Auf zum fröhlichen Gendern

Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich; er (gemeint ist der Mensch, der auch weiblich sein kann) hat den gleichen Anspruch auf Wahrung seiner Würde wie alle anderen. Diese Maxime ist absolut und bedarf keiner Begründung oder Eingrenzung. Nur mit der Sprache hapert es noch. Deshalb, quasi als Einstieg in die folgenden Gedankengänge, eine kleine Umformulierung, bei der wir „Mensch“ durch „Person“ ersetzen: Jede Person ist vor dem Gesetz gleich; sie (gemeint ist die Person, die auch männlich sein kann) hat den gleichen Anspruch auf Wahrung ihrer Würde.

Hmm, da deutet sich eine arge Zwickmühle an: Was nützen uns die besten Absichten, was nützen uns die klarsten Bekenntnisse, wenn uns die sprachlichen Mittel fehlen, um sie gebührend umzusetzen? Dabei hat man nach landläufiger Meinung die Sprache als Ursache für eklatante Missstände in der Gesellschaft ausgemacht. Wer im Netz Hass und Hetze verbreitet, wird sich irgendwann womöglich steigern und zum Messer greifen. Oder andere dazu verleiten. Wer lauthals über Moscheen und Synagogen schimpft, gehört zu der Gruppe von Menschen, die irgendwann aktiv werden können, zuerst mit der Farb-Spraydose, dann mit Molotowcocktails. Wer sich abwertend über das andere Geschlecht äußert, dessen Hand könnte sehr schnell im Umgang mit dem anderen Geschlecht ausrutschen.

Dieser Kausalzusammenhang, demzufolge viele Handlungen und Einstellungen eine unmittelbare Folge von verfehltem Sprachgebrauch sind, führt folgerichtig zu dem Kerngedanken, bei der Sprache anzusetzen, um gesellschaftliche Verbesserungen zu erzielen. Und da eines der Grundübel unserer Gesellschaft immer noch die Diskriminierung von Menschen mit anderem Geschlecht bzw. mit anderen sexuellen Orientierungen ist, versucht man nun, das Übel an der Wurzel zu packen, das heißt bei der Sprache. Es geht also um eine „gendergerechte Sprache“. Sogar der Duden-Verlag hat sich diesem Anliegen verpflichtet und steht vor einem Paradigmenwechsel. Er versteht sich nicht mehr als Beobachter und Hüter einer natürlich wachsenden Sprache, sondern als Schöpfer einer künstlich-synthetischen Sprache mit klarem politischen Anspruch. Was natürlich auch das wohlige Gefühl von Macht und Einflussmöglichkeit vermittelt. Und wenn da eine gewisse Anfälligkeit für fundamentalistische Anschauungen mitspielt – was soll’s. Zeitströmungen vermögen manches in den Rang ener Errungenschaft zu heben.

Aber schauen wir uns doch mal an, wo das Problem liegt. Als Beispiel nehmen wir irgendein Open-Air-Konzert (Corona lassen wir mal beseite). Riesenverfolg, in den Medien wird anschließend berichtet, dass es 15000 begeisterte Besucher gegeben hat. Da zuckt man förmlich zusammen; hat es keine Besucherinnen gegeben? Und wenn doch, hat man die einfach nicht mitgezählt, quasi nicht beachtet? Waren es in Wirklichkeit 30000? Wenn man nur die männliche Pluralform benutzt, dann muss man ja förmlich annehmen, dass eine reine Männergesellschaft da herumrockte. Das ist nicht nur Diskriminierung, sondern eine klare journalistische Lüge. Oder?

Erste Zwischenbemerkung: Wenn Sie, lieb(e)(r) Leser(in), das Gefühl haben, dass bei meinen Äußerungen so etwas wie zarte Ironie mitschwingt, dann ist Ihre Antenne schon ganz gut ausgerichtet.

