Aufbruch

Seit Jahrhunderten war die Menschheit von einer tiefen, sehnsuchtsvollen Hoffnung erfüllt: Irgendwann werden die Menschen etwas auf die Beine stellen, mit dem alle Unzulänglichkeiten überwunden, alle Probleme gelöst, alle Schwächen behoben werden. Wie sich dieses Paradies darstellen würde, wusste man noch nicht, nur dass die Lösung technischer Natur sein würde, ahnte man schon seit langem.

Dann, zehn Jahre vor der Jahrtausendwende, war es auf einmal so weit: Das Heil kam in die Welt, und zwar in Form des Internets. Man spürte sofort, dass dieses Netz das Potential hat, in den letzten Winkeln aller Lebensbereiche für Ordnung zu sorgen. Die gesamte Welt würde in wenigen Jahren eine völlig andere sein, eine bessere natürlich, war man sich schnell einig. „We’ll make the world a better place“, dieser Slogan eines globalen Internetkonzerns steht für den Elan des allgemeinen Aufbruchs.

Doch von diesem Schwung wurden nicht alle gleichermaßen erfasst. In Deutschland zum Beispiel war man eher zurückhaltend eingestellt und verlor innerhalb weniger Jahre den Anschluss an die Innovations-Weltspitze. Immer wieder wiesen namhafte Vertreter in Wissenschaft und Wirtschaft darauf hin, dass Deutschland zu einem digitalen Entwicklungsland verkomme, zu einem Land der verpassten Chancen. Amerika, China und selbst das kleine Estland seien schon viel weiter und man müsse sich endlich anstrengen, die Rückstände aufzuholen.

In der Tat. Nehmen wir das kleine Estland. Es sitzt oben auf dem digitalen Gipfel und schaut mitleidig auf Deutschland herab. Die Botschaft, die das baltische Ländchen sendet: Wir hatten unter der Sowjetunion unsere Identität verloren und konnten uns auf digitalem Wege eine neue Indentität aufbauen, eine digitale sozusagen. Einfach nachmachen, ihr in Deutschland seid doch in einer vergleichbaren Situation. Oder Amerika, das ebenfalls mit einer Botschaft daherkommt: In unserer Verfassung stehen zwei schwergewichtige Begriffe, nämlich Freiheit und das Recht auf Streben nach Glück. Well, „Glück“ ist bei uns nicht so geläufig, aber „Money“ bedeutet dasselbe. Rechnet mal nach, in welchen Konzernen inzwischen das meiste „Glück“ angehäuft ist.

Und China? Man zuckt noch ein wenig zurück, wenn es gilt, die Botschaft aufzunehmen, doch in Wirklichkeit hat man sie durchaus verstanden: Macht aus euren Bürgern einfach bessere Menschen, indem ihr sie digital zum Wohlverhalten erzieht, permanent, alle. Einfach die Leute beobachten, in einem vernetzten (= digitalisierten) Land ist das problemlos möglich.

Auch wenn man in Deutschland nun – verspätet – kapiert, wohin die Reise gehen muss, so fallen einem die nationalen Versäumnisse der ersten Umbruchsjahre schwer auf die Füße. Nehmen wir die Schulen. Warum, zum Henker, haben wir nicht schon vor 20 Jahren erkannt, dass wir absolut nichts von der Digitalisierung ausnehmen können und dürfen? Es war doch von Anfang an abzusehen, welches Potential das Internet auch im Bildungssystem hat, oder? Wir mussten doch erkennen, dass die Digitalisierung im Falle einer etwaigen Pandemie das Bildungssystem aufrechterhalten kann und sogar einen Beitrag zur Chancengleichheit leistet. War es Kurzsichtigkeit oder Ignoranz, dass man diese absehbaren Chancen der Digitalisierung verpasste? Klar, nun trat sie ein, die Pandemie, und was man auf die Schnelle in die Notsituation hineindigitalisierte, war nicht besonders ertragreich. Ach nee, nicht der Rede wert. Triumphgeheul der Wissenden: Sehr ihr, nun habt ihr den Salat! Corona offenbart schonungslos unsere Schwächen. Vielleicht hat der liebe Gott Corona in die Welt gesandt, um den Menschen deutlich zu machen, wie lebensnotwendig die Digitalisierung ist. Nostra culpa.

