Orientierungslosigkeit

Digitalisierung! Nie in der Menschheitsgeschichte hat es eine Entwicklung gegeben, die derartig expolosiv und gleichermaßen ungesteuert das Leben umkrempelte. Alle rufen nach Digitalisierung und laufen blindlings hinterher, einige mit sichtbaren Anzeichen von Verzückung. Große Ziele und beglückende Zukunftsaussichten werden an die Wand gemalt, und die Menschen werden mit dem Versprechen von Komfort und Bequemlichkeit angelockt. Sie folgen, wie die Ratten in Hameln dem Rattenfänger; der smarte Gesang zieht sie in ihren Bann. Wohin es genau geht, weiß niemand von ihnen.

Das wissen nicht mal die meisten der Rattenfänger. Am Wegrand sind verstörende Zeichen zu sehen, aber sie schauen nur nach vorne und hasten weiter voran. Die Digitalisierung ist längst zu einem Wettlauf zwischen Systemen und Nationen geworden, und ja, vieles wird in dem gelobten, digitalen Zukunftsland anders sein. Schlechter? Aber nicht doch, einfach nur anders, betont man. Verlust von Intimsphäre? Ja, sicher, aber mal ehrlich: Wozu brauchen wir die noch in der Zukunft? Nachdenken? Das überlassen wir viel besser der künstlichen Intelligenz, oder? Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen? Wozu noch, wenn digitale Kontrollen alles genau regeln? Mit Hassbotschaften und Lügen um sich spritzen? Ja, ist nicht schön, aber irgendwie wird es schon gelingen, das ein wenig einzudämmen. Zumindest die schlimmsten Folgen der digital angeheizten Verrohung sollten nach Möglichkeit unterbunden werden. Aber wie? Keine Ahnung, aber ist Verrohung nicht relativ, ist der Rückfall in analoge Strukturen nicht wesentlich schlimmer?

Und so irrt man umher. Man weiß nicht, wohin man gehen soll, ja nicht einmal, wohin man gehen will. Nur diejenigen, die aus dem komplexen Gefüge ein begrenztes Ziel herauslösen und alles andere beiseite schieben, gehen zielstrebig voran. Facebook zum Beispiel hat das Ziel, möglichst viel Geld zu machen und Macht zu gewinnen, nur dieses. Die exportorientierte Wirtschaft hat das Ziel, im globalen Wettbewerb an vorderster Stelle mitzumischen, nur dieses. Die satten, vollgefressenen Bürger haben das Ziel, mitzuhelfen, dass sie nicht mehr denken und ihre Ärsche hochkriegen müssen. Alles andere einfach nicht beachten. Und all diese Scheuklappenziele werden trefflich von der Digitalisierung bedient.

Und doch gibt es ein Unbehagen, denn bei allem technischen Fortschritt spürt man, dass alles, was das Leben im Kern ausmacht, nicht digital ist. Man spürt, dass entscheidende, zeitlos gültige Werte nicht digital geschützt werden können, sondern dass sie – im Gegenteil – von der Digitalisierung bedroht werden, dass die Digitalisierung kanalisiert werden muss. Aber wie? Hier mal „du, du!“ machen, dort (wieder) mal sagen: „Nun ist aber Schluss!“, ja das bietet sich an. Ansonsten wird weiter herumgeirrt, hechelt man weiterhin auf verschwommene Ziele zu, faselt man von „digitalen Transformationen“ und ähnlichen Vorgängen, die nur deshalb in den Adelsstand erhoben werden, weil sie im Namen den Adelstitel „digital“ tragen.

Natürlich sind die Menschen nicht dumm (noch nicht, denn die Digitalisierung ist noch relativ jung), aber um Orientierung zu gewinnen, braucht man nicht nur Intelligenz, sondern auch Sachkenntnis. Kann jeder Politiker, der von „Digitalisierung“ quatscht, damit aufwarten? Nein? Sollte er aber, wenn er so etwas in sein Parteiprogramm schreibt. Bei den Medien (ich meine jetzt die seriösen) ist es nicht viel anders. Dazu ein Beispiel:

Diese Tage wurde im Fernsehen verkündet, dass die Digitalisierung wegen des hohen Energieverbrauchs ein Klimakiller sei. Was für eine Neuigkeit! Dabei konnte sich jeder denken, dass das Streamen von Medieninhalten oder das permanente Speichern von Daten enorme Energiemengen benötigt. Aber sei’s drum. Bemerkenswert ist ein Lösungsvorschlag, der in diesem Zusammenhang gebracht wurde: Man solle nachhaltiger mit Akkus umgehen. Man könne ja jeden Akku und jede Batterie mit einem digitalen Stempel versehen und so den Gang bis hin zur Entsorgung verfolgen. Falscher Umgang werde konsequent aufgedeckt und ggfs. sankioniert. Und als zuverlässige Technik biete sich dafür die Blockchain an.

Abgesehen davon, dass ein solche „Produktkontrolle“ ein widerlicher Eingriff in persönliche Bereiche wäre, ist die vorgeschlagene „Lösung“ auch kontraproduktiv, was Ressourcenschonung und Energieeinsparung betrifft. Die Blockchain überzeugt zwar, wenn es um dezentralen, sicheren und abhörgeschützten Informationsaustausch im Internet geht, ist aber andererseits ein ungeheurer Energiefresser. Jede kleinste Aktion wird ja dauerhaft auf etlichen Servern vorgehalten. Die Datenmenge schwillt dabei auf gigantische Ausmaße an, und es ist nicht so, dass nur der Datentransport (z.B. beim Streaming) Energie frisst, sondern auch die Speicherung.

