Ich muss auf dem Rückweg vom Arzt noch schnell eine Tüte Milch im Supermarkt kaufen. Also Maske auf und rein ins Geschäft. Zunächst sehe ich gar nichts, denn nach der frischen Luft draußen beschlägt meine Brille hoffnungslos. Ich nehme sie ab (die Brille natürlich) und erkenne nun die Mitarbeiterin des Ladens, die mir gestikulierend klar macht, dass ich ja einen Einkaufswagen mit mir führen müsse. Stand ja dick im Eingangsbereich geschrieben, aber wenn man blind ist … Also wieder nach draußen, und nach beim erneuten Betreten des Ladens kann ich nun auch durch die Brille schauen. Dafür blase ich mir den Atem direkt in die Nase, und dabei wird mir klar, was wir den Mitmenschen zumuten, wenn wir ihnen zu nahe kommen.
Egal, irgendwann wird es ja wohl zu Ende sein mit der Maskenpflicht. Ehrlich, ich kann es kaum noch erwarten, dass sich die Straßen wieder mit Menschen füllen und nicht von maskierten, gesichtslosen Menschenmassen geflutet werden, wie man es von asiatischen Ländern kennt. Doch ein dummes Gefühl bleibt: Es gibt Leute, die das Tragen solcher Atemfilter auch für die Nachcoronazeit empfehlen, wegen des Grippe-Virus und so. Hygiene und Desinfektion als permanente Gesellschaftsausgabe. Mein Gott, warum nicht gleich den Brutkasen für jeden?
Überhaupt stellt sich die Frage, ob nach Corona wieder alles so werden soll wie vorher. Ich denke, manches muss schnell wieder hergestellt werden, z.B. die direkten Kontakte in Schulen [1] und Betrieben. Oder die Rückkehr zum anonymen Bargeld. Oder die Bevorzugung des örtlichen Geschäftes gegenüber dem Onlinehandel. All diese Dinge bildeten wichtige Stützen der Gesellschaft und wirkten sich positiv auf den Zusammenhalt der Menschen untereinander aus. Was die unmittelbaren, zwischenmenschlichen Kontakte betrifft, so sollte die Corona-Krise als Hinweis aufgefasst werden, dass es schon vorher nicht zum besten damit stand, und dass eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte dringend erforderlich ist. Also eine Steigerung der unmittelbaren, persönlichen Kontakte. Die Hassbotschaften in den digitalen Kanälen sind überaus aufschlussreich.
Andere Dinge dürfen nicht mehr so wie vorher sein. So zum Beispiel die Globalisierung, die in allen Bereichen, wo sie unwichtig oder gar schädlich ist, hervorragend funktioniert, in dem einen wirklich notwendigen Anliegen, nämlich der gemeinsamen Verantwortung für den Planteten, praktisch nicht stattfindet. Oder nehmen wir den Verkehr. Die Menschheit muss ganz einfach der Tatsache ins Auge sehen, dass die Verkehrsverhältnisse unseren Planeten hoffnungslos überlastet haben. Ein paar Wochen Corona, und schwupp geht die Kohlendioxidbelastung spürbar (!) zurück. Das Zeitalter des Autos muss endgültig vorbei sein, und die Verantwortlichen in Wissenschaft und Politik täten gut daran, nun zukunftsfähige Konzepte für eine gemäßigte und doch (oder gerade deshalb?) bereichernde Mobilität zu entwickeln. In die herkömmlichen Autos einen Elektromotor mit schwerer Batterie oder gar eine Software zum autonomen Fahren zu packen, ist einfach nur kurzsichtig.
Das sind nur wenige Beispiele. Doch wird sich wirklich etwas dauerhaft verbessern? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, und zwar weil die gesellschaftlichen Bedingungen der Vorcoronazeit zu viele Profiteure mit Einfluss hervorgebracht haben. Die werden sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Wie sagte der Chef der Lufthansa? Staatliche Hilfen, ja, aber bitte keine staatlichen Einfluss. Und was fordern die Manager in der Autoindustrie? Kaufprämien, die von der gesamten Gesellschaft (!) aufgebracht werden müssen, ja, die könnten helfen, aber bitte keine Abstriche bei den Bonus-Zahlungen, und bitte nicht die Aktionäre verärgern.
Tja, so lief es vor Corona, und so wird es nach Corona wieder laufen. Und die Welt wird weiterhin mit den vielen Kaputtmachern an der Spitze der Regierungen zurecht kommen müssen Ich will jetzt keine Namen nennen, aber einige Staaten: China, Russland, Brasilien, USA, Türkei, Ungarn, Venezuela, Philippinen, Sudan, Iran, Nordkorea, Polen, Großbritannien (ja, auch), Weißrussland, Katar, Saudi-Arabien, und … und … und …
Keine Frage, Corona hat der Menscheit eine Lupe vor die Augen gehalten, aber ich bin sicher, dass man das alles sehr schnell wieder vergessen wird. Oder einfach beiseite schieben wird, wegen der Eigeninteressen. Damit zum Beispiel Deutschland ein Land bleibt, in dem wir gut und gerne leben (Originalton Merkel).
[1] In aller Deutlichkeit: Das Lernen ohne Bezugspersonen, ohne die Schülergemeinschaft, ohne Wettbewerb und gegenseitige Hilfe hat nichts mit Bildung und Schulleben zu tun. „HomeSchooling“ bezeichnet exakt das, was es in Wirklichkeit nicht ist. Es ist ein lächerlicher und letzten Endes fast wirkungsloser Ersatz, und wenn wir die Corona-Krise ernst nehmen, dann sollten wir uns zur Erkenntnis durchringen, dass Digitalisierung im Schulbetrieb nicht mehr sein kann (mehr sein darf) als die Modernisierung der technischen Hilfsmittel. Es kann doch nicht sein, dass das Bildungswesen in die Zeit der Kybernetik und der damit verbundenen Objektivierung des Lernens zurückfällt.
Sicher, in Notzeiten wie der jetzigen kann das Lernen zu Hause ein wenig die Defizite mildern, zumindest bei älteren Schülern, aber ein Konzept für die Zukunft kann und darf es nicht sein.