Das Ziel der smarten Revolution ist, alles miteinander zu vernetzen: alle Menschen, alle Betriebe, alle Behörden, alle Gesundheitseinrichtungen und nicht zuletzt alle Dinge, bei denen es technisch möglich ist. Ein gigantischer Anspruch und doch weitgehend realisierbar. Das vorgelegte Digitalisierungstempo lässt erwaren, dass das Ziel schon in wenigen Jahren erreicht werden kann. Zukunftsforscher sprechen in diesem Zusammenhang von der „Konvergenz der Netze“ und meinen damit die Verkopplung verschiedener dezentraler bzw. spezifischer Netze zu einem alles umfassenden und alles kontrollierenden Netz.
Nun las ich, dass der Hörgerätehersteller Kind ebenfalls smarte Geräte im Angebot hat bzw. dynamisch darauf hinarbeitet, Hörgeräte generell smart zu machen. Ich wurde neugierig und informierte mich auf der Internetseite von Kind. Dass es sich inzwischen kein Hersteller leisten kann, nicht auf den smarten Zug aufzuspringen, war mir schon klar, aber mich interessierte vor allem, welcher Sinn dahinter steckt, wenn Hörgeräte vernetzt werden. Immerhin gehören diese Geräte zu den privatesten Dingen, die man sich vorstellen kann; der größte Teil dessen, was sie empfangen und verstärken, ist nur für den Benutzer der Hörhilfe gedacht und von daher überhaupt nicht für den Datenverkehr über das Internet geeignet. Es muss also extrem schwerwiegende Gründe geben, um diesen privaten Raum aufzureißen.
„Smart Hearing“ nennt sich die Methode, erfuhr ich auf der Kind-Internetseite. Ah ja, klingt in manchen Ohren (auch ohne Hörgerät) wie Zukunft, wie Komfort, wie die bessere Welt, die uns die Digitalisierung ja verspricht. In der Tat: „Umfassende Vernetzung ermöglicht ganz neue Komfortfunktionen“ ist ein Absatz überschrieben. Beispiele: Man bekommt eine Nachricht aufs Smartphone gesendet, wenn Akkus der Hörgeräte zur Neige gehen. Man kann sich Nachrichten oder Tweets direkt aufs Hörgerät schicken lassen. Oder sich anzeigen lassen, dass die Waschmaschine durchgelaufen ist. Oder sich signalisieren lassen, wenn es an der Haustür klingelt.
Besonders der letzte Punkt ist sehr nützlich, vor allem, wenn man kein Hörgerät im Ohr hat. Denn mit Hörgerät könnte man das Klingeln ja direkt hören – falls die Hörhilfe etwas taugt. Nein, die smarte Hörwelle ist so schief wie das SmartHome allgemein. Komfort, der einem eingeredet werden muss, sonst nähme man ihn ja gar nicht wahr. Und um Nachrichten zu erfahren, braucht man nicht mal mehr zu lesen, einfach nur auf Empfang zu bleiben. Um das zu hören, was einem vorgesetzt wird. Da werden nun also auch die Hörgeschädigten in Informationsblasen gefangen. Keiner soll außen vor bleiben, wenn es gilt, die Menschen auf Meinung zu trimmen.
Meine Güte, gibt es denn niemand mehr, der sagt: „Es gibt was Wichtigeres und Besseres als die Totaldigitalisierung“? Sind die wirtschaftlichen Zwänge bereits so, dass nichts mehr unterhalb einer Allesdigitalsierung akzeptabel ist? Keine Inseln mehr, wo man vor dem allgegenwärtigen Smarten geschützt ist und das bewahren und regenieren kann, was sich der Digitalisierung entzieht, nämlich Menschlichkeit? Oder Urteilsfähigkeit und Urteilskraft?