In der Digitaltechnik und in der Vernetzung steckt ohne Frage ein beachtliches Potenzial, doch wenn man völlig orientierungslos herangeht und jedes digitale Pflänzchen verwerten will, dann darf man sich nicht wundern, wenn man auch mal die eine oder andere Giftpflanze schluckt. Nicht alles, was so schon blüht, ist genießbar.

Sport?

Wow, das war schon ein bemerkenswerter Auftritt. Ich meine die Ballschieberei während der letzten zehn Minuten im Spiel Hoffenheim-München. War ja auch kein Problem: Die Hoffenheimer wichen der Gefahr aus, dass es am Ende noch 0:7 oder 0:8 stehen könnte, und die Münchner hatten mit dem 6:0 längst ihren Kantersieg im Sack. Kein Grund mehr, um sich noch groß anzustrengen. Dennoch eine geniale Idee.

Klar, diese großformatigen Schmähungen gegenüber Hopp waren eine Schweinerei und sind unentschuldbar. Und wenn dann ein Vertreter der Fan-Seite kommt und Verständnis für die Beleidigungen zeigt, weil es ein Protest gegen Kollektivstrafen sei, dann ist das ebenfalls ziemlich übel.

Doch was bei mir einige Fragen aufwirft, das ist das Opfer. Sicher, Hopp hat einen Verein zusammengekauft, ähnlich wie es bei RB Leipzig der Fall war. Es stellt sich schon die Frage nach Sportlichkeit, wenn man Erfolg einfach kaufen kann. Aber kann man das ganze Fußballgeschehen (nicht nur in die Bundesliga) überhaupt noch als Sport bezeichnen? Ist das nicht vielmehr ein Massenspektakel, bei dem der Verein mit dem meisten Geld die besten Aussichten hat, Titel anzuhäufen und damit noch mehr teure Spieler anzulocken und noch mehr Geld zu verdienen? Reines Geschäft: Hast du genug Moneten, kriegst du bald mehr davon; hast du schon sehr viele Moneten, prasseln die Gewinne nur auf dich ein. Hast du keine Moneten, Pech gehabt, aber dich muss es ja auch geben. Gewinner brauchen Verlierer.

Ach ja, zwar ist Bayern München ein Traditionsverein, aber die Spieler? Sind die nicht genau so zusammengekauft wie beim TSG Hoffenheim? Die meisten jedenfalls? Ok, die anderen machen’s auch, im Rahmen ihrer beschränkteren Möglichkeiten. Aber der Kampf um den zweiten Platz hat ja ebenfalls seine Reize, oder?

 

Toleranz gegenüber Rechts

Ausgerechnet Joachim Gauck, der ehemalige Bundespräsident (auf den ich bisher große Stücke hielt), plädiert für mehr Toleranz gegenüber der AfD, und er sperrt sich dagegen, wenn alle Wähler der AfD als Faschisten bezeichnet werden.

Das tut weh, Herr Gauck, nach den schlimmen Erfahrungen mit den Faschisten der NS-.Zeit. Wenn man damals weniger tolerant gegenüber Hitler gewesen wäre, vor allem im Ausland, dann wäre der Menschheit womöglich das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte erspart geblieben. Und die Wähler? Wenn jemand durch seine Stimmte kundtut, dass er eine Partei mit eindeutig faschistischen Tendenzen an der Regierung sehen will, dann ist er doch selber ein Faschist, ein passiver vielleicht, aber dennoch.

Ich halte Ihnen zugute, dass Sie als Ostdeutscher eine Lanze für die „unverstandenen“ Ostdeutschen brechen möchten, denn vor allem im Osten hat die AfD inzwischen einen demokratiebedrohenden Zuspruch erlangt. Aber wäre es nicht besser gewesen, eine Lanze für Menschenwerte und Demokratie zu brechen und die AfD-Wähler zu ermahnen, aktiv an der Verbesserung der Gesellschaft zu arbeiten, anstatt eine Partei zu begünstigen, die eindeutig (da werden Sie nicht widersprechen können) die Zerstörung der Demokratie zum Ziel hat? Eine Partei, die einen Björn Höcke in sich duldet, sogar als Landesvorsitzender, hat keine Toleranz verdient.

Die wahren Ursachen

Nach dem rassistisch motivierten Amoklauf in Hanau nun – entsprechend der Choreographie, die von solchen Ereignissen vorgeschrieben wird – das große Lamentieren über Ursachen und Konsequenzen. Hübsch geordnet nach Ressort. Der Innenminister setzt auf wirksamere Polizeimaßnahmen; der AfD-Vorsitzende warnt vor Instrumentalisierung solcher Verbrechen; die Linken betonen erneut, wie ignorant die Gesellschaft gegenüber den rechten Umtrieben ist; die Migrationsvertreter weisen auf die Angst hin, die Ausländer in diesem ausländerfeindlichen Staat erleiden müssen; die Bundeskanzlerin bleibt eher allgemein und sieht eine vergiftete Gesellschaft.