Was jedoch noch ein wenig irritiert, ist die Einstellung der Lehrer, auch angesichts der Digitalmangelerscheinungen in den Schulen. Politiker, Journalisten (vor allem), Wissenschaftler, Elternvertreter, Bildungsverbände – sie alle fordern vehement die Digitalisierung des Bildungssystems. Nur diejenigen, die täglich mit Schülern zu tun haben, nämlich die Lehrer, schließen sich nur zögerlich den allgemeinen Forderungen an. Das ist schlimm, und natürlich muss man die Frage nach den Gründen stellen. Sind viele Lehrer zu weltfremd, dass sie die Zeichen der Zeit nicht sehen? Oder fehlt es ihnen an Empathie, so dass sie nicht bereit sind, das Beste für ihre Schüler anzustreben? Oder sind sie zu starr bzw. zu wenig lernfähig, um sich noch mit den neuen Technologieren auseinanderzusetzen? Einfach zu dumm für die Digitalisierung?

Doch wie ich eingangs bereits erwähnte, ist die Digitalisierung die Lösung für alles. auch für eine Schulwelt mit ignoranten oder dummen Lehrern. Algorithmen, die Arbeiter und Angestellten im Netz, können’s bekanntlich besser, und die digitale Bildungslandschaft von morgen braucht womöglich keine Lehrer mehr. Weg mit ungeeignetem Personal, so wie es an anderen Stellen bereits mit Erfolg praktiziert wird.

 

Warum ich die Corona-App nicht installiere

Die Antwort ist zunächst einfach: Weil ich nicht ständig mein Smartphone mit mir rumschleppe. Genauer gesagt: Ich benutze das Teil selten, eigentlich nur im Notfall als Telefon oder wenn ich unterwegs in einem E-Buch lesen will. Gelegentlich auch als Kamera, wenn ich die richtige Kamera nicht dabei habe. Ansonsten liegt das Ding irgendwo im Haus herum, manchmal tagelang unbenutzt.

Da schließt sich gleich die zweite Frage an: Warum benutze ich das Smartphone so selten, und was habe ich gegen dieses an und für sich doch phaszinierende Stück Technik? Ist es die Tatsache, dass es so total unergonomisch gebaut ist und mir immer aus der Hand rutscht? Kann man üben, nicht so entscheidend. Oder ist es die matschige Pseudo-Analogtechnik, mit der man seine Fingerabdrücke auf die Fummelscheibe drückt, oft an der falschen Stelle (bei mir jedenfalls)? Ach nee, kein wirklicher Grund, das Smartphone zu meiden. Selbst die unlogische Struktur des Betriebssystems Android ist eher eine Gewöhnungsache und letztlich kaum ein Grund, ohne Smartphone durch die Gegend zu gehen. Mitunter kann man ja ganz gut mit dem Mangel leben, wozu auch der Mangel an Logik im Betriebssystem Android gehört.

Etwas anders verhält es sich mit der Art und Weise, wie das Smartphone die Menschen verändert, und zwar fast durchweg zu ihrem Nachteil. Wenn ich durch die Stadt bummel und die vielen – meist jungen – Gestalten sehe, die entweder auf ihr Smartphone starren oder es permanent in der Hand tragen, mit etwa 40° abgewinkelter Hand, dann fällt es mir oft schwer, die Gesichter zu ertragen. Diesen starren, abwesenden Blick, diesen abweisenden Gesichtsausdruck, der ein totales Desinteresse an der Umgebung verrät. Abgetaucht in die vernetzte Parallelwelt. Schon schlimmer.

