Konsumnarren und ähnliche Digitalisierungsprodukte

Wenn man Politikern und Medienvertretern zuhört, gibt es nur einen gangbaren Weg in die Zukunft, nämlich den der Digitalisierung, und das möglichst schnell und möglichst weitreichend. Nichts soll davon ausgenommen werden, selbst die Bildung an den Schulen soll umfassend digitalisiert werden. Kreide und Tafel? Pfui, das ist ja ein Vergehen an unserer Jugend.

Was allerdings Digitalisierung bedeutet, ich glaube, darüber machen sich die wenigsten Leute Gedanken. Ich bezweifle sogar, dass die meisten Digital-Missionare überhaupt wissen, was man unter „digital“ und „analog“ zu verstehen hat. Wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, von einem „digitalen Parteitag“ die Rede ist, dann schimmert hier ein hohes Maß an sachlicher Unkenntnis durch.

Und so kann es nicht wirklich verwundern, dass die Leute blind in die „digitale Zukunft“ (auch so ein toller Begriff) hineinstolpern. Alle positiven Effekte der Digitalisierung werden gesehen (oder sich eingebildet) und als Fortschritt gerühmt; fast alle negativen Effekte übersieht man geflissentlich oder verdrängt sie, weil sie sich nicht mit dem Fortschrittsgedanken vertragen. Sicher, manche dieser Gefahren oder „Störungen“ rücken so langsam ins Bewusstsein der Zeitgenossen, wenngleich die Dimensionen noch nicht so richtig erfasst werden. Beispiel: Wenn es möglich ist, dass Hacker in die Server von Krankenhäusern eindringen, dann sollte man bedenken, dass Hacker mit etwas Mehraufwand lebenswichtige Strukturen ganzer Länder lahmlegen können. Die Vernichtungskriege der Zukunft erfolgen übers Internet. Schießgewehre und Atombomben? Spielzeug, kaum mehr als martialische Relikte aus der „analogen Vergangenheit“.

Und so gibt es mehrere Bereiche, wo man langsam beginnt, zumindest ein Unbehagen an sich heranzulassen. Eines aber ist bisher kaum in den Fokus von Kritikern gerückt, nämlich die Frage, was die Digitalsierung mit uns Menschen macht. Komfort und Bequemlichkeit? Klar doch, wir müssen unsern Hintern immer seltener aus dem bequemen Sessel hieven, und damit er nicht zu dick wird (der Hintern), lassen wir uns von digitalen Smartwatches oder Trackern durch die Gegend treiben. Zu blöd? Eigentlich schon, aber wir können dieses Gehabe ja ganz gut veredeln, indem wir das Etikett „Quantified Self“ oder sowas drüberkleben. Und uns natürlich überreden lassen, dran zu glauben.

Damit komme ich zum Kerngedanken dieses Beitrags: Was ist eigentlich mit uns geschehen, wenn wir uns hemmungslos von den digitalen Verlockungen treiben lassen? In meinen Beiträgen habe ich wiederholt darauf hingewiesen, dass das „digitale Leben“ die Menschen geistig und moralisch verkümmern lässt. Die Mechanismen, die das bewirken, sind unscheinbar, machen einen harmlosen Eindruck. Sie arbeiten langsam, leise und stetig, so wie die Tropfen, die auf Dauer einen Stein aushöhlen. Nein, ich will jetzt nicht schon wieder von den versteckten, zersetzenden Auswirkungen der sogenannten „sozialen“ Netzwerke sprechen, sondern auf einen völlig unverdächtigen Sachverhalt hinweisen, nämlich auf das Streaming.

Streaming – ein echter Digitalerfolg. Musik hören, was, wo und wann man möchte. Filme anschauen: jederzeit und überall, egal, ob mit dem TV-Gerät, Computer oder Smartphone. Bequemer geht’s nicht, üppiger Mediengenuss, so etwas wie ein Medien-Schlaraffenland, und das ziemlich kostengünstig und auch noch lecker zubereitet (also hochauflösend). Dass das Streaming ein arger Energiefresser ist, will ich hier nur am Rande anmerken.