Die meisten stellen fest, dass die Radikalisierung vorwiegend im Internet stattgefunden hat, dort, wo Hass sich austobt. Und alle sind sich einig, dass man dagegen vorgehen muss. Die meisten lassen nicht unerwähnt, dass es sich bei den spektakulären Fällen der letzten Zeit um Einzeltäter gehandelt hat. Nur ein besonnener Experte macht deutlich, dass es keine Einzeltäter waren, denn im Vorfeld habe es die Kontakte oder Recherchen im Internet gegeben. Diese Leute im Hintergrund seien Mittäter.

Die Schlüsselbegriffe, mit denen solche rechtsradikalen Verbrechen charakterisiert werden können, sind schnell ans Board gepinnt:  Hass, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Fremdenphobie und Nationalismus. Ein Politiker betonte, dass Hass nicht vom Himmel fällt, sondern gemacht wird. Damit hat er die AfD in die Diskussion einbezogen. Und natürlich steht die AfD für rechtsradikalen, nationalistisch begründeten Hass, insbesondere die neue, vom Höcke-Flügel durchseuchte AfD. Aber auch das Internet bleibt – völlig zu Recht – nicht ungeschoren. Zufall, dass die AfD-Anhänger die mit Abstand größte Internetaktivität aufweisen?

Und wenn man schon die Ursachen kennt, dann kann man auch entsprechend reagieren und konsequent handeln, so wie beim letzten Verbrechen, so wie beim vorletzten Verbrechen oder so wie bei den Morden der NSU. Verpufft? Oh, da waren wir wohl etwas oberflächlich, aber diesmal … Prompt weist die Justizministerien darauf hin, dass sie eine Verschärfung der Internetregeln auf den Weg gebracht habe. Die Kommunkationsplattformen müssen grobe Verstöße melden, damit die Urheber bestraft werden können. Toll, Facebook als Zensor. Ausgerechnet Facebook, der Konzern, der umso mehr verdient, je widerlicher (und deshalb prickelnder) die Beiträge sind. Freundliche, sachliche Beiträge werden nämlich kaum beachtet, weil sie langweilig sind, zu langweilig, um etliche Likes herauszukitzeln. Schimpfen, toben, mit Dreck bewerfen, au ja, das kommt an und tut soo gut. Tut auch Facebook gut, denn der Traffic schaufelt die Milliarden in die Konzernkasse und ermuntert zu höheren Aufgaben: KI-Forschung, eigene Währung usw. Wer schon mal die hinter dem Geld stehende Macht geleckt hat …

Und doch greifen die Überlegungen zu kurz, sie sind zu oberflächlich, weil sie die wahren Ursachen unberührt lassen. Der Angehörige eines Hanau-Opfers hat beklagt, dass er in Furcht leben müsse, solange es die AfD gibt. Das klingt so, als habe er Angst vor der AfD, was natürlich Unsinn ist. Die AfD tut niemandem etwas; es sind die Wähler der AfD, von denen die Gefahr ausgeht. Und man lässt die wahren Ursachen links liegen, wenn man glaubt, dass Hass von der AfD erzeugt wird. Sicher, Hass und Rassismus werden gezielt geschürt, aber es gäbe sie auch ohne AfD – und ohne Internet.

Nur – in einer funktionierenden Gesellschaft spielen Hass, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, Antisemitismus usw. keine bemerkenswerte Rolle, sie werden von positiven Tendenzen überlagert. Doch immer bleiben diese bösen Tendenzen latent erhalten; sie lagern sich als Bodensatz ab. Wie gesagt, in ruhigem Wasser bleibt der Bodensatz unten, aber wenn es unruhig wird, dann wirbelt die stinkende Masse hoch und sorgt für eine Eintrübung der Gesellschaft. Und klar, es gibt genügend politische oder wirtschaftliche Kräfte, die allzu gerne in diesem Trüben fischen und wissen, wie man dicke Brocken an die Angel bekommt.

Wie also bekämpft man die wahren Ursachen? Der Urtrieb des Nationalismus lässt sich kaum unterdrücken, er kann höchstens kanalisiert werden. Vor allem muss der Staat sich eindeutig bekennen und das Übel klar beim Namen nennen. Solange mlan die Gefolgsleute von Pegida oder dem AfD-Flügel der „unverstandenen Mitte der Gesellschaft“ zuordnet, wird der Dreck weiter aufschäumen. Wer sich einer Gruppe mit verbrecherischen Parolen anschließt, ist ein Verbrecher. Punkt. Genau diese Gefolgsleute sind es, vor denen die verfolgten „Anderen“ Angst haben. Zu Recht.

