Solange das Corona-Virus im höchsten Maße aktiv war, solange waren die Menschen damit beschäftigt, zu überleben oder irgendwie mit den erforderlichen Einschränkungen zurechtzukommen. Nun, da es den Anschein hat, dass wir das Virus im Griff haben, treten andere Fragen in den Vordergrund, vor allem die Frage nach dem Ursprung des Virus. Genau genommen geht es um die Suche nach dem Schuldigen, denn die Menschen können nur schwer ein Leid ertragen, ohne dafür einen Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Nun ist klar, dass das Virus erstmalig in China auftauchte, aber das kann ja auch zufällig geschehen sein, zum Beispiel durch Übertragung von einem Wildtier auf den Menschen. Diese Version ist die von chinesischer Seite offiziell verbreitete Erklärung. Und da es schon mal einen ähnlichen Fall gab, nämlich die SARS-Pandemie 2003, die ebenfalls von China ausging, ist die Welt geneigt, den Chinesen die Erklärung abzukaufen.
Nun gibt es eine zweite Erklärung, die davon ausgeht, dass das Virus aus dem Viren-Forschungslabor in Wuhan ausgebüxt ist. Diese Erklärung hat den Vorteil, dass sie einen Schuldigen liefert, nämlich China, das in seinem Eifer nach weltweit anerkannten Forschungsergebnissen offenbar einen Fehler gemacht hat. Klar, das ist eine Erklärung, die besonders dem Politrabauken Trump gefällt. Indem aber dieser verlogene, unfähige US-Präsident so vehement auf dieser These herumreitet, wird sie gleichzeitig unglaubwürdig und von vielen gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Die amerikanischen Geheimdienste haben die Parallele zu 2003 im Blick und bevorzugen deshalb die Wildtier-Theorie.
Doch die Leute wollen eine Erklärung, die einen Schuldigen liefert, und so beginnt die Stunde der Verschwörungstheoretiker zu schlagen. Wenn die Fakten keinen Schuldigen hergeben, dann wird einer gemacht. Und dann ist da noch das Internet, das derartige Verschwörungstheorien explosionsartig übers Land verbreitet und Menschen anspricht, die leicht von dem größten Unfug zu überzeugen sind, denn in einer digitalisierten Welt geht das Urteilungsvermögen und somit das Gespür für das faktisch Richtige schnell verloren.
Doch unabhängig von den Verschwörungstheorien ist die Frage nach den Ursachen und etwaigen Verursachern durchaus berechtigt. Zu groß sind die vom Virus angerichteten Schäden, als dass man demütig die Hände falten und von einem Schicksalsschlag sprechen könnte. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, das eine der beiden Theorien (Wildtier-Übertragung – Unfall im Virenzentrum) zutrifft. Eine sichere Antwort wird die Welt wohl nie erhalten; keine der beiden Möglichkeiten kann ausgeschlossen werden, und keine der Möglichkeiten wird vermutlich jemals zu beweisen sein.
Man kann nur mit Wahrscheinlichkeitsüberlegungen an die Sache herangehen, was mit Verschwörungstheorien natürlich nichts zu tun hat. Und da gibt es ein klares Ergebnis: Außer der Tatsache, dass es schon einmal eine Übertragung von einem Wildtier auf den Menschen gegeben hat, sprechen alle Sachverhalte für einen Unfall im Virenzentrum. Ja, selbst die Parallelität zu 2003 muss relativiert werden, denn auch das SARS-Virus verbreitete sich von China aus, und schon damals waren die Chinesen groß im Vertuschen eigener Fehler. Die Tatsache, dass zu Beginn der derzeitigen Corona-Krise die chinesische Führung um Geheimhaltung der Krankheitsfälle in Wuhan bemüht war, ja sogar einen Fachmann bestrafte, der auf die drohende Gefahr aufmerksam machte, ist ein schwerwiegendes Indiz dafür, dass das Virus dem Forschungszentrum entsprang. Außerdem ist es kein Geheimnis mehr, dass die Chinesen in Forschung und Technik an die Weltspitze streben, koste es was es wolle.
Aber dieses Herumwühlen in Grenzbereichen von Wissenschaft und Technik ist nicht nur in China zu beobachten, sondern ein Phänomen der gesamten technisch hochgerüsteten Welt, begleitet von einem ausgeprägten, allgemeinen Technik-Optimismus und einer verblüffenden Arroganz derjenigen, die glauben, das alles im Griff zu haben und deshalb alle Grenzen sprengen zu können. Albert Einstein hat mal geäußert:
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Es ist mir entfallen, ob es ebenfalls Einstein war oder ein anderer großer Physiker, der einmal darauf hinwies, das mit jeder beantworteten Frage ein Bündel neuer, wesentlich komplizierterer Fragen auftauchte. Wie gesagt, Grenzbereiche der Wissenschaft und Technik. Die Erforschung von so gefährlichen und kaum fassbaren Dingen wie Viren gehört in diesen Grenzbereich, wo Erkenntnisse große Vorteile bringen können, wo aber auch kleine Fehler verheerende, letzten Endes sogar unseren Planeten bedrohende Auswirkungen haben können.
Es gibt eine Reihe von Zonen, in denen sich die Menschheit hart am Abgrund bewegt. Die Gen-Technik gehört dazu, oder die digitalisierte Waffentechnik, oder die Nukleartechnik, oder die „künstliche Intelligenz“. Alle haben das Potenzial, unseren Planeten in eine menschenfreie Zone zu verwandeln. Ja, die eigentliche Schuld an der derzeitigen Pandemie hat wahrscheinlich die menschliche Arroganz, die Überschätzung unserer Möglichkeiten. Wenn man einigen Zukunftsforschern zuhört, dann kann einem angesichts der Warnungen von wirklich kompetenten Forschern nur die Gänsehaut über den Rücken laufen. Und wenn diese Warner dann noch hochnäsig in die Ecke geschoben werden (so geschehen mit Stephen Hawking), dann kann man sich nur die Nase zuhalten, denn es gibt eine moderne Form von technisch ausgerichteter Arroganz, die gehörig stinkt.