Nach dem rassistisch motivierten Amoklauf in Hanau nun – entsprechend der Choreographie, die von solchen Ereignissen vorgeschrieben wird – das große Lamentieren über Ursachen und Konsequenzen. Hübsch geordnet nach Ressort. Der Innenminister setzt auf wirksamere Polizeimaßnahmen; der AfD-Vorsitzende warnt vor Instrumentalisierung solcher Verbrechen; die Linken betonen erneut, wie ignorant die Gesellschaft gegenüber den rechten Umtrieben ist; die Migrationsvertreter weisen auf die Angst hin, die Ausländer in diesem ausländerfeindlichen Staat erleiden müssen; die Bundeskanzlerin bleibt eher allgemein und sieht eine vergiftete Gesellschaft.
Die meisten stellen fest, dass die Radikalisierung vorwiegend im Internet stattgefunden hat, dort, wo Hass sich austobt. Und alle sind sich einig, dass man dagegen vorgehen muss. Die meisten lassen nicht unerwähnt, dass es sich bei den spektakulären Fällen der letzten Zeit um Einzeltäter gehandelt hat. Nur ein besonnener Experte macht deutlich, dass es keine Einzeltäter waren, denn im Vorfeld habe es die Kontakte oder Recherchen im Internet gegeben. Diese Leute im Hintergrund seien Mittäter.
Die Schlüsselbegriffe, mit denen solche rechtsradikalen Verbrechen charakterisiert werden können, sind schnell ans Board gepinnt: Hass, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Fremdenphobie und Nationalismus. Ein Politiker betonte, dass Hass nicht vom Himmel fällt, sondern gemacht wird. Damit hat er die AfD in die Diskussion einbezogen. Und natürlich steht die AfD für rechtsradikalen, nationalistisch begründeten Hass, insbesondere die neue, vom Höcke-Flügel durchseuchte AfD. Aber auch das Internet bleibt – völlig zu Recht – nicht ungeschoren. Zufall, dass die AfD-Anhänger die mit Abstand größte Internetaktivität aufweisen?
Und wenn man schon die Ursachen kennt, dann kann man auch entsprechend reagieren und konsequent handeln, so wie beim letzten Verbrechen, so wie beim vorletzten Verbrechen oder so wie bei den Morden der NSU. Verpufft? Oh, da waren wir wohl etwas oberflächlich, aber diesmal … Prompt weist die Justizministerien darauf hin, dass sie eine Verschärfung der Internetregeln auf den Weg gebracht habe. Die Kommunkationsplattformen müssen grobe Verstöße melden, damit die Urheber bestraft werden können. Toll, Facebook als Zensor. Ausgerechnet Facebook, der Konzern, der umso mehr verdient, je widerlicher (und deshalb prickelnder) die Beiträge sind. Freundliche, sachliche Beiträge werden nämlich kaum beachtet, weil sie langweilig sind, zu langweilig, um etliche Likes herauszukitzeln. Schimpfen, toben, mit Dreck bewerfen, au ja, das kommt an und tut soo gut. Tut auch Facebook gut, denn der Traffic schaufelt die Milliarden in die Konzernkasse und ermuntert zu höheren Aufgaben: KI-Forschung, eigene Währung usw. Wer schon mal die hinter dem Geld stehende Macht geleckt hat …
Und doch greifen die Überlegungen zu kurz, sie sind zu oberflächlich, weil sie die wahren Ursachen unberührt lassen. Der Angehörige eines Hanau-Opfers hat beklagt, dass er in Furcht leben müsse, solange es die AfD gibt. Das klingt so, als habe er Angst vor der AfD, was natürlich Unsinn ist. Die AfD tut niemandem etwas; es sind die Wähler der AfD, von denen die Gefahr ausgeht. Und man lässt die wahren Ursachen links liegen, wenn man glaubt, dass Hass von der AfD erzeugt wird. Sicher, Hass und Rassismus werden gezielt geschürt, aber es gäbe sie auch ohne AfD – und ohne Internet.
