So lautet ein Aufmacherartikel im Focus 47/19. Eigentlich gehört der Focus nicht zu meiner Standardlektüre, da bevorzuge ich eher den Spiegel oder Zeitungen wie die Süddeutsche. Doch ab und zu muss ich auch meine gelegentlich aufflammende Sehnsucht nach konservativer Lektüre stillen, nicht zuletzt eines breiten Meinungsspektrums willen. Und wenn da noch eine Kritik an der Digitalisierung durchscheint, dann kann ich nicht widerstehen.
In der Tat: Es tat richtig gut, den Artikel zu lesen. So langsam bahnt sich ja doch eine kritische Grundhaltung gegenüber dem „größten Wandel in der Geschichte der Menschheit“ an. Ich will gar nicht im Detail auf den Inhalt des Artikels eingehen, den kann jeder Interessierte nachlesen – oder einfach aus den rundum zu beobachtenden Phänomenen schließen – mit ein wenig Menschenverstand und ein wenig logischem Denken. Kurz: der Artikel zeigt eindringlich auf, wie sehr die öffentliche Meinungsbildung von den digitalen Medien nach Belieben gesteuert wird, bis hin zur unmerklichen Manipulation von Millionen von Menschen. Auch die Folgerung, dass wir davon ausgehen müssen, dass sowohl die verheerende Wahl Trumps als auch der Brexit auf derartige Meinungsmanipulationen zurückzuführen sind, ist äußerst plausibel.
Dabei geht es in dem Artikel nur um eine von mehreren schädlichen bis zerstörenden Auswirkungen der Digitalisierung, nämlich um die digitalen Medien. Die gesellschaftliche Verstumpfung, die wachsenden Gefahren von Angriffen im Internet, die hemmungslose Verbreitung von widerlichen oder kriminellen Inhalten usw. werden gar nicht mal angesprochen. Aber auch die Beschränkung auf das Thema der „sozialen“ Medien hat es in sich. In einer Art Zusammenfassung wird dann vorgeschlagen, „wie Sie der Manipulationsfalle entgehen“. Diese Übersicht ist hoch interessant, so dass ich die genannten 7 Tips kurz mit eigenen Worten beschreiben und natürlich auch kommentieren will.
- Auswahl der Informationsquellen. Gemeint ist, das man zugewiesene Informationen kritisch hinterfragen und die Vertrauenswürdigkeit der Quelle prüfen soll. – Ich habe es schon wiederholt gefordert: Meinungsbildende Informationen mussen grundsätzlich geholt werden, ob einzeln oder im Abonnement spielt keine Rolle. Die Zustellung von Informationen, etwa auf einen Messenger, ist immer fragwürdig.
- Andere Medien als Kontrolle. Gemeint ist, dass man besonders bei Sensationsmeldungen nicht einfach drauf anspringt, sondern sich mit Hilfe von anerkannt seriösen Medien Bestätigung sucht. – Ok, klingt plausibel, obwohl: warum wendet man sich nicht gleich an seriöse Quellen und meidet fragwürdige?
- Andere Meinungen zulassen. Gemeint ist, dass man nicht nur Meinungen an sich heranlässt, die sich bequem ins persönliche Meinungsbild einfügen, sondern auch gegensätzliche Ansichten. – Ebenfalls nichts Neues für mich. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass Meinungsfreiheit nicht zuletzt auch Meinungsvielfalt und Meinungsgegensätzlichkeit beinhaltet. [1]
- Ruhig bleiben. Gemeint ist: Nicht sofort und unüberlegt im Netz reagieren, insbesondere nicht in Gruppen, wo sich in der Regel Meinungsblasen bilden und einseitige Meinungen verfestigen. Wut und Hetze sind Triebkräfte und Ergebnis eines überzogenen Aktionismus im Netz. – Facebook wirbt neuerdings aus gutem Grund in Form ganzseitiger Zeitungsanzeigen mit Gruppen, wohlwissend, dass dort die meist einseitigen und oft hasserfüllten Aktivitäten auf Betriebstemperatur gehalten werden.