Das zweite ist das Internet. Solange es in der jetzigen Form besteht und sich als Plattform für jeden anonymen Schreier anbietet, solange trägt es ganz erheblich zum Aufwühlen des beschriebenen Bodensatzes bei. Wahrscheinlich ist das Internet sogar der Hauptschuldige am erneuten Aufflackern des nationalsozialistischen Gedankenguts. Sanktionen und Kontrolle? Ok, kann nicht schaden – aber auch nicht viel nützen, denn das Netz ist viel zu verzweigt und unüberschaubar, um einen ordentlichen, moralisch vertretbaren Betrieb zu gewährleisten. Im Internet werden Zugriffe gezählt, wobei das soziale  Niveau bei diesem Massenbetrieb zwangsläufig in sich zusammenfällt. Für Verabredungen oder organisatorische Regelungen innerhalb von Gruppen, in denen man sich gegenseitig persönlich kennt, kann das Netz Positives leisten, keine Frage. Und wenn die Gruppen sehr klein sind (z.B. familiärer Rahmen), kann das Netz auch eine tolle Plattform für gegenseitige Kommunikation sein – sofern keine privaten Daten abgegriffen werden. Doch der Massenbetrieb sorgt dafür, dass die Kommunikation zu einer billigen Ersatzkommunikation verkommt. Und wenn diese Ersatzkommunikation die echten Verbindungen verdrängt, dann führt das zwangsläufig zu einem Gegeneinander.

MIt Ersatz lässt sich aber keine menschenwürdige Gesellschaft gestalten, das ist nur mit echtem Miteinander (ja, mit Augenkontakt) möglich. So kann man nur von einem widerlichen Zynismus sprechen, wenn eine Massenplattform wie Facebook mit dem Begriff „Miteinander“ wirbt. Facebook, Whatsapp, Instagram usw. sorgen für das Gegenteil, nämlich für ein Gegeneinander. Genau hier muss angesetzt werden: Es muss alles daran gesetzt werden, die Kommunikation auf den „sozialen“ Plattformen auf ein Minimum zu beschränken. Aber das ist zur Zeit wohl nicht vermittelbar, und deshalb kann ich nicht optimistisch in die Zukunft schauen. Es wird weitergehen, vielleicht mit anderen Formen der Beschimpfung, vielleicht nicht ganz so offen, aber solange die Lust an Hassausbrüchen besteht, solange es Wege gibt, die Sau herauszulassen, so lange wird es auch zu Gewalttaten kommen.

Im übrigen greift es zu kurz, nur an rassistisch-nationalistische Gewalttaten zu denken. Hass, der im Internet aufschäumt, wird sich ebenfalls in der nichtpolitischen Szene auswirken. Es wird u.a. zu häufigeren, scheinbar unmotivieren Amokläufen oder ähnlichen Ereignissen kommen. Hierbei geht es nicht nur um die Ersatzkommunikation im Netz, sondern auch um das Erleben in einigen Computerspielen, das irgendwann die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verschwimmen lässt.

Historisches Vorbild

Stellen wir uns folgenden Menschen namens H. vor: Er ist Lehrer in Hessen, träumt von einer großen, deutschen Nation, hasst alles, was nicht ar… , pardon: deutsch ist. Und er will seine Visionen realisieren. Wie soll er vorgehen? Gar nicht so einfach in einer Demokratie, die sich in knapp 70 Jahren verfestigt hat.

Nun, als erstes muss er in eine Gegend ziehen, wo die Leute noch nicht so viel Erfahrung mit Demokratie haben, Thüringen zum Beispiel. Dann braucht er eine Partei, die für nationalistisches Gedankengut zumindest aufgeschlossen ist. Eine Partei, die sich noch formen lässt. Gibt es zum Glück, und somit ist der Wirkungskreis schon mal geschaffen. Ansonsten orientiert sich Herr H. an einem Vorbild, ebenfalls ein Herr H., der vor 90 Jahren zeigte, wie man es macht.

Als erstes kommt es darauf an, in der Partei die absolute Gefolgschaft sicherzustellen. Zweifler müssen überzeugt, Unverbesserliche herausgeschmissen werden. Ob man die bereinigte Partei irgendwann umbenennt, wie es der historische Herr H. gemacht hat, ist nicht unbedingt wichtig; Hauptsache ist doch, dass die nach nationaler Größe gierenden Bürger sich in der Partei wiederfinden können. „Alternativ“ oder sowas klingt schon mal ganz gut, der Begriff deutet zumindest auf etwas noch nicht Vorhandenes hin. Und was bisher nicht vorhanden war bzw. irgendwie abhanden gekommen war, ist klar: Deutschland über alles.

Dann, ganz wichtig, muss Stärke demonstriert werden: die Leute auf der Straße müssen zwischen Furcht und Bewunderung schwanken, diese Mischung mobilisiert. Am besten sich einreihen. Der alte Herr H. hat dazu braune Schlägertrupps auf die Beine gestellt; der neue Herr H. kann auf bestehende Formationen zurückgreifen. Sie marschieren wöchentlich vor allem in Dresden und sagen, wo’s lang geht: Raus mit allem Fremden, mit allen Nichtar…, pardon, Nichtdeutschen. Der Stil der Banner hat sich geändert, aber die Grundfarben schwarz-rot-weiß sind geblieben. Immer günstig, wenn man erst mal im Rahmen des geltenden Rechts operiert – die Maske kann man noch später abwerfen.

Die wichtigste Regel ist zweifellos, dass man ein griffiges Feindbild schafft. Man muss ja wissen, wohin mit seinem Hass und seiner Zerstörungswut. Und – ebenfalls ganz wichtig – die Feinde müssen nah genug sein, dass man ihnen ohne großen Aufwand in die Fresse schlagen kann. Damals waren Juden überall präsent, denn sie machten einen wesentlichen Teil der deutschen Kultur und des deutschen Gemeinwesens aus. Da macht es sich ganz gut, wenn man die antisemischen Thesen des historischen Herrn H. aufgreifen und modernisieren kann. Modernisieren, das heißt das Feindbild um moderne Eindringlinge wie Moslems oder Flüchtlinge erweitern.