Überfluss erzeugt auch Überdruss. Dinge, die so reichlich zur Verfügung stehen, dass man sich daran sattfressen kann, erzeugen Magenbeschwerden und werden kaum noch genossen, sondern nur noch hineingestopft. Ein Überangebot senkt den Wert, macht Dinge, die an und für sich durchaus gut und wertvoll sein können, zu wenig geschätzten Massenartikeln. Ich erinnere mich daran, wie unsere Töchter vor einigen Jahren ihre Videoabende organisierten, und zwar im Rahmen eines Freundeskreises. Zwei abgesprochene Filme wurden vom jeweligen Gastgeber in der Diskothek besorgt, ein Gast war für das Popcorn zuständig, ein anderer Gast für den Whisky, der nach dem zweiten Film probiert wurde. Und natürlich wurde diskutiert, über die Filme ebenso wie über den Geschmack der Whikysorte. Doppelter, gezielter Genuss, kein Massenkonsum. Abende, an die sich die Beteiligten immer wieder erinnerten. Casablanca mit Dirk Bogarde? Ach ja, da hatten wir doch den Talisker Storm von der Insel Skye probiert. Und Frank hat die Marseillaise angestimmt.

Genuss oder Massenkonsum. Das Streaming steht eindeutig für Massenkonsum. Und da die dahinter stehenden Geschäftsmodelle von Netflix oder Disney usw. auf Massen fokussiert sind, werden Neuproduktionen so gestaltet, dass sie den Geschmack möglichst vieler Konsumenten treffen. Wertvollere, künstlerische Produkte haben kaum noch eine Chance. Der Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger spricht in diesem Zusammenhang von „glattgebügelten“ Eigenproduktionen.

Doch viel schlimmer noch sind die Algorithmen, die das Medienverhalten der Nutzer erkunden und auswerten. Jeder Nutzer soll das Gefühl haben, dass für ihn persönlich die richtigen Inhalte zur Verfügung stehen. Und so werden Vorschläge gemacht. Bei Netflix z.B. wird bei den Vorschlägen eine Übereinstimmung in Prozenten angegeben. Übereinstimmung womit? Klar, damit können nur die Vorlieben des Nutzers gemeint sein. Und so erhält man immer wieder das vorgeschlagen, was man halt gerne sieht. Wer es liebt, dass das Blut spritzt und die abgeschlagenen Köpfe durch die Gegend kullern, der wird an die Hand genommen und ind die Welt des Spartacus, des Cheruskers Arminius („Barbaren“) oder der wilden Wikinger geführt. Und wenn man schon da ist, dann ist man sicherlich auch empfänglich für die Neuverfilmungen der Schlachten rund um Troja. Reichlich Gelegenheit zu blutigem Gemetzel, Hauptsache, der Konsument mag es. [1]

So werden also die Streaming-Konsumenten an die Hand genommen und durch die digitalisierte Medienwelt geführt. „Die Streaming-Dienste empfehlen den Nutzern nicht das Beste, sondern nur, was am besten zu ihnen passt. Das führt zu einer radikalen Einengung von Vorlieben und Geschmack.“ (Gerd Hallenberger).  Markus Kleiner, Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft, sieht darin sogar eine Bedrohung der Demokratie, weil diese Leitmedien „uns abtrainieren, was wir brauchen, um mündige Bürger zu sein: allem voran die Fähigkeit zur selbstbestimmten Entscheidungsfindung.“ Die Selbstbestimmung, also der Kern wirklicher Freiheit, bleibt auf der Strecke. Kunden, so Markus Kleiner, werden zu Narzissten und „Konsum-Narren“ erzogen.

