwert – das gefällt mir.
  • Weniger vernetzen. Gemeint ist die Einschränkung der Nutzung sozialer Netzwerke. Kein Kommentar, wer die Beiträge in meinem Blog überfliegt, der merkt schnell, was ich schon seit Jahren ständig anmahne.

Soweit diese Übersicht im Stern – Wasser auf meine Mühlen. Und danke auch für den Ausdruck, den ich bisher noch nicht kannte: Human downgrading. Er beschreibt die Abwertung des menschlichen Miteinanders durch die Vernetzung. Downgrading, welch treffender Gegensatz zu der bislang gültigen Maxime des ständigen Upgradings in der IT-Welt. Vernetzung hoch – menschliches Miteinander runter. Wer diesen Zusammenhang versteht, der merkt schnell, wie bodenlos zynisch es ist, wenn ausgerechnet Facebook in seinen Anzeigen mit dem Begriff „Miteinander“ wirbt.