In Wirklichkeit ist es noch was anderes, was mein Verhältnis zum smarten Phone nachhaltig stört. Das Smartphone ist das Gerät, mit welchem sich die Menschen permanent und widerstandslos in das Netz einfügen, egal wo sie sich gerade befinden. Das mobile Internet, das erst durch das Smartphone ermöglicht wird, verfolgt die Menschen auf Schritt und Tritt und steuert sie, ohne dass sie es bemerken. Um zu verstehen, was da alles abläuft, muss man sich erst mal verdeutlichen, was das Internet in unserer Welt darstellt. Dabei geht es nicht um die Funktionsweise des Netzes, um die verschiedenen Protokolle, die den Datenverkehr steuern. Um das Internet zu erklären, erfolgt oft ein Rückblick auf die Anfänge des Internets (als es noch gar nicht so hieß). Auch darauf will ich verzichten. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, will ich hier nur die Erwartungen und Ziele nennen, die man anfänglich mit dem Netz verband, und die heute immer noch irrtümlicherweise mit dem Internet verknüpft werden.

  • Das Netz arbeitet dezentral, also ohne einen steuernden Mittelpunkt.
  • Ohne feste Hierarchie gibt es keine Bevorzugungen und Benachteiligungen. Jeder Nutzer des Netzes ist gleichberechtigt.
  • Jeder kann sich im Netz äußern. Somit gewährleistet das Netz es ein hohes Maß an Meinungsfreiheit und hat eine erhebliche demokratische Relevanz.

Das sind natürlich extrem hohe Erwartungen, und rein technisch gesehen gab und gibt es keine Zweifel, dass sie erfüllt werden können. Wie gesagt, rein technisch, aber das Internet ist mehr als ein Leitungsnetz mit Routern und einem Bündel von Protokollen; das Internet steht in enger Wechselbeziehung zur Gesellschaft mit all ihren Triebkräften. Das wurde am Anfang offenbar übersehen oder zu gering eingeschätzt; jedenfalls hat das Internet, wie es sich heute darstellt, kaum noch etwas (eigentlich gar nichts mehr) mit den ursprünglichen Erwartungen zu tun.

Die reale Welt

Schauen wir uns zuächst mal die Welt an, wie sie sich ohne Internet darstellt. Dabei habe ich die Zeit vor Beginn der „Digitalisierung“ im Auge, etwa die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Manchen fällt dabei sofort das Prädikat „analog“ ein, aber es gibt keine analoge Welt, es gibt auch keine digitale Welt. Diese beiden Begriffe beschreiben lediglich die Verfahren, mit denen Informationen erfasst, codiert, transportiert, analysiert und angezeigt werden. In diesem Sinne ist natürlich auch der Begriff „Digitalisierung“, wenn damit die Internet-Vernetzung gemeint ist, ziemlich fehl am Platze. Das aber nur am Rande.

Also die reale Welt. Sie wird bevölkert von unzählig vielen Menschen, Tieren, Pflanzen, Dingen aller Art, die alle eines gemeinsam haben: sie sind real. Und sie interagieren miteinander. Sofern es sich um konkrete Dinge oder Lebewesen handelt, sind die Interaktionen an physikalische Gesetze gebunden. Daraus ergibt sich eine gewisse Schwerfälligkeit, die in einer Gesellschaft, die nach immer schneller, immer weiter, immer effektiver giert, nur schwer zu ertragen ist. Genau genommen sind es weniger die Menschen als vielmehr die Wirtschaft und die sich als Weltretter verstehende Wissenschaft, die als treibende Kräfte in Erscheinung treten. Und im Gefolge davon natürlich die Politik. So ist es nur verständlich, dass sich seit dem Entstehen des Internets Anfang der 90er Jahre die Erwartungen ganz auf das Netz stützen.

Doch die unvermeidliche Schwerfälligkeit in der realen Welt hat auch ihre Vorteile. Die gebremst ablaufenden Interaktionen wirken stabilisierend. Wenn es sich abzeichnet, dass etwas aus dem Ruder zu laufen droht, kann man in der Regel noch weitgehend gegensteuern. Gefahren und Fehlentwicklungen lassen sich noch im Auge behalten. Dort, wo die Schwerfälligkeit mehr oder weniger überwunden werden kann, etwa im Radio- und Fernsehbereich, gibt es strikte journalistische Regeln. Auch im Papier-Journalismus, der ja eine beachtliche Reichweite hat, gibt es z.B. die Verpflichtung, ein Impressum hinzuzufügen oder auch die Pflicht, eine versehentlich falsche Information durch eine Gegendarstellung zurechtzurücken.