Tatsächlich liegen hier die größten Gefahren der Digitalisierung: Sie verändert die Menschen, und zwar zu ihrem Nachteil. Es geschieht unmerklich, schleichend, gekoppelt an Komfort-Mechanismen, die als angenehm empfunden werden. Die Menschen bezahlen die digitale Bequemlichkeit mit dem irreversiblen Verlust an Freiheit und Selbstbestimmung. Und die andere Seite, die Seite der Anbieter? Sie manipulieren Menschenmassen und generieren Gewinn – und Macht, das sind ausreichend Triebkräfte, um viele Tabus zu brechen und Werte auf die Müllhalde zu werfen.

Im übrigen ist das Streaming nicht die einzige bedenkliche Erscheinung der Digitalsierung. Eng verwandt mit dem Streaming ist die personenbezogene Werbung. Die Bezeichnung „Konsum-Narren“ trifft auch auf jene Zeitgenossen zu, die der Internetwerbung Beachtung schenken und sich gut beraten fühlen, wenn ein unsichtbarer Algorithmus ihnen ein Produkt empfiehlt. Anlass, mal über den Erfolg von Amazon nachzudenken – sofern man noch bereit ist, sich auf anstrengendes Denken einzulassen. Denn auch das Denken wird zunehmend algorithmisiert. Befreit von der Last des Denkens und der Entscheidungen, tanzen die fortschrittlichen Menschen fröhlich um das Goldene Kalb der Moderne – die künstliche Intelligenz.

[1] Persönliches Beispiel. Ich hatte mich probehalber bei Netflix angemeldet, um die Serie „Bad Banks“ mit brauchbaren Untertiteln verfolgen zu können. Zufällig stieß ich dabei auf die Serie „Spartacus“, und da mich die geschichtlichen Umstände im letzten Jahrhundert vor Christi sehr interessieren, habe ich einige Folgen der Serie angeschaut. Ich will es kurz machen: Blut, Blut, Blut – ein ständiges Gemetzel, zertrümmerte Schädel, herumfliegende, abgehackte Köpfe, herausgerissene Herzen, und wieder Blut, dass blubbernd im Sand der Arena versickert. Das alles extrem realistisch dargestellt. Sogar die Art und Weise, wie das Blut aus aufgeschnittenen Kehlen fließt, entspricht der Form des Schnittes. Perfekte Fluid-Simulationen, alles, was moderne Digitaltechnik hergibt. Und dann die Zuschauer auf den Rängen oder auf der Triibüne. Menschen, die vor Begeisterung brüllen, die angesichts des Gemetzels in Ekstase geraten; Frauen, die erregt und verzückt ihre Brüste entblößen, wenn in der Arena der Sieger sein Schwert langsam in den Hals des Unterlegenen schiebt. Oder, auch beliebt, in ein Auge stößt, so dass die Spitze am Hinterkopf wieder sichtbar austritt. Prominente, die sich betrogen fühlen, wenn ein Kampf nicht mit dem Tod eines der Gladiatoren endet.

Ich habe die Serie nicht zu Ende geschaut, denn diese Art von Darstellung stößt mich ab und fördert nicht die Spannung. Dann aber las ich irgendwo, dass etwa 80% der Betrachter die Serie gut finden. Ist diesen Betrachtern eigentlich klar, dass sie sich auf eine Stufe mit den Zuschauern in der antiken Arena stellen? Spaß an Grausamkeit und herumspritzendem Blut, auch heute noch. Aber zurück zum Streaming. Mein kurzes Hineinschauen in diese Serie bewirkte, dass Netflix mir ähnliche Produkte anbot: Barbaren (Gemetzel Germanen gegen Römer), Vikings (Gemetzel der Wikinger auf Raub- und Eroberungszügen) oder Troja (bekanntes Gemetzel außerhalb und innerhalb der Stadtmauern von Troja). Alle hatten eine „Übereinstimmung“ von über 95%. Nachdem ich jeweils kurz hineingeschaut hatte, war mein persönliches Vorliebenprofil perfekt. Netflix teilte es mir sogar in einer Mail mit: Töten, Grausamkeit, Blut, Folterung usw. sind die Schlüsselworte meines Profils. Und entsprechend sehen die Empfehlungen auf der Startseite von Netflix aus.

