„Wenn ich Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: „Wir stehen mit euch zusammen, so lange, wie ihr uns braucht“, dann will ich das auch einhalten – egal, was meine deutschen Wähler denken, ich will gegenüber den Ukrainern Wort halten.“
Annalena Baerbock
Ich hatte mir vorgenommen, mich in politischen Angelegenheiten nur noch sehr zurückhaltend zu äußern, doch die vorstehend zitierte Äußerung von Annalena Baerbock kann ich einfach nicht unkommentiert beiseite schieben. Das heißt, dem Zitat an sich ist im Prinzip nichts hinzuzufügen, denn die Aussage ist klar: Wenn ich eine Verhaltensweise für richtig und notwendig erachte, dann muss ich dazu stehen und kann nicht darauf schielen, ob die Wähler mich dafür bei der nächsten Wahl abstrafen werden. Klare Haltung also, Ablehnung von Populismus. Ob eine solche Äußerung diplomatisch geschickt ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber Baerbocks Auftritte als Außenministerin sind ohnehin nicht mit allzuviel diplomatischem Ballast belastet. Erfrischende Direktheit.
Weniger erfrischend die Reaktion von Politikerinnen und Politikern. Da brodelt am linken und rechten Rand so richtig die fundamentalistische Soße hoch. Fast genüsslich wird die leicht falsch zu interpretierende Äußerung Baerbocks denn auch bewusst falsch interpretiert. Willkommenes Fressen, heißa, tolle Gelegenheit, mal wieder an den Stützen der demokratischen Gesellschaft zu rütteln. Klar, dass insbesondere die AfD-Alice alle Register der gespielten Entrüstung zieht. Ich will sie hier nicht zitieren, es ist einfach zu widerlich.
Aber auch die politisch Gemäßigkten haben Annalena offensichtlich falsch verstanden. Die Jagd auf Wählerstimmen ist so sehr in ihrem Streben verankert, dass ihnen die Baerbock-Äußerung förmlich unfassbar erscheint. Es passt einfach nicht in ihr Weltbild, so offen gegen Populismus Stellung zu beziehen. Um Himmels Willen, Annalena, wir brauchen doch die Wähler, denen darf man doch nicht vor den Kopf stoßen! Und so wird versucht, die Sache zu entschärfen. Aus dem Zusammenhang gerissen sei die Äußerung, Von gezielt sinnentstellenden Tweets, von Russen massenhaft in die sozialen Medien geschleudert, ist die Rede. Ach ja, kann sein, aber tun die russischen Hacker nicht einfach ihre Pflicht? Schließlich befindet sich Deutschland im hybriden Krieg gegen Russland.
Nein, die bisher aufgeführten Reaktionen auf die Baerbock-Äußerung waren zu erwarten, quasi vorhersagbar, und insofern – geschenkt. Da müssen wir nicht weiter drauf rumreiten. Was aber doch überraschend, ja geradezu schockierend war, das war das Gebrülle in den „sozialen“ Medien, ein Aufschrei, der sich sogar in Hashtags wie „#BaerbockRuecktritt“ äußerte. Was hier an unterschwelliger Nörgellust, Gedankenlosigkeit, Haltlosigkeit, Verlustangst, Oberflächlichkeit usw. zutage trat, ist m.E. ein deutlicher Hinweis darauf, dass es um die moralische Stärke der Gesellschaft ziemlich schlecht bestellt ist Jammern, meckern, anklagen anstatt die Ärmel hochkrempeln und sich der Herausforderung stellen. Da kommt Scham auf, Scham darüber, dass man selber ja auch Teil der Gesellschaft ist.
Nein, ich kann den Lobpreis auf die tollen Mitbürger nicht nachvollziehen, auch wenn das widerliche Hassgetöse nur von einem Teil der Gesellschaft ausgeht. Doch dieser Teil ist zu groß. Ich kann auch das Gerede vom „unzufriedenen Bürger“ aus der „Mitte der Gesellschaft“ nicht mehr ertragen. Wer seine Unzufriedenheit so zum Ausdruck bringt wie es massenweise in den „sozialen“ Medien geschieht, hat nicht wirklich verdient, dass es ihm besser geht. Das einzige, was man diesen Meckerern zugute halten kann, ist die Tatsache, dass die „sozialen“ Medien die gesamte Gesellschaft in eine große Stammtischrunde umgestalten. Wie ungefährlich sind dagegen doch die klassischen, kleinen Stammtische, die immerhin in geschlossenen Räumen stattfinden.