Ach ja, Corona und die Digitalisierung

Eigentlich wollte ich gar nicht mehr über dieses ausgelutschte Thema schreiben, aber was ich heute in unserer Tageszeitung, der „Ibbenbürener Volkszeitung“ vorgesetzt bekam, brachte mich dermaßen auf die Palme, dass ich einfach Luft ablassen muss. Es war der Redakteur Elmar Ries, der im Artikel „Vollgas auf der Datenautobahn“ und dem Kommentar „Total digital“ gleich zweimal zuschlug.

Beginnen wir mit dem Kommentar. Keiner zweifelt daran, dass das Schulwesen besonders unter der Corona-Pandemie leidet. Und woran liegt es? Klar, nach Meinung des Kommentators ist einfach zu wenig digitalisiert worden. Hätten wir mehr Schwung in die Digitalisierung gebracht, dann müsste unser Schulsystem nicht so arg leiden. Aber wir haben’s verpennt, schreibt Ries, und so „fallen einem die Versäumnisse der Vergangenheit als fettes Problem vor die Füße.“ Und das, obwohl uns „viele Nachbarländer seit Jahren vormachen, wie das funktioniert“ (mit der Digitalisierung).

Tja, jetzt weiß ich’s. Die progressiven Nachbarländer haben offenbar keine Probleme mit dem Schulbetrieb während der Pandemie, und auch sonst sind sie uns rückständigen Deutschen so richtig überlegen, sonst würde man ja nicht so sehr ihren digitalen Fortschritt preisen. Sie haben offensichtlich ein besseres Gesundheitssystem, eilen uns in Forschung und Technik davon, haben stabilere Volkswirtschaften, schauen von einem höheren Lebensstandard auf uns herab usw. Oder?

Natürlich ist das Quatsch. Und die mangelnde Digitalisierung als Ursache für die Corona-Probleme heranzuziehen, ist einfach nur bescheuert. Jawohl, Herr Ries, total bescheuert. Als wenn irgend jemand vor einem Jahr voraussehen konnte, dass Digitalisierung eine Hilfe bei der schulischen Bewältigung einer noch nicht bekannten und noch nicht vorhersehbaren Pandemie sein könnte. Und als wenn irgend jemand imstande gewesen sein könnte, innerhalb von wenigen Monaten das „Versäumte“ nachzuholen. Nein, die Pandemie eignet sich nicht, um Gründe für eine beschleunigte Digitalisierung zu liefern. Was den Schulbetrieb betrifft, so halte ich diese Diskussion sogar für zynisch, weil Bildung ein Vorgang ist, der sich nicht ohne weiteres digitalisieren lässt. Es sei denn, man ist so oberflächlich, Bildung ausschließlich als reines Lernen zu betrachten. Nichts gegen Endgeräte in den Klassen und/oder zu Hause, aber mehr als eine Ergänzung dürfen die nicht sein. Werkzeuge wie Schulbücher und Füller.

Also wozu die von Ries geforderte digitale Offensive? Außer dem untauglichen Argument des HomeSchoolings (Scheißwort) nennt er in dem Kommentar keinen einzigen Grund.

Den fand ich dann in dem eigentlichen Artikel. Ries lobte die digitalen Anstrengungen im Kreis Coesfeld. Ziel sei, so der Breitbandkoordinator des Kreises, „dass jeder schon die Fußballweltmeisterschaft 2022 über einen Glasfaseranschluss in Ultra-HD schauen kann“. Da kommt natürlich Freude auf, und vor allem die Hoffnung, dass das qualvolle TV-Schauen mit der mickrigen Auflösung von 1920 x 1080 Pixeln bald ein Ende findet.

Aber ich muss gleichzeitig gestehen, dass ich den Artikel nicht richtig verstanden habe. Ries nennt zwei Wege, die digitale Infrastruktur voranzutreiben: das Kabel und das Breitband. Kabel oder Breitband als Alternativen? Kapier ich nicht. Ich war immer der Meinung, das Kabel sei eine der Möglichkeiten, um zu einem Breitbandbetrieb zu gelangen. Oder sind neuerdings gar nicht mehr die Frequenzbänder und deren Übertragungsdichte gemeint, wenn man von „Breitband“ spricht?

Egal, ich lasse mich gerne belehren. Im Zuge der Digitalisierung werden ohnehin manche Begriffe vermanscht: So bezeichnet man die Vernetzung als „Digitalisierung“, obwohl „Digitalisierung“ eigentlich etwas ganz anderes meint. Oder Google hat Internetadressen und Suchwörter in einen Topf gerührt, für logisch denkende und handelnde Leute keine Erleichterung, sondern eher Verwirrung, für geistig eher schwach ausgestattete Leute ein willkommener Komfort. Und so kann es ja auch sein, dass man unter „Breitband“ so etwas wie platte, breite Strippen meint, so wie die Elektro-Installationskabel, die unter Putz verlegt werden, im Gegensatz zu den runden Glasfaserkabeln. Das ergäbe Sinn.