Und so arbeitet sich der heutige Herr H. zielstrebig voran. Das Ziel, einen künftigen, völkischen Staat ohne lästige Demokratie aufzurichten, ist nicht ganz einfach. Aber zum Glück kann Herr H. (von heute) ja die gelungenen Strategien des Herrn H. (von damals) kopieren, wenn auch in modifizierter Form. Die Grundlehre: Wenn du die Demokratie beseitigen willst, dann gelingt das am besten, wenn du die demokratischen Freiheiten nutzt, um ihr den Hals umzudrehen. Nur einig muss die Fraktion sein, deshalb ist es ja auch so wichtig, eine solide Parteil auf die Beine zu stellen und auf das gemeinsame Ziel auszurichten. Erste Stufe der Gleichschaltung.

In der Tat, Einigkeit wirkt Wunder. Der alte Herr H. veranlasste seine Fraktion, geschlossen (ganz wichtig) den Reichstag zu verlassen, um das Parlament, das allerdings auch beschissen organisiert war, beschlussunfähig zu machen. Der heutige Herr H. muss da schon ein bisschen subtiler vorgehen, damit die Absichten nicht zu schnell erkannt werden. Da kann man zum Beispiel einen eigenen Kandidaten aufstellen und einstimmig (ganz wichtig) nicht wählen, sondern eine bedeutungslose Figur, hinter der eine bedeutungslose Partei steht. So geht das auch. Strategische Verarschung.

Und wenn man dann so einen Teilerfolg erzielt hat, dann ist erst mal Demut angesagt, das macht sich gut. Ein Händedruck mit devoter Verbeugung. Auch dabei kann der historische Herr H. als Vorbild dienen. Damals galt der Händedruck dem Reichspräsidenten, heute dem gewählten Ministerpräsidenten. Dem Ministerpräsidenten auf Zeit, natürlich. Und dann – Kopf wieder hoch und auf zum nächsten Schritt. Die Marschierer und Brüller in Dresden verlangen nach einem prominenten Redner.


Ich wollte noch einige Gedanken hinzufügen, aber soeben erfuhr ich in den Nachrichten, dass letzte Nacht in Hanau ein Deutscher aus wahrscheinlich nationalistisch-rassistischen Motiven elf Menschen mit Migrationshintergrund erschossen hat. Die Wirklichkeit überholt die Befürchtungen. Ihr Kommentar, Herr H.?

 

 

Zukunft

Zusammen mit dem Stern, dem ich die Anregungen zu diesem Beitrag entnahm, kaufte ich mir den Focus. Ok, ist nicht gerade mein Lieblingsjournal, aber da ich bemüht bin, mich möglichst vielseitig zu informieren, lange ich auch schon mal auf die andere Meinungsseite hinüber. Um ehrlich zu sein, es waren vor allem zwei Aufmacherartikel, die mich zu dem Kauf verleiteten. Zum einen ein Artikel über ClearView „Das Ende der Privatsphäre“. Da brauche ich nicht drauf einzugehen. Klarer Fall von Datensumpf, aber das ist nun mal Digitalisierung – und alles wird schon hinreichend erörtert, inzwischen auch in seriösen Medien, die mehr und mehr ihre Blauäugigkeit ablegen.

Der andere Beitrag „Das System kollabiert“ ist schon interessanter. Corinna Baier interviewt den amerikanischen Ökonom und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin, der mit mehreren Buchveröffentlichungen (u.a. „The Green New Deal“) als Superexperte in Sachen Technologie und Wirtschaft in Erscheinung getreten ist. Bei dem Interview ging es zunächst um Klimaziele, aber es wurde zu einem Gespräch über grundsätzliche Zukunftsfragen. Es ist nicht ganz einfach, in diesem sich immer stärker auseinanderfächernden Interview so etwas wie einen roten Faden auszumachen, aber ich versuch’s mal, auch auf die Gefahr hin, dass ich das eine andere missverstehe oder nicht korrekt einordne.

Ich beginne mit Jeremy Rifkin, der mir bis jetzt unbekannt war. Er ist in Fachkreisen wohl äußerst angesehen, denn immerhin hat er schon Weltkonzerne, die EU-Kommision, die chinesische Regierung (!) und Frau Angela Merkel beraten. Ich verbeuge mich kurz vor ihm, und nun zum Inhalt des Interviews, in Form von Thesen, die er geäußert hat:

