Eigentlich wollte ich die Diskussion rund um den Begriff „Digitalisierung“ ad acta legen. Sicher, Scheißwort, da es überhaupt nicht den Kern der Sache trifft, aber der Begriff hat sich eingebürgert, leider, und gegen Sprachgewohnheiten gibt es kein Gegenmittel. Sie verfestigen sich durch Gebrauch, also sei’s drum.
Wenn dahinter nicht eine gefährliche Gedankenlosigkeit stecken würde. Diejenigen, die – vor allem in Politik und Medienwelt – ständig von „Digitalsierung“ oder, im gehobenen, kultivierten Manager-Speach von „digitaler Transformation“ (wow) reden, outen sich gewissermaßen als Laien oder als Marschierer ohne Zielvorstellung.
Also in Kürze, was „Digitalisierung“ wirklich bedeutet. Zunächst einmal beschreibt dieser Begriff einen Vorgang und keinen Zustand, aber das sollte wohl klar sein. Es gibt drei Vorgänge, auf die der Begriff zutrifft:
- Die Umwandlung von analogen Signalen bzw. Informationen in digitale. Das ist ein rein technischer Vorgang, völlig wertfrei und überhaupt nicht diskussionswürdig. Die elektronischen Module, die das bewerksstelligen, heißen AD-Wandler.
- Die Umstellung von technischen Abläufen auf digitale Geräte und Prozesse. Dieser gesellschaftliche Vorgang ist weitgehend abgeschlossen, denn die digitale Technik überzeugt schon seit langem durch Preiswürdigkeit und Leistungsfähigkeit und hat sich deshalb durchgesetzt. Typische Beispiele: Computer statt Schreibmaschine oder Digitalfotografie statt Analogfotografie.
- Die Erfassung von technischen, sozialen oder biologischen Strukturen in Form digitaler Datensätze, also die Verdatung der Welt, wenn man so will. Dieser Vorgang ist in vollem Gange und bei weitem noch nicht abgeschlossen.
Doch das, was man heute allgemein mit „Digitalisierung“ bezeichnet, ist etwas anderes. Man versteht darunter vor allem die Vernetzung, und zwar unter Verwendung des Internets, eine ganz andere Kategorie. Die drei genannten Formen der Digitalisierung lassen sich unabhängig vom Netz betreiben, und das Internet kann sehr wohl auch ohne digitale Datenanhäufungen gute Dienste leisten. Sicher, das Internet arbeitet digital; insofern beflügeln sich die Digitalisierung auf der einen Seite und die Vernetzung auf der anderen Seite ganz erheblich. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass es verschiedene Dinge sind.
Nun könnte man argumentieren, dass es ja um Begriffe geht, und dass Begriffe u.U. das Zeug haben, Dinge zu definieren. Demnach wäre Digitalisierung das, was die Leute darunter vestehen, und die Leute meinen halt das Internet. Doch diese Gleichsetzung von Digitalisierung und Vernetzung ist überaus schädlich, denn dadurch wird suggeriert, dass praktisch nichts mehr ohne das Internet geht, dass jeder Fortschritt nur unter Einbeziehung des Internets möglich ist. Die derzeitigen Entwicklungstendenzen bestätigen, dass eine solche Einstellung tatsächlich vorhanden ist und die Vorstellungen von Innovationen und Zukunftsgestaltung fast ausschließlich vom Internet bestimmt werden.
Dabei könnten beide Vorgänge, nämlich einerseits die Verdatung der Gesellschaft, andererseits ihre Vernetzung, wesentlich wirkungsvoller (und ungefährlicher) vonstatten gehen, wenn man sie nicht auf so plumpe Weise gleichsetzen würde. Nehmen wir als Beispiel nur das SmartHome. Abgesehen davon, dass der Nutzen des technisch hochgerüsteten Haushalts ohnehin sehr begrenzt ist, gibt es keinen (absolut keinen) überzeugenden Grund, den digitalisierten Haushalt auch noch ins Internet zu stellen. Selbst die Warnung des in der Ferne weilenden Wohnungsinhabers im Falle einer Störung (Brand, Einbruch usw.) muss nicht über eine ständige, „smarte“ Verbindung erfolgen. Es wäre kein Problem, in solchen Fällen, und nur dann, z.B. eine automatische SMS abzusetzen. Die Daten blieben dort, wo sie hingehören: in der Wohnung.
Oder nehmen wir die Gesundheitskarte. Die Verantwortlichen denken automatisch ans Internet, wenn es um den so wichtigen Austausch von Gesundheitsdaten geht. Muss man dazu das verseuchte, anfällige Internet als Infrastruktur bemühen? Mit etwas Kreativität ließen sich sichere und dezentrale Lösungen bewerkstelligen, z.B. indem alle Daten auf der Karte gespeichert sind und dort verbleiben. Backup-Lösungen ließen sich ebenfalls bewerkstelligen. Wie gesagt, dazu braucht man nur etwas Kreativität und Phantasie. Es ist der unreflektierte Griff in die Internetkiste, der den Gedanken an bessere, alternative Lösungen schon im Ansatz unterdrückt.
Und umgekehrt: das Internet kann äußerst Wertvolles auch dort leisten, wo es nicht um Berge von Datensätzen geht. Gehen wir einfach mal zurück in die Anfangszeit des Netzes, wo es vorwiegend um Informationen und herunterladbare Ressourcen ging. Da brauchte man noch keine Angst vor dem Datenmissbrauch zu haben, und die Hackerszene war beherrschbar, weil die Zerstörungen keine lebenswichtigen Strukturen betrafen. Wo aber „Big Data“ die Herrschaft über das Netz ergreift, kommt es zwangsläufig zu Gefahrensituationen, weil das Netz gar nicht imstande ist, diese Daten mit der gebotenen Sicherheit zu transportieren und zu lagern. Die gigantischen Datenmengen sind Munition für einen Cyber War, der die Dimension eines weiteren Weltkrieges annehmen könnte. Brisante Daten gehören ganz einfach nichts ins Internet.
Halten wir fest: Es steht außer Frage, dass das Gespann Digitalisierung und Vernetzung Hervorragendes leisten kann. Ebenso steht fest, dass es enorme Schäden verursachen kann, vor allem, wenn Big Data im Netz wütet und die amerikanischen IT-Banden mit ihren rein kommerziellen Interessen das Geschehen kontrollieren. Wieviel Potential steckt doch im Netz, solange es nicht mit Datensätzen geflutet wird, sondern vor allem als Anbieter von Informationen, Wissen, medialen Ressourcen fungiert. Und wievel Potential hat das datenmäßige Wissen rund um die Vorgänge in der Gesellschaft, wenn es verantwortungsvoll gehandhabt wird und nicht im unkontrollierbaren Dschungel des Netzes verstreut und weltweit verteilt wird. Nur wenn man die Leistungen der beiden verschiedenen Vorgänge nicht grundsätzlich in einen Topf wirft, wird man imstande sein, beides mit größtmöglichem Nutzen zu kultivieren. Die automatische Gleichsetzung von Internet und Datenerfassung unter dem Schlagwort „Digitalisierung“ ist fatal; der inflationäre Gebrauch des Wortes „Digitalisierung“ ist ebenso bezeichnend wie peinlich.