Bis vor einigen Jahrzehnten spielte dieser Missstand keine bedeutende Rolle. Waren es Feministinnen, die schließlich auf die sprachliche Diskrininierung des weiblichen Teils der Bevölkerung aufmerksam machten?  Egal, jedenfalls sprach man mehr und mehr beide Geschlechter an. Man sprach also nicht mehr von den Lehrern, sondern von Lehrerinnen und Lehrern, von Schülerinnen und Schülern, von Hündinnen und Rüden. Absolut korrekt, aber irgendwie ein bisschen umständlich. Besonders deutlich wurde das in letzter Zeit bei der Berichterstattung über Corona-Maßnahmen. Da traten sie regelmäßig zusammen, die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Für Politikerinnen und Politiker, die ja immer viel zu erzählen haben, stellte dieses Ungetüm (16 Silben) ein arges Hindernis dar, das sie mit Redeschwung zu überwinden versuchten. Es wurde schnell mal ein „Ministerpräsidentin und Ministerpräsidenten“ daraus, schließlich sogar „Misterpräsidentn und Misterpräsidentn“. Heißa, es lebe die flüssige Sprache.

Also nicht ideal, diese doppelte Ansprache, und ich  kann verstehen, dass man sie nicht konsequent anwandte. Gelegentlich mal, um die eigene, gendergerechte Einstellung zu unterstreichen. Und so kann es nicht verwundern, dass man seit einigen Jahren nach bequemeren Lösungen sucht. Schließlich, liebe Leser*In, stieß man auf das Gendersternchen. Ok, wenn’s um die Schriftsprache geht, ist manches möglich; wir haben uns ja inzwischen auch an die Großschreibung mitten im Wort gewöhnt: eMail, ZuschauerIn usw. Papier und Datenträger sind geduldig, da kann man zusammenbasteln, was der anloge oder digitale Setzkasten hergibt.

Doch Sprache wird ja auch – gesprochen. Da wird’s allerdings etwas schwieriger. Unterbrechung mitten im Wort, so eine Art Schluckauf? Dabei protestieren einige Stimmbänder, die in Sachen Gendergerechtigkeit noch ungeübt sind. Mündliche Sprache strebt nämlich nach flüssigem Ablauf und sperrt sich etwas dagegen, mitten im Wort eine Schweige-Zehntelsekunde für Geschlechtergerechtigkeit einzulegen. Natürlich kann man den Genderunterbrechungsschluckauf üben, und einige sprachgewandte Zeitgenossen in Medien und Politik haben ihn schon ganz gut drauf. Ich denke da an Klaus Kleber, Petra Gerster (ehemals) oder Jana Pareigis. Beeindruckend, wie diese Leute das sprachliche Stolpern beherrschen und dabei gekonnt ein verlegenes Grinsen unterdrücken. Meisterleistung – sprachlich und mimisch. Drei Person*Innen, die – ei der Daus – alle beim ZDF wirken.

Zweite Zwischenbemerkung: Tut mir leid, aber ganz ohne Sarkasmus kann ich das Thema nicht abarbeiten. Mal sehen, ob ich noch deutlicher werden muss.

Leider ist nicht jeder ein Sprechpausenkünstler, und so ist zu erwarten, dass die meisten Leute die Genderfurche einfach verschleifen, glatt machen. Dann wird aus „Besucher … Innen“ schließlich nur noch „Besucherinnen“. Auch kein Malheur, denn es gibt deutliche Anzeichen, dass ein Jahrhundert der Frauen angebrochen ist. Warum zur Abwechslung also nicht mal ein Matriarchat? Wir Männer sind noch nicht so empfindsam, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht – solange wir noch einige Hebel in der Hand behalten.

Doch mit fortschreitendem Gendern und schleichendem Verlust an Einfluss werden auch die Männer sensibler, und sie werden sich fragen, wo sie denn bleiben, wenn zum Beispiel die „Journalist*Innen“ angesprochen werden. Der männliche Plural ist ja wohl „Journalisten“. Also doppeltes Gendern? Ginge ja, etwa so: „Journalist*en*innen“. Oder (Ladies first): „Journalist*innen*en“. Oder wir schneiden das Maskulinum aus der Rippe des Femininums, wie weiland mit umgekehrten Vorzeichen bei Adam und Eva. Dann hätten wir „Journalist*inn*en“. Wow. Noch ein paar Beispiele? Wie wär’s mit „Friseur*e*innen“? Oder „Amateur*innen*e“? Gleich noch ein Vorschlag: Wenn wir schon dabei sind, unsere Sprache neu zu formen, warum dann nicht auch so Dinge  wie „Mensch*Innen“ oder „Brüder*Innen-lichkeit“?