Nur – in einer funktionierenden Gesellschaft spielen Hass, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, Antisemitismus usw. keine bemerkenswerte Rolle, sie werden von positiven Tendenzen überlagert. Doch immer bleiben diese bösen Tendenzen latent erhalten; sie lagern sich als Bodensatz ab. Wie gesagt, in ruhigem Wasser bleibt der Bodensatz unten, aber wenn es unruhig wird, dann wirbelt die stinkende Masse hoch und sorgt für eine Eintrübung der Gesellschaft. Und klar, es gibt genügend politische oder wirtschaftliche Kräfte, die allzu gerne in diesem Trüben fischen und wissen, wie man dicke Brocken an die Angel bekommt.
Wie also bekämpft man die wahren Ursachen? Der Urtrieb des Nationalismus lässt sich kaum unterdrücken, er kann höchstens kanalisiert werden. Vor allem muss der Staat sich eindeutig bekennen und das Übel klar beim Namen nennen. Solange mlan die Gefolgsleute von Pegida oder dem AfD-Flügel der „unverstandenen Mitte der Gesellschaft“ zuordnet, wird der Dreck weiter aufschäumen. Wer sich einer Gruppe mit verbrecherischen Parolen anschließt, ist ein Verbrecher. Punkt. Genau diese Gefolgsleute sind es, vor denen die verfolgten „Anderen“ Angst haben. Zu Recht.
Das zweite ist das Internet. Solange es in der jetzigen Form besteht und sich als Plattform für jeden anonymen Schreier anbietet, solange trägt es ganz erheblich zum Aufwühlen des beschriebenen Bodensatzes bei. Wahrscheinlich ist das Internet sogar der Hauptschuldige am erneuten Aufflackern des nationalsozialistischen Gedankenguts. Sanktionen und Kontrolle? Ok, kann nicht schaden – aber auch nicht viel nützen, denn das Netz ist viel zu verzweigt und unüberschaubar, um einen ordentlichen, moralisch vertretbaren Betrieb zu gewährleisten. Im Internet werden Zugriffe gezählt, wobei das soziale Niveau bei diesem Massenbetrieb zwangsläufig in sich zusammenfällt. Für Verabredungen oder organisatorische Regelungen innerhalb von Gruppen, in denen man sich gegenseitig persönlich kennt, kann das Netz Positives leisten, keine Frage. Und wenn die Gruppen sehr klein sind (z.B. familiärer Rahmen), kann das Netz auch eine tolle Plattform für gegenseitige Kommunikation sein – sofern keine privaten Daten abgegriffen werden. Doch der Massenbetrieb sorgt dafür, dass die Kommunikation zu einer billigen Ersatzkommunikation verkommt. Und wenn diese Ersatzkommunikation die echten Verbindungen verdrängt, dann führt das zwangsläufig zu einem Gegeneinander.
MIt Ersatz lässt sich aber keine menschenwürdige Gesellschaft gestalten, das ist nur mit echtem Miteinander (ja, mit Augenkontakt) möglich. So kann man nur von einem widerlichen Zynismus sprechen, wenn eine Massenplattform wie Facebook mit dem Begriff „Miteinander“ wirbt. Facebook, Whatsapp, Instagram usw. sorgen für das Gegenteil, nämlich für ein Gegeneinander. Genau hier muss angesetzt werden: Es muss alles daran gesetzt werden, die Kommunikation auf den „sozialen“ Plattformen auf ein Minimum zu beschränken. Aber das ist zur Zeit wohl nicht vermittelbar, und deshalb kann ich nicht optimistisch in die Zukunft schauen. Es wird weitergehen, vielleicht mit anderen Formen der Beschimpfung, vielleicht nicht ganz so offen, aber solange die Lust an Hassausbrüchen besteht, solange es Wege gibt, die Sau herauszulassen, so lange wird es auch zu Gewalttaten kommen.
Im übrigen greift es zu kurz, nur an rassistisch-nationalistische Gewalttaten zu denken. Hass, der im Internet aufschäumt, wird sich ebenfalls in der nichtpolitischen Szene auswirken. Es wird u.a. zu häufigeren, scheinbar unmotivieren Amokläufen oder ähnlichen Ereignissen kommen. Hierbei geht es nicht nur um die Ersatzkommunikation im Netz, sondern auch um das Erleben in einigen Computerspielen, das irgendwann die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verschwimmen lässt.