Freiheit

Freiheit. Selten wurde mit diesem Begriff so verschwenderisch umgegangen wie während der Corona-Pandemie. „Wir wollen unsere Freiheit zurück!“ brüllen dummdreiste Querdenker und geistig unbewegliche Impfgegner. In der Schweiz hängen sich diese Leute sogar Kuhglockem um – vielleicht gar nicht so unpassend: Kuhglocken als Erkennungssignale für Rindviecher.

Aber auch in seriösen Kreisen erlebt die Forderung nach Freiheit eine Renaissance. So forderte zum Beispiel unsere Justizministerin Christine Lampbrecht als eine der ersten die Rückgabe der Freiheitsrechte an Geimpfte. Der Freiheitsentzug in Form von Corona-Maßnahmen sollte damit beendet werden, zumindest teilweise. Doch Freiheit ist ein großes Wort, und dahinter steht eine große Sache. Da stellt sich die Frage, ob „Freiheit“ überhaupt angemessen ist, wenn es um die vorübergehenden, notwendigen Corona-Maßnahmen geht.

Einige Beispiele: Ist es Freiheitsentzug, wenn wir Nachbars Garten nicht unerlaubt betreten dürfen? Ist es Freiheitsentzug, wenn wir zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer und zum eigenen Schutz nicht links fahren dürfen? Ist es Freiheitsentzug, wenn wir zum Schutz der Mitmenschen und zum eigenen Schutz gewisse Einschränkungen wie das Tragen der Maske oder den Verzicht auf Geselligheit in Kauf nehmen müssen? Ist es Freiheitsentzug, wenn wir in der Nähe eines Flughafens unsere Drohne im Kofferraum lassen müssen?

So gibt es Tausende von Verboten und Vorschriften, die erforderlich sind, um ein vernünftiges Miteinander in der Gesellschaft zu gewährleisten. Hier von Freiheit oder Unfreiheit zu reden, ist ziemlich unangemessen, und wenn im Zusammenhang mit der Pandemie nicht von offizieller Seite der Freiheitsbegriff ins Spiel gebracht worden wäre, hätten wir möglicherweise weniger Probleme mit der Querdenkerszene. Sicher, bei den Corona-Einschränkungen geht es irgendwie auch ein wenig um Freiheit, aber die Betonung dieser Minifreiheiten versperrt gewissermaßen den Blick auf wirkliche, existentiell wichtige Freiheit bzw. deren Bedrohung, und das ist gefährlich.

Was ist das überhaupt, wirkliche Freiheit? Ohne den untauglichen Versuch unternehmen zu wollen, Freiheit in ihrer gesamten Bandbreite beschreiben zu wollen, möchte ich nur einige Aspekte nennen:

Freiheit, das sind die Mittel, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, natürlich im Rahmen der Gesellschaftsordnung und im Rahmen der persönlichen Möglichkeiten. Das bedeutet gleichzeitig, dass der gesellschaftliche Rahmen so großzügig wie möglich abgesteckt werden sollte (demokratischer Gedanke) und dass der persönliche Rahmen geweitet werden sollte – wo weit wie möglich.

Freiheit bedeutet Entscheidungsmöglichkeit und Entscheidungskraft. Das erfordert Zugang zu möglichst breitgefächerten Informationen und verlangt Urteilsfähigkeit, um sowohl Fakten als auch verfälschte bzw. manipulative Informationen richtig einordnen und verarbeiten zu können. Nicht zuletzt bedeutet Freheit die ständige Gefahr, Fehler zu machen, und gleichzeitig die Kraft, Fehler einzugestehen und zu beheben. Freiheit ist immer gefährlich und mühsam. Wer Freiheit will, muss aus der Komfortzone raus, darf sich nicht ständig an Navi oder Smartwatch klammern.

Nein, für das was im Umfeld von Corona an Einschränkungen und Entlastungen beschlossen wird, ist das Wort „Freiheit“ einige Nummern zu groß. Die Gesichtsmaske zum Beispiel ist keine Einschränkung von Freiheit, so widerlich sie auch sein mag. Schwerwiegender ist da schon die 3G-Ausweispflicht, wenn man bestimmte Gebäude betreten will. Diese (leider notwendigen) Kontrollen sind schon eher eine Verletzung von Freiheit. Doch das empfinden die Leute nicht so, weil sie in unserer demokratischen Gesellschaft kein Gespür mehr für wirkliche Unfreiheit entwickeln können.

Die Gefahr von schlimmen Freiheitsverlusten ist auch in unserer Gesellschaft akut vorhanden, dazu brauchen wir gar nicht nach China, in die Türkei oder nach Russland zu blicken. Die Freiheitsbedrohung kommt in den modernen Gesellschaften schleichend und ölig glatt daher, wird kaum wahrgenommen. Deshalb ist diese Bedrohung so immens gefährlich, denn sie erzeugt ja keinen Widerstand. Die Menschen des 21. Jahrhunderts werden mit ihren Daten gefesselt, ihr Bewegungsspielraum unterliegt der ständigen Kontrolle übers Internet. Smartphones wirken als Fußfesseln für jedermann; Algorithmen treffen Entscheidungen und machen Menschen entscheidungsfaul, letzten Endes entscheidungsunfähig – unfrei eben. Gezielte Informationsblasen und individuelle Konsumsteuerung (personenbezogene Werbung, gesteuertes Streaming usw.) manipulieren die Leute, ohne dass sie es merken (oder merken wollen, da so bequem).

Hierbei querzudenken wäre absolut vonnöten, aber es ist halt einfacher, sich über Gesichtsmasken und Kontaktbeschränkungen aufzuregen. Das ist halt die Freiheit de*s*r geistig überschaubar ausgestatteten Bürger*s*in. (Heißa, das Gendern macht Spaß, besonders im Genitiv.)