  1. Bei den entscheidenden Paradigmenwechseln in der Geschichte gab es drei Technologien, die das bewirkten: Kommunikation, Energie und Transport. Diese Technologien, in Verbindung mit der Infrastruktur, „erschaffen sich selbst. Es sind nicht Wirtschaft oder Politik, die das vorgeben“.
  2. Fossile Brennstoffe, die Energiequellen der zweiten industriellen Revolution, gehören der Vergangenheit an.
  3. Die Zukunft, eingeleitet durch die dritte industrielle Revolution  wird auf einem digitalisierten Energie-Internet basieren. Dabei wird Energie auf vielfältige Weise dezentral erzeugt und mit Hilfe von Algorithmen verteilt. Das schon bestehende Telekommunikations-Internet muss sich mit dem Energie-Internet vereinen.
  4. Ab 2030 wird eine omnipräsente Infrastruktur des Internets of Things mit einheitlichen Standards vorherrschen. Jedes einzelne Gebäude wird ein Knoten im Netz sein, smart, energieeffizient, komplett ausgestattet mit Sensoren.
  5. Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, wird kommen, denn die Marktwirtschaft ist zu langsam für die digitale Zukunft, in der alles vernetzt ist. Wir werden uns von Märkten zu Netzwerken, von Käufern und Verkäufern zu Anbietern und Nutzern, vom Besitz zum Zugang entwickeln. Nach dem Kapitalismus kommt die Sharing Economy.
  6. Fake News sind schrecklich. Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich möglichst viele Menschen miteinander verbinden. Die Empathie wächst mit der Infrastruktur.

Schon stecke ich tief im Dilemma. Einerseits sind da die Ausführungen eines anerkannten Ökonomen und Zunkunftsforschers, andererseits ein kaum noch beschreibbares Unbehagen, dass der Experte mit seinem Zukunftsbild bei mir auslöst. Zukunftsängste hat es immer gegeben, wenn etwas Neues, Anderes anstand. Aber das waren Ängste vor dem Unbekannten, noch nicht Vertrauten, vor dem, was man noch nicht einordnen konnte. Das ist heute bei mir anders. Ich bin sehr wohl mit Algorithmen vertraut, und das, was die fortschreitende Vernetzung verursacht, ist ja überall schon zu beobachten. Es sind keine erfreulichen Beobachtungen, und selbst offensive Digitalbefürworter sehen mehr und mehr ein, dass es so, wie es bis jetzt gelaufen ist, nicht weiter gehen darf.

Wie also ist das einzuordnen, was Jeremy Rifkin als die zukunftsweisende Lösung der Menschheitsprobleme in Aussicht stellt? Einiges ist sicherlich richtig und auch zu befürworten, so zum Beispiel das Ende der Nutzung fossiler Energien. Der Schutz des Planeten und damit der Schutz unserer Lebensgrundlage erfordert ein radikales Umdenken; die Zeit für Kompromisse ist bereits überschritten. Es ist auch richtig, dass das kapitalistisch orientierte Wirtschaftssystem damit am Ende ist – am Ende sein muss. Aber die Begründung wiederum irritiert: Weil die Wirtschaft zu langsam für den digitalen Wandel ist? Basieren nicht gerade die natürlichen und gesellschaftlichen Strukturen zum großen Teil auf einem Gleichgewicht, das sich wiederum nur bei einer gewissen Trägheit einstellen kann? Ohne Dämpfung ist jedes System in Gefahr, schon bei leichten Störungen in gefährliche und irgendwann nicht mehr bremsbare Schwingungen zu geraten.

Dass Kommunikation, Energie und Transport die relevanten Elemente der Technik sind, ist leicht nachzuvollziehen. Selbst dass Politik und Wirtschaft sich ganz pragmatisch an diesen Strukturen orientieren, ist noch verständlich. Aber ist die Abhängigkeitskette wirklich so einseitig bzw. darf sie überhaupt so einseitig sein? Ist es nicht so, dass die Technik auch von der Wirtschaft abhängig ist? Oder von der Politik, die wiederum die Bürger der Gesellschaft vertritt? Kann, darf eine Gesellschaft es überhaupt zulassen, dass Technik von ihr Besitz ergreift, ohne dass eine wirksame Kontrolle über die technologische Entwicklung stattfindet? Sind nicht die Menschen, von Rifkin weitgehend ausgeklammert (zumindest in dem Interview), die wichtigsten Protagonisten in diesem komplexen Beziehungsgefüge? Darf man überhaupt eine technischen „Fortschritt“ über sich ergehen lassen wie ein Naturereignis? Und wenn nicht, welche Bedingungen sind es, die korrigierend eingreifen können oder müssen?

Fragen über Fragen, auf die der Ökonom Rifkin keine schlüssigen Antworten liefert. Nun ist zu bedenken, dass Ökonomie keine Wissenschaft ist, die sich auf fundamentale Wahrheiten berufen kann. Ökonomische „Wahrheiten“  sind dem zeitlichen Wandel unterworfen und werden sehr stark von ideologisch geprägten Wunsch- und Zielvorstellungen bestimmt. Gute Ökonomen sind halt solche, die ein vom Beurteiler bevorzugtes Wirtschaftssystem vorantreiben oder solidarisieren. Ein Ökonom, der für freie Marktwirschaft eintritt, hat eine ganz andere Sicht- und Beurteilungsweise als ein vom Sozialismus überzeugter Wirtschaftsexperte. Und ein von der totalen Vernetzung überzeugter Ökonom wird seine Therorien und Gedanken digital ausrichten und begründen. Gut klingende Argumente lassen sich immer finden, die Komplexität der Materie gibt es her. Insofern muss man sich die Theorien Rifkins nicht unbedingt zu eigen machen, erst recht nicht, wenn sich seine Ansichten mit einem zwangsläufig noch verschwommenen Zukunftsbild vermischen.