Manchmal frage ich mich, wie es unsere europäischen Nachbar*Innen machen. Liebe Engländer*Innen, habt ihr ähnliche Sprachprobleme wie die weiblichen und männlichen Teutonen? Oder fragen wir mal die Einwohner von Frankreich, die ja Wert auf sprachliche Eleganz legen. Wie soll ich sie anreden, etwa mit „Liebe Französ*Innen“? Aua, tut weh, also besser doch „liebe Franzos*Innen“? Ach, lassen wir’s, sollen die sich doch selber mit dem Genderproblem herumschlagen. Oder haben sie gar mit einem so künstlich geschaffenen Problem nichts zu tun? Wahrscheinlich nicht, glückliche Franzosen.

Zwischenbemerkung Nummer drei: Sorry, aber nun wird’s wirklich drastisch. Hoffentlich gelingt es mir, nicht beleidigend zu werden.

Das Gendern wurde ja erfunden, um die Menschen aller Geschlechter (wieviel gibt es inzwischen?) und aller geschlechtlichen Orientierungen anzusprechen, was im Prinzip nur beim Plural erforderlich ist. Im Singular lassen sich die Leute ja direkt mit dem passenden Genus ansprechen, meistens jedenfalls. Also Plural. Dennoch gibt es Versuche, auch im Singular zu gendern. So empörte sich eine junge Dame in irgendeiner Fernsehsendung darüber, dass zu viele Menschen Probleme mit dem Gendersternchen hätten. Ja, sie selbst sei eine Feminist*In. Dazu kann ich nur sagen: Du bist keine Feministin oder Feminist*In, sondern ganz einfach eine blöde Kuh. Und da du für mich Singular bist, kann ich mich auf die weibliche Form beschränken und den Ochsen außen vor lassen. Womit ich natürlich nicht sagen will, dass Ochsen in dem hier geschilderten Kontext keine Rolle spielen. Wenn man mal in die Parteizentralen oder einige Redaktionen hineinschaut …

Schwieriger wird der Fall bei einer Nachrichtensprecherin, die von „unserer Bundeskanzler*In“ sprach. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das akustisch richtig verstanden habe; immerhin halte ich die Moderatorin für durchaus kompetent. Vielleicht wollte sie das Gendern in den öffentlich-rechtlichen Medien auch nur auf die Schippe nehmen. Will ich mal annehmen.

Aber es gibt trotzdem einige Situationen, wo gendergerechte Sprache auch im Singular bedeutsam werden könnte. Beispiel: „Der Betrachter wird sofort von der freundlichen Stimmung, die das Gemälde ausstrahlt, berührt.“ Klar, kann natürlich auch eine Betrachterin sein, auf jeden Fall aber ist eine Einzelperson gemeint, die vor dem Bild steht. Hier wird das Gendersternchen so richtig gefordert, weil zusätzlich zur Person noch ein Artikel gegendert werden müsste. Also: „Die*der Betrachter*In …“ usw. Könnte es sein, dass das Sternchengendern sich überhaupt nicht mit der gewachsenen Sprache verträgt und eine völlig neu konstruierte Sprache erfordert? Oder könnte es sein, dass das Sternchengendern eine total bescheuerte Angelegenheit ist? Oder sollen wird einfach die Klappe halten und nichts mehr sagen? Und natürlich die Ohren zuhalten und nichts mehr hören? Wäre vielleicht keine schlechte Alternative.

Vielleicht versuchen wir’s mit einem völlig anderen Ansatz: Wir arbeiten daran, unsere innere Gesinnung frei von Diskriminierungen zu halten. Dann würde die sprachliche Äußerung nebensächlich, und wir hätten keine Probleme, wenn die geschlechtsneutrale Pluralform mit der femininen oder maskulinen Pluralform übereinstimmt. Wenn es nicht offensichtlich ist, dass alle Geschlechter gemeint sind, kann man ja immer noch die verschiedenen Pluralformen einzeln nennen. Vielleicht sollten wir weniger die formalen Aspekte betonen und stattdessen das in den Vordergrund rücken, was der Mensch mit dem Hören, Sprechen oder Lesen von Sprache verbindet. Oder einfach mal über den Unterschied zwischen dem grammatischen und biologischen Geschlecht nachdenken. Auch darüber, ob das lächerliche Herumeiern mit einem sprachfremden Unterbrechungslaut den Betroffenen nicht mehr schadet als nützt.

