Mit den Medien meine ich in diesem Fall das Heute-Journal im ZDF und die Art und Weise, wie deren Moderatoren das Thema anpacken. Klar, wenn von Corona und Schule die Rede ist, dann geht es zur Zeit fast ausschließlich um die Digitalisierung der Schulen; hier ist eine total offensive Einstellung der Medien zu beobachten. Dennoch gibt es noch geringfügige Unterschiede, was die Moderatoren betrifft. Während bei Claus Kleber immerhin eine leichte Unsicherheit zwischen den Zeilen mitschwingt, sind sich Christian Sievers und vor allem Marietta Slomka sicher: Je mehr Digitalisierung, desto besser; je schneller die Schulen ohne Einschränkungen digitalisiert werden, desto besser. Klar, die Schulschließungen infolge der Corona-Pandemie und die daraufhin ergriffenen Digitallösungen begünstigen eine solche Totalhaltung. Dass sich das Home-Schooling (Scheißwort) nur als Ersatz herausgestellt hat, wird bei dieser Sichtweise als Hinweis auf zu wenig Digitalisierung verstanden. Die Einsicht, dass digitalisierter Schulbetrieb strukturell nicht mehr als Ersatz sein kann, ist weitgehend versperrt.
Vor kurzem gab es gleich zwei ausführliche Berichte in einer Heute-Sendung, von M. Slomka mit der zwar verdeckten, aber dennoch eindeutigen Forderung vorgestellt, die Digitalisierung nun doch bitte voranzutreiben. Und der Blick in die vorgestellten (ausgesuchten!) Schulen war durchaus geeignet, die Haltung der Moderatorin zu bekräftigen. Junge Lehrer, natürlich modern eingestellt, die kraftvoll und innovativ nach neuen Wegen des Lernens suchen und diese – natürlich – im Digitalmodus finden. Ganzheitliche Unterrichtsmethoden wie das Lernen mit Hilfe des Internets, begleitet und unterbrochen von körperlichen Bewegungen im Klassenraum. Unterrichtsfach: Biologie. Geht’s noch besser? Und die befragten Kinder erklären – natürlich -, dass ihnen das Lernen mit Computern Spaß macht. Also ein mächtiges Plädoyer für die digitale Ausrichtung der Schulen. Jedenfalls kommen die Beiträge so rüber, und ich unterstelle mal, dass sie so auch von Frau Slomka intendiert sind.
Interessant war auch Slomkas Einleitung zu diesem Teil des Journals. Natürlich beklagte sie – wieder einmal – die Lücken im Mobilfunk, überhaupt das viel zu langsame Internet in Deutschland. Deutschland als digitales Entwicklungsland. Vielleicht ist das eine Sache des persönlichen Erlebens. Ich habe einige Male in meinem Leben Mobilfunklücken erlebt, aber nie als tragisch empfunden, weil es immer andere Lösungen gab. Also nicht der Rede wert. Über ein zu langsames Internet habe ich ebenfalls schon gestöhnt, aber da ging es um 4 MBit/s. Mit 8 oder 10 wäre ich ohne weiteres zufrieden gewesen. Na ja, dann kamen die Glasfaserleute, und ich habe nun das Gefühl, mit einem Auto durch die Gegend zu fahren, das 300 km/h auf die Straße bringt, wobei aber nur maximal Tempo 50 möglich und notwendig ist. Andere Zeitgenossen denken und fühlen anders; für sie sind schon 50 MBit/s inzwischen zu langsam. Ich frage mich, was die alles mit dem Internet machen. So eine Art digitale Völlerei?
Egal, zurück in die Schule. Der Beitrag im Heute-Journal wäre überzeugender gewesen, wenn auch Lehrerinnen und Lehrer, die der Digitalisierung distanzierter gegenüberstehen und die nicht pauschal als lernunfähig oder lernunwillig in die Ecke gestellt werden, zu Wort gekommen wären. Vielleicht wäre dann deutlich geworden, dass die ganzheitlichen Konzepte keine Erfindung der Digitalzeit sind, denn das bewegungsunterstütze Lernen hat ganz bestimmt nichts mit Computern zu tun. Vielleicht wäre dann deutlich geworden, dass im Biologieunterricht kein Internet den Gang in den Wald ersetzen kann, dorthin, wo man mit analogen Methoden dem Gegenstand zu Leibe rückt. Und vielleicht wäre deutlich geworden, dass der Spaß am digitalen Lernen vor allem auf Sekundärmotivation beruht, so wie die Hersteller von Schreibgeräten auf quietschbunte Stifte setzen, damit sie gerne von Kindern in die Hand genommen werden. Pink macht sich gut.
Echte und letztlich nachhaltige, erfolgreiche Motivation basiert auf dem Interesse an der Sache selbst, und dabei spielt die digitale Ausstattung eine lächerlich nebensächliche Rolle. Und nachhaltige Bildung wird dort erzielt, wo vor allem die unmittelbaren menschlichen Beziehungen in Ordnung sind. Ein digitales Provisorium als endgültige Lösung zu kultivieren, ist mehr als fragwürdig.
Aber kann Frau Slomka das überhaupt einordnen? Schließlich ist sie eine Medienspezialisten und keine ausgebildete Pädagogin (falls doch, bitte ich in aller Form um Entschuldigung). Sie ist überaus erfolgreich, wenn es darum geht, „Zugeschaltete“ in die Enge zu treiben. Auch dieses scheint typisch für Corona-Zeiten zu sein: Viele Schuster haben Probleme, bei ihren Leisten zu bleiben, und wenn’s um Digitales geht, scheint jeder in allen Belangen mitreden zu können, zu dürfen, zu müssen (wegen Verantwortung für das Allgemeinwohl und so). Kein Wunder, schließlich vibriert in jedermanns Hosen- oder Handtasche ständig das smarte, zweite Ich.
Damit ich nicht missverstanden werde: Natürlich gehören die digitalen Strukturen in den Lehrplan der Schulen, und natürlich kann es sinnvoll sein, ab einem bestimmten Alter auch (!) mit digitalen Endgeräten zu arbeiten und damit die Methodik des Unterrichtsgeschehens zu erweitern. Alles ok, aber die Corona-Krise zum Anlass zu nehmen, um die Digitalisierung der Schulen zu einer existentiellen Frage hochzuschaukeln, das ist einfach nur unsachgemäß, um nicht zu sagen: blöd.