- Vorsicht bei Humor. Was auf den ersten Blick lustig und humorvoll erscheint, ist sehr oft verletzend und inhuman. – Diesen Aspekt hatte ich bisher noch nicht im Fokus (mit „k“), aber es stimmt. Vor allem Youtube, zum Beispiel die vielen Beiträge „Just for laughs“ oder die vielgestaltigen „Pranks“ sind oft nur gemein, nicht humorvoll. Solche „lustigen“ Beiträge heizen die Netz-Schimpfereien gehörig an.
- Kontakt zur Welt haben. Also nicht nur Smartphonegefummel, sondern öfter und länger in der realen Welt leben. Keine Pseudokontakte mit sogenannten „Friends“, sondern Gespräche mit richtigen Kontakten zu anderen Menschen. – So selbstverständlich, dass sich ein Kommentar erübrigt.
- Lieber zögern als teilen. Hier treffe ich zum ersten Mal auf eine Stimme, die das „Teilen“ im Netz kritisch sieht. Es handelt sich ja auch nicht um wertvolles Teilen, sondern auf Grund der zweifelhaften Verbreitungstechniken um entwertendes Vervielfachen. Im Grunde wird hier das Kernproblem der digitalen Medien, das eng mit den Geschäftsmodellen der Plattformen verknüpft ist, angesprochen. Es geht darum, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen (wieviel Likes?) und deshalb auch Aufmerksamkeit, die oft in Hektik ausartet, zu spenden.
Klingt auf den ersten Blick gut und plausibel, was der Focus den Internetnutzern rät. Nur hat die Sache einen Haken, nein zwei:
Die Nutzer wollen sich ja gar nicht vor der Manipulation im Netz schützen. Sie mögen zwar Opfer sein, fühlen sich aber nicht als solche. Die zerstörende Macht der digitalen Medien zu begrenzen, ist nicht Aufgabe der vordergründig nutznießenden Teilnehmer, sondern der Institutionen in der Gesellschaft, die die Menschenwürde der Netzbenutzer und die Gesundheit der Gesellschaft zu schützen haben.
Und damit zum zweiten Haken: Politik, Justiz usw. zeigen sich unfähig, diesen Schutz zu gewährleisten. Nicht, dass sie die Probleme nicht erkennen, aber das Denken und Handeln der Verantwortlichen wird von einer völlig falschen Auffassung von der Digitalisierung beherrscht. Am erstes muss doch die Frage gestellt werden: Was ist das eigentlich, diese Digitalisierung oder – besser gesagt – das, was man komischerweise mit diesem Begriff verbindet?
So komplex die Thematik auch sein mag, die Antwort auf diese Frage ist gar nicht mal so schwierig: Es handelt sich um ein Bündel von Werkzeugen bzw. Verfahren, mit dem die Menschheit versucht, einige ihrer Probleme zu lösen. Nicht mehr. Andererseits handelt es sich um sehr leistungsfähige Werkzeuge, nicht weniger. Alle Werkzeuge sind nicht Selbstzweck, sondern sie dienen einem Zweck. Werkzeuge können verbessert werden, sie können ausgetauscht werden, wenn sie nicht „gut in der Hand liegen“. Werkzeuge müssen, damit sie kein Unheil anrichten, beherrscht werden. Und dann können sie eingesetzt werden, um das Leben auf unserem Planeten zu berherrschen. Bei Verfahren ist es ähnlich, sie müssen ständig optimiert und überprüft werden.