Vielleicht sollte man auch mal über die Bedeutung von Political Correctness im Sprachgebrauch nachdenken. Oberflächliches Sprachwohlverhalten, das am Kern der Sache vorbeigeht. Denken wir an die lächerliche Umbenennung der „Zigeunersauce“ in „Paprikasauce“. Oder die Benachteiligung der „indigenen Bevölkerung“ Amerikas. Als einsichtiger Sprachbenutzer habe ich das Etikett „Indianerbücher“ am Bücherregal ausgetauscht. Da steht nun korrekt „Nordamerika-Indigenen-Literatur“. Jetzt kann mir keiner mehr was wollen. Bei der Gelegenheit habe ich auch die CD vernichtet, auf der Alexandra den „Zigeunerjungen“ besingt. Bücher- und Medienverbrennung V 2.0?  Da gibt es etliches, dass ich eigenlich den Flammen übergeben müsste: Karl May, Wilhelm Busch usw. Und natürlich meine Sammlung von „Ein Herz und eine Seele“. Der neue Mensch ist halt kein Mensch einer schwammigen inneren Gesinnung, sondern der Mensch einer korrekten Sprache. Nicht der schwer kontrollierbare Inhalt soll nach Meinung der Genderer im Fokus stehen, sondern die jederzeit überprüfbare Fassade, die Oberfläche. Wenn die nämlich in Ordnung ist, wird’s drinnen auch wohl stimmen. Meint man, wie gesagt.

Zeitgerechte Hinwendung zum Formalen, leicht zu digitalisieren übrigens. Und algorithmisch präzise zu kontrollieren und zu beurteilen, was viel Erfolg verspricht. Auf in eine bessere Zukunft.

Ja, die deutsche Sprache. Dichterinnen und Dichtern wie Droste-Hülshoff, Schiller oder Fontane reichten die sprachlichen Mittel aus, um wahrhaft schöne und intensive Werke zu schaffen; Philosophen wie Kant oder Schopenhauer vermochten mit der deutschen Sprache die kompliziertesten Gedanken zu formulieren. Natürlich wurde die Sprache auch missbraucht, etwa wenn ein Josef Goebbels die Massen mobilisierte. Aber auch das belegt nur die Mächtigkeit der gewachsenen Sprache. Und nun die Leute, die der Meinung sind, dass man sie nicht meint, wenn man sie nicht ausdrücklich erwähnt. Diesen Leuten ist die herkömmliche Sprache nicht genug; sie wollen eine eigene Sprache, die ihren gesellschaftlich-politischen Absichten entgegenkommt. Dass sie dabei die gewachsenen Strukturen im wahrsten Sinne des Worten mit der Sternkeule zertrümmern, ist ihnen egal. Welch abscheuliche Hybris.


Nachtrag: Gestern konnte ich folgendes Gender-Highlight im TV bewundern: eine junge Dame sprach lautstark und akzentuiert von „Arbeiter*Innen-Familien“. Heißa, da eröffnen sich ja völlig neue Perspektiven: Schüler*Innen-Zeitung, Gläubiger*Innen-Ansprüche, Kund*Inn*En-Toilette (klingt doch nicht schlecht, oder?), Anfänger*Innen-Kurs usw. usw. Tausende von Möglichkeiten bieten sich hier, ein völlig neues Schlachtfeld, auf dem sich die fahnenschwenkenden Kämpfer*Innen für Geschlechtergleichheit bewähren können. Gendersternchen in Bestimmungswörtern, wirklich, da geht noch einiges auf dem Weg in die neue Sprache.