Auch wenn das Internet in den 90er Jahren noch keine oder allenfalls eine eher nebensächliche Rolle spielte, so war die Digitalisierung dennoch bereits voll im Gange. Mikrocontroller und Roboter sorgten in den Produktionshallen dafür, dass die meisten Vorgäge programmgesteuert abliefen. Die Medizintechnik hatte bereits einen hohen Standard erreicht – natürlich digital gesteuert (noch einmal: digital heißt nicht vernetzt!). In den Büros wurden innerhalb weniger Jahre die Schreibmaschinen durch PCs ersetzt, und selbst das mobile Telefon erlaubte einen effektiven Telefonverkehr. Im Haushalt gab es praktisch für alles eine bequeme, komfortable Lösung, ohne vernetzt zu sein. Die Digitalfotografie war drauf und dran, die komplette bisherige Fototechnik zu entsorgen. Doch die entscheidenden Hebel hielten die Menschen noch in der Hand, selbst wenn sie das Internet, das sich noch in einem frühen Entwicklungsstand befand, benutzten. Im Grunde waren die 90er Jahre also eine Zeit, die bei den Menschen kaum einen Wunsch offen ließ. Dennoch zeichnetetn sich schon hohe Erwartungen an das sich entwickelnde Internet ab. Fast euphorisch war die Rede von dem „Highway of Information“.

Die vernetzte Parallelwelt

Und nun das Internet. Obwohl fast alle Instanzen der realen Welt auf irgendeine Weise mit dem Internet verknüft sind, ist diese weltumspannende Netz auch weitgehend unabhängig. Es ist mächtiger als die reale Welt, denn es unterliegt nicht den natürlichen Restriktionen. Im Netz gibt es keine Schwerfälligkeiten oder Reichweitebegrenzungen und immer weniger auch Einschränkungen bezüglich der Bandbreite. Nahezu jede Stelle der Welt ist von nahezu jedem Ort aus erreichbar, und das quasi mit Lichtgeschwindigkeit, also schwerelos.

Diese Schwerelosigkeit, diese üppigen Optionen, fast nach Belieben mit Datensätzen umzugehen, verleiten dazu, so viel wie möglich ins Internet zu verlegen. Die Cloud ist ein typisches Beispiel: wichtige Organisationsstrukturen sind von überall auf der Welt im Netz errechbar; es kann eine wichtige Bremse umgangen werden, nämlich die Verpflichtung, an Ort und Stelle sein zu müssen. Für mich ist „cloud“ allerdings eine ungünstige Bezeichnung, denn sie siedelt das Netz zu hoch in himmlischen Sphären an. Ich finde es passender, das Internet – bildlich – unter der Erdoberfläche anzusiedeln, dort wo in der realen Welt die Glasfaserkabel liegen – aber auch die Kanalisationsrohre für Schmutzwasser. Wenn man die extreme Verseuchung des Netzes mit Kriminalität, gefährlichen Zusammenrottungen oder sexuellem Schmutz in Betracht zieht, dann denkt man eher an „Unterwelt“ als an hehre Lichtgesänge. Wie gesagt, das Netz hat zwar intensive Bezüge zur realen Welt, ist aber auch frei von den Regeln der realen Welt.

Was kaum beachtet wird: Das Internet ist nicht nur mächtiger als die reale Welt, sondern die Verbindungen zwischen den beiden Welten werden immer stärker vom Netz aus gesteuert. Das Netz ist der aktivere Part; in der realen Welt wird immer mehr nur reagiert. Die Erkenntnis, dass Algorithmen es besser können als Menschen, wird achselzuckend oder gar offensiv als Leitfaden des realen Lebens akzeptiert. Das Netz arbeitet mit Daten, also füttert man es mit Daten. Besser gesagt: Das Netz saugt die Daten aus der realen Welt, auch solche, die von den betroffenen Menschen nur ungern geliefert werden, etwa weil sie zur Privatsphäre gehören. Der Datenverkehr muss nicht von den Menschen aktiv angestoßen werden, sondern sie haben allenfalls die Möglichkeit, einen voreingestellten Datensog zu verhindern – sofern sie sich auskennen und bereit sind, auf gewisse Bequemlichkeiten zu verzichten.