Zurück zu den inhaltlichen Aspekten. So wichtig Technologie auch sein mag, in einer Gesellschaft muss sie sich stets an wichtigeren Zielen orientieren. Wenn sich zum Beispiel das kapitalistische Wirtschaftssystem als überholt herausstellen sollte, dann nicht, weil die technische Infrastruktur ein anderes System begünstigt oder verlangt, sondern weil die Gesellschaft zu der Erkenntnis kommt, dass Mensch und Natur bessere Strukturen verdienen. Bei einer solchen Betrachtungsweise kann man durchaus die Impulse sehen und aufgreifen, die sich aus technischem Fortschritt ergeben. Aber wenn die Impulse in die negative Richtung steuern, dann muss die Technik gestoppt werden, und zwar so rechtzeitig, dass die Folgen noch nicht unumkehrbar sind. Die Kerntechnik sollte eine Mahnung sein.

Die Prognose, dass aus Märkten Netzwerke, aus Verkäufern und Käufern Anbieter und Nutzer, aus Besitz Zugang wird, wird zum Teil schon durch die Realität bestätigt. Car-Sharing, Streaming, smarte Taxi-Systeme, Crypto-Währungen sind mehr oder weniger frühe Realformen der Shared Economy. Doch ohne kapitalistische Impulse? Im Grunde handelt es sich um einen digitalen Sozialismus, den Rifkin als Zukunftsmodell zeichnet. Aber haben sich derartige Ansätze in der Geschichte nicht immer als Utopien herausgestellt, die nach einer gewissen Zeit zusammenbrechen? Wie gesagt, die Menschen haben auch noch ein Wörtchen mitzureden – zum Glück. Menschen wollen nicht nur benutzen und teilen, sondern auch besitzen.

Es gibt noch eine Passage, die mich veranlasst, die Vollständigkeit des Rifkinschen Weltbildes ein wenig in Zweifel zu ziehen. Es sollen sich möglichst viele Menschen miteinander verbinden, damit die Empathie wächst. Das ist, gelinde gesagt, Unfug. Die überbordenden Verbindungen, die wir derzeit in den sozialen Netzwerken erleben, sorgen auf Grund der unvermeidlichen Anonymität der Kontakte für das genaue Gegenteil von Empathie, nämlich für Hass und Rohheit. Aber um das richtig einzuschätzen, darf man sich nicht nur um Energie, Wirtschaft und techische Infrastruktur kümmern, sondern muss die Menschen mit ihren Stärken und Schwächen in den Vordergrund rücken; das andere ist nachgeordnet. Und in diesem Zusammenhang verbietet sich ja auch die Synthese des Internets der Dinge mit dem Telekommunikationsnetz, in welchem vor allem ein zwischenmenschlicher Informationsaustausch stattfindet. Menschen dürfen niemals von Maschinen gesteuert werden. Und die Konvergenz der Netze, die Rifkin so sehr heraufbeschwört, ist eine schlimme Nivellierung – Menschen auf Maschinenebene.

Und dann ist da noch Rifkins Beratung der chinesischen Regierung. Ich weiß nicht, was er den Machthabern in Peking geraten hat. Entweder haben die nicht auf ihn gehört (warum?), oder sie haben seine Ratschläge befolgt und den schlimmsten Überwachungsstaat in der Geschichte der Menschheit auf die Beine gestellt. Welche Rolle spielt Rifkin? Welche Rolle hat er bei der Beratung von Frau Merkel gespielt? Hat er sogar einen Anteil daran, wenn Frau Merkel in Saarbrücken die Sorge äußert, dass zu viel Datenschutz ein Hindernis auf dem Weg zu Big-Data sein könnte?

 

Kinder- und Jugendschutz

Das Jugendschutzgesetz dient u.a. dazu, alles von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten, was sie gefährden oder ihre Entwicklung negativ beeinflussen kann. Glücksspiele, Alkohol, allzu freizügige Sexdarstellungen usw. sind typischerweise tabu  für junge Menschen. Das ist prinzipiell gut und richtig, auch wenn es hier und da mal hakt oder sich eine Maßnahme nur unvollkommen umsetzen lässt. Oder eine Maßnahme im Einzelfall überzogen sein mag.

Und nun auf einmal das Internet. Hier können Kinder und Jugendliche zocken nach Herzenslust, hier ist Kriminaliät nur einen unbedachten Mausklick entfernt, hier sind die widerlichsten Pornodarstellungen nur zwei gezielte Mausklicke entfernt. Im Internet können Jugendliche alles ablegen, was ihnen Schule und Elternhaus an Erziehung und Anstand mitgegeben haben; im Internet gewöhnen sich Kinder rechtzeitig daran, wie prickelnd es ist, andere Kinder restlos fertig zu machen.

Wenn die Gesellschaft den Kinder- und Jugendschutz nur halbwegs ernst nähme, müssten Smartphone und Tablets für Bürger unter 18 schlichtweg verboten sein.