Klar, diese Art der Verwendung des Gendersternchens entlarvt im Grunde das gesamte Sternchengendern als eine primitive Zerstörung gewachsener Sprachstrukturen. Was nicht bösartig gemeint sein muss, aber ein deutliches Zeichen von mangelnder Sprachsensibilität ist. Beim Anfänger*Innen-Kurs geht es doch um die Voraussetzungen für die Teilnahme, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben. Und dem*der Kursleiter*In ist es in der Regel auch scheißegal, ob sich da weibliche oder männliche Teilnehmer*Innnen melden. Und wenn es ihm*ihr nicht egal sein sollte, aus welchem Grunde auch immer, dann hilft das Gendersternchen auch nicht.

Sprachtrümmer, um ein gesellschaftlichers Problem anzugehen? Mein Gott, das Gendersternchen macht aus dem berechtigten Anliegen einer diskriminierungsfreien Sprache eine mehr als unappetitliche, abstoßende Angelegenheit.  Und die Leute in Politik und Medienwelt, die den Genderschluckauf in aller Öffentlichkeit praktizieren, wirken entsprechend peinlich. Es ist wie ein lautes Rülpsen bei Tisch.


Und noch ein Nachtrag: Wie von mir nicht anders erwartet, kümmert sich insbesondere das ZDF einen Scheißdreck um sprachlich gewachsene Strukturen und praktiziert das Sternchengendern besonders häufig. Für mich ist das dermaßen unerträglich. dass ich mehrmals spontan die Kiste während einer Nachrichtensendung ausgeschaltet habe. Inzwischen bin ich so weit, dass ich auf den Sender völlig verzichte. Sollen die doch herumgendern, bis ihnen das Sternchen im Hals steckenbleibt. Tschüs, ZDF.

Ransomware

Immer häufiger schlagen die Internetkriminellen zu. „Besorgniserregend“ nennen es inzwischen einige Zeitgenossen, auch solche, die bisher vor allem durch ihre Blauäugigkeit in Erscheinung getreten sind. Immerhin.

Was ist geschehen? Ein besonders dreister Angriff mittels Ransomware. Tausende von Servern wurden lahmgelegt, und die Urheber forderten für das Aufheben der Verschlüsselung ein Lösegeld von 60 Millionen Dollar. Oder 70 Millionen, egal. Wie immer geht es im Umgang mit derlei Fiesem um drei Dinge: Ursachen, Folgen und Vermeidung ähnlicher Schadensfälle in der Zukunft.

Ursachen. Als Verursacher hat man eine kriminelle, russische Hackergruppe ausgemacht. Kann auch eine staatlich gelenkte Gruppe sein, aber das ist unerheblich, da die Grenzen in Putins Reich fließend sind. Vielleicht waren es auch gar keine Russen. Auf jeden Fall kann man die Bösewichter wohl nicht schnappen, und die Welt muss ertragen, dass sie weiter aktiv sein werden. Mit steigender Tendenz. Aber eines muss man ebenfalls sehen: Gut sind sie, diese Leute, verdammt gut.

Folgen. Na ja, so schlimm ist dieser Einzelfall ja gar nicht. Was sind schon 60 Millionen Lösegeld oder 600 Millionen für die Behebung des Schadens. Sicher, es summiert sich, da die Hackerangriffe sich häufen, und insgesamt kommen da schon etliche Milliarden heraus. Dennoch ist das alles noch überschaubar, weil die Lösegeldforderer sich ja melden müssen. Wirklich gefährliche Hacker mit nationalen Interessen und mit nationaler Unterstützung arbeiten verdeckt. Sie halten die Entdeckung von Schwachstellen geheim und pflegen sie. Sie ölen die Angeln an den Türen, die vom Feind als sicher angenommen werden, durch die man aber im Ernstfall bequem in die zentralen Kommandostellen eindringen kann. Dieser Ernstfall ist mit 100 Millionen Dollar nicht zu beheben, auch nicht mit 100 Milliarden. Dabei geht es um die Existenz ganzer Länder.