Aber auch die umgekehrte Richtung: Das, was aus dem Netz in die reale Welt zurückkommt, wird weitgehend vom Internet kontrolliert, und zwar so, dass die Menschen oben auf der Erde überhaupt nicht erkennen, was ihnen alles so untergeschoben wird. Ihr Kaufverhalten wird ebenso manipuliert wie ihr Kommunikationsverhalten. Informationen, auf denen Meinungsbildungen und Entscheidungen beruhen, sind zum großen Teil algorithmisch gefiltert. Das meiste, was aus dem Internet hochkommt, wirkt perfekt und stößt deshalb auf bedingungslose, ja geradezu blinde Akzeptanz. Die Zeiten sind inzwischen vorbei, wo Menschen das Internet formen konnten; es ist umgekehrt: Das Netz formt die Menschen, die sich blind oder bereitwillig unterordnen. In seinem Buch „Das digitale Debakel“ äußert der Insider Andrew Keen an mehreren Stellen die These „Zuerst formt der Mensch das Werkzeug, dann formt das Werkzeug den Menschen“.

Nun ist das Internet ja nicht von selbst so entstanden, wie es sich derzeit darstellt. Doch wer hat nun das Internet geformt? Bestimmt nicht die Idealisten, die im Netz die demokratische, freie Infomationszukunft erblickten. Bestimmt nicht jene, die sich vom Netz haben einfangen lassen und das Geplärre in den sozialen Medien zum Lebensinhalt deklarieren. Bestimmt nicht die Wirtschaftsvertreter und Politiker, die aus Schiss, die Medaillenränge zu verpassen, den Kragen hochstellen und sich in den Mainstream eingliedern. Jene Mahner, die die „digitale Transformation“ vorantreiben wollen – so oder so, Hauptsache schnell. Nein, das Internet wurde (und wird immer noch) von denjenigen geformt, die das Netz als große Chance nutzen, gigantische Geldgewinne anzuhäufen und damit auch Macht. Das machtvolle, chaotische und immer noch weitgehend rechtsfreie Internet hat etwas hervorgebracht, was in der realen Welt mit seinen behäbigen Mechanismen noch zu begrenzen war, nämlich einen golbalen, knallharten Monopolismus. Es sind nur wenige Firmen, die übers Netz die Welt beherrschen. Die Namen brauche ich nicht zu erwähnen; einfach mal mit Google Earth in die Gegend südlich von San Francisco eintauchen. In der weitläufigen Talmulde findet man die Prachtresidenzen der meisten digitalen Weltbeherrscher.

Nein, nein, von den hehren Zielen hat sich das Netz um 180° abgedreht. Nichts ist mehr vorhanden von dem freien, demokratischen Medium. Nichts mehr. Ein Dutzend profit- und machtgeile Protagonisten, eine Milliardenschar von buckelnden, mit dem Smartphone verwachsenen Menschen, die sich gerne auf Schritt und Tritt überwachen lassen. Es ist ja soo komfortabel und soo bequem.

Zum Schluss möchte ich ein Spiel beschreiben, dass meines Erachtens ganz meine Assoziationen mit dem Internet widerspiegelt. Auf einem Spielfeld lassen sich Figuren dadurch bewegen, dass man der Seite her einen Stock mit einem Magneten und das Spielfeld schiebt. Willenlos, unterirdisch wie von Geisterhand gesteuert, lassen sich die Männekes durch die Gegend schieben. Genauso kommen mir die ans Smartphone geketteten Leute vor. Deshalb bleibt mein Smartdingsbums fast immer zu Hause, irgendwo, in irgendeinem Regal oder Schrank. Meistens muss ich es suchen. Und wenn ich es nicht finde? Dann überlebe ich mit einem Achselzucken; andere Leute werden bei solchen Gelegenheiten wahrscheinlich in eine tiefe Krise gestürzt. Freiheit ist für mich nicht die eingebildete Freiheit im Netz, sondern die Freiheit vom Netz. Genauer gesagt, vom mobilen Netz, wo man als Datensatz wie ein beringter Vogel unterwegs ist.