Vogelkacke

Als der Gauland die Nazizeit als Vogelschiss in der ruhmvollen (oder so), deutschen Geschichte bezeichnete, schlugen die Wellen hoch. Wie kann man nur! Ich muss ehrlich gestehen, dass ich diesen Vogelkackvergleich als ziemlich pfiffig empfand. Nur in der Anwendung dieser Metapher hat er wohl die falsche Blickrichtung gehabt.

Denn: Alle Verbrechen, Kriege und Fehlentwicklungen der gesamten Menschheitsgeschichte zusammengenommen sind nur ein Vogelschiss, verglichen mit dem, was im vorigen Jahrhundert von Deutschland ausging. Gibt es überhaupt ein Wort, um diese teuflische Entartung alles Menschlichen angemessen zu beschreiben? Verbrechen? Wohl kaum, viel zu schwach, dieser Begriff. Vielleicht kann man vom Bösen schlechthin sprechen, vom schlimmsten, wozu Menschen überhaupt imstande sind.

Kann man dieses Böse überhaupt fassen? Kann man es aufarbeiten? Vielleicht kann man die Menschen verstehen, die Jahrzehnte lang nicht imstande waren, die Nazizeit aufzuarbeiten. Viele Richter, Ärzte, Beamte haben in den Jahrzehnten nach Kriegsende einfach weitergemacht, als wären sie immer rechtschaffene Bürger gewesen. So, als wäre ihr böses Verhalten während der 12 Kernjahre nur eine Rolle gewesen, in die sie hätten schlüpfen müssen. Aufarbeitung? Fehlanzeige. Erst Ende des Jahrhunderts, als nur noch wenige kleine Fische zu fassen waren, traute man sich daran. Irgendso ein Mensch, einer, der auf dem Turm eines Konzentrationslagers Wache schob, den konnte man noch schnappen und vorführen, nach Jahrzehnten des Schweigens und Verdrängens. Gefahr für die eigentlich Bösen bestand da nicht mehr, die hatten inzwischen ihr Leben ungeschoren zu Ende gelebt.

Vielleicht sollte man sich mal wieder vor Augen führen, wer denn das Böse verkörperte. Hi-Hi-Gö-Gö, also Hitler, Himmler, Göbbels, Göring? Ja, ja, ja, natürlich, aber diese Kerntruppe hat es schon reichlich abgekriegt, zu Recht natürlich. Wie wär’s mal mit einem Blick in die zweite Reihe: Da haben wir den Josef Mengele, der (und viele andere) den Berufsstand der Ärzte total pervertierte und die chirurgischen Instrumente nicht zum Heilen, sondern zum Töten und Foltern benutzte. Da haben wir den Roland Freisler, der als Vorsitzender des Volksgerichtshofs geradezu satanisch auftrat und dabei das Recht in den Boden stampfte. Da haben wir den Julius Streicher, den widerlichen Wegbereiter des Antisemitismus, der in seinem „Stürmer“ die wahnwitzigen Zerrbilder von Juden zeichnete. Ja, diese Leute stehen genau so für das Böse wie das HiHiGöGö-Quartett.

Wer denkt noch an Adolf Dieckmann, der in Orodur-sur-Glane den Befehl gab, alle Bewohner des Ortes auf brutalste Weise umzubringen? Wer denkt noch an das Massaker von Lidice, wo alle 184 Männer des Dorfes erschossen und die Frauen und Kinder verschleppt wurden? Nur ein Randereignis in dem unendlichen Leiden des Zweiten Weltkrieges mit vielen Millionen Opfern? Etwas zum Gedenken und Nichtvergessen? Da hat, verdammt noch mal, jemand den Befehl gegeben, obwohl die Massaker nichts mit dem Kriegsgeschehen zu tun hatten. Wer war das? Wer macht sich heute noch die Mühe, diese Verantwortlichen überhaupt ausfindig zu machen? Und die genannten Massaker sind nur zwei von hunderten Tötungsorgien, bei denen einer den Befehl gab, mehrere den Befehl weiterreichten und viele Befehle und Morde ausführten – jenseits des Kampfgeschehens, obwohl der Krieg an sich bereits ein gigantisches Verbrechen war.

Wer denkt noch an die SS-Schergen der Einsatzgruppen, die ihre widerlichsten Instinkte auslebten, als sie genüsslich hinter den Frontlinien alles massakrierten, was jüdisch oder sonstwie verdächtig vorkam? Wer denkt noch an die vielen braven Bürger, die das Feinbild des Juden dankbar aufgriffen und endlich Gelegenheit hatten, ihre Agressionen an jemand auszulassen? Viele, zu viele, viel zu viele haben mitgemacht, gerne mitgemacht. Fast ein ganzes Volk hat sich dem Bösen angeschlossen – aus Schwäche, aus „Pflichtbewusstsein“, aus blindem Eifer, aus niederen Instinkten, aus Mordlust, aus bequemem Ignorieren des im Grunde Offensichtlichen. Auch aus Angst, ja.

Nein, Herr Gauland, wenn Sie all dieses Böse zusammenwerfen, dann ergibt es einen Berg von Unrat. Die anderen schlimmen Vorgänge in der Weltgeschichte sind dagegen nur kleine Häufchen. Und ja, wenn heute wieder Nationalisten grölend durch die Straßen marschieren, wenn heute wieder Typen mit neonazistischer Gesinnung in den Landtagen ihre Parolen auskotzen und „Deutschland über alles“ brüllen, dann habe ich Probleme, mich als Deutscher zu fühlen.

Nun gibt es Nationalismus ja auch anderswo, aber wenn Donald Trump in Amerika mit seinem „America first“ die Massen fesselt, dann kann man das als populistisch, destruktiv, gefährlich, erbärmlich finden, je nachdem, wie weit man auf das Niveau von Trump hinuntersteigt, doch es ist etwas ganz anderes als wenn in Deutschland, dem Erben des Bösen, jemand das „Germany first“ propagiert. Nicht wahr, Frau von Storch? Ach ja, da fällt mir ein: Ist Beatrix von Storch nicht in derselben Partei wie der Vogelschiss-Alexander?