Soll ich bei Netflix mal eine Reihe langweiliger Heimatfilme anschauen, um mein Profil in harmlosere Bahnen zu lenken? Wer weiß denn überhaupt, wer Zugang zu den Netflix-Profilen hat? Nee, besser, ich melde mich ab, so schnell wie möglich.

 

 

Amazon und das Paket

Der Gegenstand dieser Geschichte ist ein Paket. Genauer: ein Paket von Amazon. Noch genauer: ein Paket, das vom Amazon-Zustelldienst „Prime“ verschludert wurde. Klar, dass da eine Menge Ärger mitspielt. Aber auch eine kleine Portion Amüsement ist dabei. Das alles ist jedoch kein Grund, die Angelegenheit öffentlich zu schildern. Erzählenswert ist die Geschichte vom Paket, weil sie einen eindrucksvollen Einblick in die Zustände einer total digitalisierten Welt bietet.

Aber von vorne. Ich bin kein großartiger Online-Einkäufer. Sicher, gelegentlich mal, wenn kein Laden in der Nähe ist, wo man den begehrten Artikel erstehen könnte. Und jetzt, in Corona-Zeiten geht sowieso vieles nur übers Netz. Also habe ich den dringend erforderlichen, technischen Gegenstand im Werte von knapp 50 Euro bei Amazon bestellt. Liefertermin sollte der 15.2.2021, also Rosenmontag sein. Nach Murphy hatte der Zusteller dann wohl zielgenau die halbe Stunde abgepasst, da ich mal kurz Luft schnappen ging. Jedenfalls fand ich am Tag drauf den Empfänger-verpasst-Zettel im Briefkasten mit dem angekreuzten HInweis, die Sendung sei an einem wichtigen Ort hinterlegt worden. „1 packet“ und „Gelbe Tone“ [1] hatte der Zusteller auf den Zettel gekritzelt.

Ich schaute in die gelbe Tonne, die nicht weit vom Briefkasten an der Hauswand in der Einfahrt stand. Leer bis auf den Grund, nicht die Spur eine Paketes. Geklaut? Ach nee, eigentlich eher unwahrscheinlich, wer bricht schon in gelbe Tonnen ein? Es dauerte einige Stunden, bis mir auf einmal der Sachverhalt klar wurde. Der Zusteller sah die gelbe Tonne, die halbgefüllt an der Wand stand und dachte sich wohl, dass das ein gutes Versteck sei. Und soo dreckig war der Verpackungsmüll ja auch nicht. Was der Gute nicht wissen konnte: Am Abend schob ich die Tonne ganz an die Straße, damit sie am nächsten Vormittag geleert werden konnte. Natürlich schaute ich nicht mehr hinein, wozu auch? Und so wanderte mein begehrtes Paket am Dienstagvormittag mitsamt dem Verpackungsmüll in den Müllwagen, und der Inhalt dürfte inzwischen wohl nach Wertstoffen getrennt worden sein.

Doch mein Zorn hielt nicht lange an. Im Grunde hatte der Zusteller gar nicht mal so verkehrt gedacht, denn schließlich stand die gelbe Tonne an der Wand und nicht an der Straße. Woher sollte der Zusteller wissen, dass am nächsten Tag die Tonne geleert wurde? Das Ganze war also eher ein Missgeschick mit einer amüsanten Note: Amazon als Universalversorger, der seine Aufgabe so ernst nimmt, dass er seine Ware gleich wieder entsorgt. Versorgungskomfort vom Anfang bis zum Ende. Oder Produktkontrolle während des gesamten Lebenszyklus des Produktes, einer der Kerngedanken von Industrie 4.0. Fortschrittlich, fürwahr.