Absicherung. Klar, digitalerleuchtete Fachmenschen wissen, was zu tun ist. Betriebe und Verwaltungen müssen mehr in die Sicherheit investieren, und ansonsten: tolle (= unbrauchbare) Passwörter und auf jeden Fall Verschlüsselung der Daten. Dass alle Passwörter auf irgendeinem Weg zu knacken sind, und dass auch verschlüsselte Daten zerstört bzw. erneut verschlüsselt werden können, spricht man nicht aus. Das würde ja die Zuversicht in die digitale Zukunft beeinträchtigen. Und ganz nebenbei. Wie will man die Millionen von Privatrechnern im Home-Office absichern? Wie will man die Datenreinheit des ganzen smarten Hauskrimskrams garantieren? Wie will man die Clouds vor Turbolenzen schützen? Und vor allem: Wie will man die vielen, vielen Sicherheitslücken, die noch unentdeckt in den völlig undurchschaubaren und überfrachteten Betriebssystemen schlummern (Tendenz steigend), aufdecken?

Das Internet ist definitiv nicht abzusichern. Das eine, globale Netz, in dem man von jedem Ort aus alle Orte in der Welt erreichen kann, verspricht zwar digitales Glück, ist aber sicherheitsmäßig nur eine Utopie. Das funktioniert nicht, kann gar nicht funktionieren. Stellen wir uns vor, wir würden (und könnten) all unsere Warenströme einschließlich des Verteidigungsmaterials kreuz und quer durch alle Länder der Erde schicken. Etwa so: Hamburg – Moskau – Riad – Bremen. Natürlich wären die Fahrzeuge mit Schlössern gesichert, wären die Schlüssel irgendwo versteckt (Passwörter). Natürlich würden die Inhalte vorübergehend unbrauchbar gemacht (Verschlüsselung). Dennoch ein mulmiges Gefühl? Zu recht, aber genau so funktioniert das Internet.

Bleibt noch zu berichten, wie ich privat mit der strukturellen Unsicherheit des Internets umgehe. Ich arbeite viel mit dem Computer, sehr viel sogar. So programmiere ich intensiv, befasse mich mit Algorithmen usw. Ich schreibe relativ viel, bearbeite und verwalte eine Unmenge von Fotos. Ich schaue mir Filme auf DVDs an, gestalte Dinge für den 3D-Drucker mit Blender, gestalte Seiten für meine Homepage. Usw. Für all diese Tätigkeiten, die etwa 90% meiner Computerarbeit ausmachen, benötige ich kein Internet. Folgerichtig benutze ich dafür einen Rechner ohne Intenetanbindung; so brauche ich mich nicht mit Hackerangriffen herumzuschlagen, und meine sensiblen, persönlichen Daten verlassen nicht meine 4 Wände. Ja, wenn ich gelegentlich mal etwas unter Windows erledigen muss, starte ich Windows XP (jawohl, richtig gelesen: XP) mit seiner klaren Bedienungsoberfläche. Nach XP ging’s ja nur noch bergab.

Sicher, ganz ohne Internet geht es auch bei mir nicht. Dazu setze ich mich an den anderen Rechner, aber hier gilt die eiserne Devise: Ins Internet geht es nur unter Linux. Sollten wichtige Daten anfallen (der meiste Kram aus dem Internet ist relativ wertlos und schnell zu ersetzen), dann werden sie mittels Transport-Festplatte in den sicheren (= internetfreien) Rechner befördert.

Im übrigen gehe ich nicht davon aus, dass bei mir die Bedeutung des Internets zunimmt, denn das Netz wird immer sperriger und unbrauchbarer. Trotz Glasfaseranschluss muss ich seit einigen Wochen mitunter bis zu 3 Minuten warten, bevor eine Seite geladen ist. Erinnerung an alte Modem-Zeiten. Und die Suchmaschine von Google? Nur ein Beispiel: Ich suchte nach Informationen über den Vogel Condor. Fehleanzeige, nur Hinweise auf kommerzielle Seiten. Endlose Liste von Firmen, die „Condor“ im Namen enthalten, und natürlich auch Links zum berühmten Flugzeug mit den Delta-Flügeln, meistens auch mit kommerziellem Bezug. Sachliche Informationen? Uninteressant für Google, weil damit keine Moneten zu verdienen sind. Ab in die hinteren Reihen. Die kommerzielle Versumpfung in Form von Werbeeinnahmen ist neben der prinzipiellen Unsicherheit der zweite faule Stamm, auf dem das Internet gelagert ist.