Die Digitalisierung wird von den maßgeblichen Gestaltern aber nicht als Werkzeug gesehen, sondern als Gesellschaftsziel. Betrachten wir einmal, welchen Stellenwert die Digitalisierung in Politik, Wirtschaft, Verwaltung usw. hat. Restlos überall nimmt die Digitalisierung einen Spitzenplatz in der jeweiligen Agenda ein. Kein Politiker, der nicht die Digitalisierung als wichtigstes Zukunftsziel propagiert. Die Gesellschaft ist überzeugt, dass die Digitalisierung überwältigende Vorteile bietet – ohne dass solche Vorteile konkret benannt werden müssen.
Digitalisierung als gesellschaftliches Ziel also. Ziele hinterfragt man nicht, man diskutiert allenfalls, auf welche Weise sie möglichst schnell und möglichst umfassend erreicht werden können. Und so wird die Entwicklung nicht gesteuert, sondern angeheizt. Dabei entsteht ein Sog, dem sich kaum jemand entziehen kann. Erst recht nicht die Internetnutzer, die einfach mitgerissen werden und sich – natürlich – keine großartigen Gedanken über das Wohlverhalten im Netz machen können. Warum sollen sie sich an Lügen stören, wenn sich daraus keine offensichtlichen negativen Folgen ergeben? Warum sollen sie selbst nicht lügen, wenn wohltuende Aufmerksamkeit das Resultat der Lüge ist? Warum sollen sie nicht beschimpfen und heruntermachen, wenn es doch so schön kribbelt und die Opfer außer Sichtweite sind?
Nee, wenn es einen Weg zurück in eine nach analogen Maßstäben gesittete Gesellschaft gibt, dann nur, indem man die Digitalisierung von ihrem Sockel herunterreißt und ganz nüchtern und pragmatisch als das betrachtet, was sie ist: ein Werkzeug, das in bestimmten Situationen gewisse Vorteile bietet, in anderen Situationen mit deutlichen Nachteilen und Gefahren verbunden ist. Nur dann ist die Digitalisierung beherrschbar.
Das gilt in besonderem Maße auch für einen techischen Aspekt der Digitalisierung, die „künstliche Intelligenz“. Auch KI-Systeme sind Werkzeuge, nämlich algorithmische Verfahren zur gezielten Strukturierung großer, ungeordneter Datenmengen. Mit wirklicher Intelligenz hat das nichts zu tun, auch nicht mit dem, was Joseph Weizenbaum, der Schöpfer des Begriffs der „künstlichen Intelligenz“, seinerzeit seiner Eliza einhauchte. Weizenbaum orientierte sich an dem Primat menschlicher Intelligenz und fasste die künstliche Abart derselben vor allem als Simulation auf. Das Ergebnis seiner Forschungen war, dass er zu einem leidenschaftlichen Kritiker des oft fragwürdigen Computereinsatzes wurde.
Die Tatsache, dass Menschen die Vorgänge in den künstlich-neuronalen Netzen nicht mehr durchschauen und deshalb auch nur noch bedingt steuern können, hat den Traum von künstlich-intelligenten Wesen aufleben lassen. Wesen, die lernen, selbständig zu denken und zu fühlen – und vor allem den Menschen als hilfreiche Gestalten zur Seite stehen. Ob in einer Maschine mit „maschineller Intelligenz“ jemals so etwas wie Hilfsbereitschaft entstehen kann, ist mehr als fraglich. Und wenn sich die Maschine als hilfreich erweisen sollte, dann nur deshalb, weil sie eben noch nicht intelligent ist. Doch wie gesagt, Fragen nach dem Sinn sind zur Zeit nicht gefragt. Wichtiger ist, dass die Entwicklung noch schneller vorangeht. Deutschland als Vorreiter in der Entwicklung von KI, das ist die Zukunftsvision vieler Politiker.
[1] Deshalb ist es, auf die politische Praxis übertragen, so extrem wichtig, dass sich die großen Parteien in Opposition gegenüberstehen. Wenn dominante Meinungspole vermengt werden, schleifen sich auch die Meinungsbilder ab. Das ist wiederum mit einem Verlust an Meinungsfreiheit verbunden.