Aber wissen sollten die es dennoch, ich meine, die Leute von Amazon. Doch wie dahinkommen? Als ich auf die Kundenservice-Seite ging und nach einer Kontakt-EMail-Adresse suchte, ahnte ich noch nicht, dass es da keine Leute gibt. Amazon ist ein digitales Konstrukt, und alles wird digital erledigt. EMail? Um Himmels willen, dazu braucht man ja Menschen, die das Zeug lesen können. Lesen – wer kann das noch, außer einigen Spezialisten, die im Grunde viel zu viel Personalkosten verursachen würden. Also nix mit Luft ablassen per EMail, keine Adresse.

Stattdessen wurde ein Chat angeboten. Mir schwante schon so einiges, als ich unschlüssig den Mauszeiger um den entsprechenden Button kreisen ließ. Dann ein entschlossener Klick, und Amazon reagierte umgehend. Mir wurde ein Chatpartner namens „Mansi“ an die Seite gestellt, um das Problem zu lösen. Einige freundliche Phrasen zur Eröffnung, etwas steif, aber doch von angemessener Höflichkeit. Dass Mansi kein Mensch aus Fleisch und Blut war, sondern ein Algorithmus, wurde mir schnell klar. Wie sollte ich dem von „künstlicher Intelligenz“ geleiteten Chatroboter nun beibringen, dass das betroffene Paket eben nicht, wie er mir wissend mitteilte, am 15.2. zugestellt wurde? Denn dass Mansi über gelbe Tonnen Bescheid wusste, war nicht zu erwarten.

Kurz: Je verzweifelter ich versuchte, den Mansi über unser Müllsystem zu informieren, desto länger ließ er sich Zeit mit der Antwort (am Schluss mehrere Minuten), desto stärker häuften sich seine Grammatikfehler, bis hin zu einem peinlichen Gestammel. Und die Anzahl der Vorschläge wurde größer. Höhepunkt: Sieben verschieden Antworten auf eine meiner Fragen, Antworten, die alle eines gemeinsam hatten: Es gab kaum eine Schnittmenge mit der Problemlage. Erst als ich Mansi entnervt mitteilte, dass mein Problem nun dank seiner Hilfe gelöst sei, begann er digital zu strahlen und gab mir eine Liste von guten Wünschen mit auf den Weg. Gesundheit war dabei, und Freude oder sowas. Ach Mansi, ein im Grunde netter Idiot, ein Algorithmus, der mal versucht, Mensch zu spielen.

Tatsächlich wurde ich an das Programm „Eliza“ erinnert, mit dem Joseph Weizenbaum vor einem halben Jahrhundert erste Versuche mit „künstlicher Intelligenz“ startete. Mein Gott, wie doof war doch Eliza, und wie köstlich haben wir uns mitunter amüsiert, wenn mal wieder etwas richtig Bescheuertes herauskam. Sind die KI-Wesen von heute viel schlauer? Ein bisschen vielleicht, aber wenn ich an den Chat denke … KI-Frage am Rande: Warum sucht ein Rasenroboter nicht das Weite, wenn man neben ihm steht und mit dem Vorschlaghammer ausholt? Er gilt doch als intelligent, wurde mit „deep learning“ ausgebildet.

Zurück zu dem vorzeitig entsorgten Paket. Es fiel mir zunächst noch schwer, es ganz aufzugeben. Sollte ich die andere, von Amazon angebotene, Option noch wahrnehmen, also Amazon bitten, mich anzurufen? Einen Moment lang war ich tatsächlich versucht, auf den entsprechenden Button zu klicken, aber dann fiel mir der Echo-Lautsprecher von Amazon ein, die dahinter stehende Sprachanalyse bzw. Sprachsynthese. Nein, eine weitere digitale Missgeburt musste ich mir nach Mansi nicht antun. Ich beschloss, die 50 Euro Unkosten als Gebühr für eine amüsante Lehrstunde in Sachen Digitalisierung aufzufassen.

Einige Tage später erhielt ich einen Anruf: Ein Mann sagte etwas ich einem kaum verständlichen, holprigen Deutsch mit starkem osteuropäischem Akzent. Einige Wörter konnte ich heraushören, zum Beispiel „Computer“, aber es reichte nicht, um einen Zusammenhang zu erkennen. [1] Ich legte entnervt auf. Erst später kam mir der flüchtige Gedanke, dass der Anrufer, engagiert von Mansi, etwas mit meinem entsorgten Paket zu tun haben könnte,.

Unabhängig von dem verschmerzbaren Paket wirft diese Begebenheit ein Licht auf die Digitalisierung allgemein. Überall dort, wo menschliche Anliegen und Algorithmen aufeinanderprallen, bestimmen die Algorithmen das Geschehen, nicht die betroffenen Menschen. Es liegt einfach in der Natur der Sache: Algorithmen sollen menschliches Handeln und Entscheiden durch automatisiertes Handeln und Entscheiden ersetzen, dafür werden sie programmiert und auch ständig weiter optimiert. Meistens funktioniert das ja ganz gut, doch wenn die digitalen Automatismen auf Situationen stoßen, die über den engen Gesichtskreis der Algorithmen hinausgehen, steht der Mensch einfach nur dumm da. Völlige Hilflosigkeit ist die Folge, wenn keine Menschen erreichbar sind. Algorithmen haben keinen Blick für Ausnahmefälle; sie kennen keine Barmherzigkeit und haben kein Auge, dass sie gelegentlich mal zudrücken könnten.

Man kann auch von einer gnadenlosen Entmenschlichung sprechen, aber das betrifft nicht nur die Kunden eines Digitalkonzerns oder die Bürger unter einer volldigitalisierten Verwaltung, sondern ebenfalls die unmittelbar eingebundenen Menschen, also z.B. die Mitarbeiter eines Betriebes. Sie müssen einfach nur funktionieren, reibungslos ihren Job in dem Getriebe verrichten – solange sie noch nicht durch Maschinen zu ersetzen sind. Die Rolle der menschlichen Mitarbeiter wird, bedingt durch technischen Fortschritt, immer bedeutungsloser und anspruchsloser, zumindest dort, wo ihre Tätigkeit von Algorithmen gesteuert wird. Minderqualifizierte, billige und austauschbare Arbeitskräfte beherrschen mehr und mehr den Arbeitsmarkt.

Damit möchte ich den Kreis mit einer weiteren Geschichte von einem Paket schließen. Es ist schon ein Jahr her, da lieferte mir irgendein Paketdienst ein Päckchen aus. Alles ganz normal. Was das für ein Paketdienst war, weiß ich nicht mehr, ich erinnere mich aber, dass der Zusteller so ein mobiles Gerät in der Hand hielt, auf dessen Display ich meinen Namen kritzeln musste. Ich machte wohl eine Bemerkung darüber, dass man das Gekritzel kaum lesen könne, und wir beide kamen kurz ins Gespräch. Der Zusteller war wohl zum Reden aufgelegt, und ich fragte ihn, ob er die Zeit dazu habe. Er hielt mir erneut das Gerät hin und erklärte mir den Sachverhalt: „Sehen Sie, es ist nun11:04 Uhr. Hier steht es, um 11:09 Uhr muss ich bei Hartmann in der Gartenstraße das nächste Paket abliefern. Das ist in fünf Minuten, aber bis dort brauche ich vielleicht eine Minute. Einen schönen Tag noch.“ Schmunzelnd ging er zum Auto zurück. Tja, dachte ich, ein zufriedenes Zahnrad im Getriebe. Und er sprach ein einwandfreies Deutsch. Überqualifiziert?

[1] Ich habe die sprachlichen Mängel bewusst nicht vertuscht, aber nicht, um die Beteiligten zu diskriminieren, sondern um einen Hinweis auf die Personalpolitik digitalisierter Konzerne zu liefern. Kundenkontakte ohne die Sprache der Kunden zu beherrschen sind den Kunden gegenüber eine Frechheit und den unbeholfenen Mitarbeitern gegenüber eine Quälerei. Ich könnte noch weitere Beispiele bringen, etwa das Vorgehen der Deutschen Glasfaser, als es um meinen Hausanschluss ging. Aber das ist eine andere Geschichte.