Und dann gibt es ja noch den direkten Kindesmissbrauch mit Hilfe des Internets. Ich meine jetzt gar nicht mal den sexuellen Missbrauch – ja, den auch, aber der ist offensichtlich genug, so dass ich hier nicht drauf eingehen muss. Ich denke vielmehr an die Preisgabe von persönlichen Daten. Wenn wir Erwachsenen z.B. auf Facebook herummachen und in Kauf nehmen, dass Persönlichkeitsprofile von uns angelegt werden, ist das unsere Entscheidung bzw. Dummheit. Kinder können die schlimmen Folgen dieser Datensammelei noch gar nicht abschätzen, und infolgedessen müssen die Erwachsenen kompromisslos dafür sorgen, dass die Daten der jungen Menschen auf keinen Fall auf irgendeinem Server landen.

Konkret heißt das, dass sprechendes, mit dem Netz verbundenes Spielzeug verboten wird. Ja, die Erlaubnis zur Benutzung von sprechenden Puppen ist Kindesmissbrauch. Konkret heißt das auch, dass schulische Lern- und Leistungsdaten nur über ein Netz geschickt werden, das besonders abgedichtet ist. Eine strikte Trennung vom allgemein zugänglichen Internet ist unerlässlich, so wie bei Krankheitsdaten.

Wann denken wir wieder daran, unseren Nachwuchs zu schützen?

Erste kritische Stimmen

Seit rund zwei Jahrzehnten gibt es bei der Vernetzung der Welt nur eine Richtung: immer mehr, immer schneller. Man spricht nicht von „Vernetzung“, sondern von „Digitalisierung“ und ist überzeugt, dass damit alle Probleme der Welt gelöst werden können. Vor allem das derzeitig aktuelle Klimaproblem. Wenn es um die Nennung ganz konkreter Vorteile durch die Vernetzung geht, ist man nicht mehr ganz so schnell bei der Hand (womit auch?), und wenn man die Argumente mal etwas sortiert, dann stellt man fest, dass es zu einem ganz erheblichen Teil darum geht, auf dem digitalen Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Man muss einfach mitmachen, weil man im globalen Wettbewerb in der Spitzengruppe sein möchte.

Dass die Vernetzung auch mit Nachteilen verbunden ist, wird als Nebenwirkung betrachtet, die behoben werden kann, wenn man nur dran arbeitet. Die fortschreitende Vernetzung darf ja nicht gefährdet werden, und im übrigen hat man ohnehin keine Wahl, denn die totale Vernetzung wird kommen. Ja, sie wird einfach kommen, und die Gesellschaft muss sich anpassen. So denkt man.

Doch inzwischen hat sich die anfängliche Euphorie ein wenig gelegt, denn die Nachteile der Vernetzung werden immer deutlicher; sie sind nicht mehr einfach vom Tisch zu wischen. Und es sind keine marginalen Nebenwirkungen, die sich ohne weiteres beheben lassen. Die Negativfolgen der Vernetzung haben das Potenzial, Gesellschaften zu zerstören, ja weltweite, kriegsähnliche Konflikte hervorzurufen. Hier nur einige wichtige Aspekte:

  • Sicherheit. Systembedingt ist die Unsicherheit im Internet sehr hoch und lässt sich nicht so weit beheben, dass man lebenswichtige Vorgänge über das Netz abwickeln darf. Passwörter? Mein Gott, dass dieses Passwortgehampel nicht funktionieren kann, sollte inzwischen jeder wissen.
  • Miteinander. Die vernetzte Kommunikation hat die zu erwartende Entwicklung genommen und ist zu einer Hasskommunikation geworden, die zwangsläufig mit einer Verrohung der Gesellschaft einhergeht.
  • Wahrheit. Die Wahrheit bleibt auf der Strecke. Fake News, Deep Fakes oder Cheap Fakes bestimmen das, was als faktisch richtig erkannt wird oder erkannt werden soll.
  • Privatsphäre. Menschen werden bis in ihre intimsten Bereiche hinein beobachtet und überwacht. Die Ergebnisse werden analysiert und dauerhaft zur gegenwärtigen oder zukünftigen Auswertung gespeichert.
  • Freiheit. Meinungen und Einstellungen werden gezielt und – individuell angepasst – gesteuert. Unter anderem wird auch das Kauf- und Wahlverhalten von Bürgern manipuliert.
  • Energie und Klima. Auch das darf nicht unerwähnt bleiben. Der Datenverkehr übers Netz verschlingt enorme Mengen an Energie, vor allem die als Patentlösung propagierte Blockchain-Technik. Smarte Technik kann nur ein Teil des Mehrbedarfs an Energie kompensieren.
  • Werte. In fast allen Lebensbereichen bewirkt die Vernetzung einen drastischen Wertverlust, teilweise durch die schiere Masse von allem Möglichen, teilweise durch Verflachung des Konsumverhaltens, wobei das Streaming eine erhebliche Rolle spielt,
  • Verantwortung. Dadurch, dass die Vernetzung den Menschen Entscheidungen in vielen Lebensbereichen abnimmt, bleiben Entscheidungskraft und Verantwortungsbereitschaft auf der Strecke. Algorithmisierte Moral.
  • Usw.

Und nun doch einiges Aufbegehren. So zum Beispiel im Stern, Ausgabe 5-2020. Der Artikel befasst sich vorwiegend mit Lügen und Manipulationen im Netz, deckt also nur einen Teil der negativen Auswirkungen der Vernetzung ab. Ich will an dieser Stelle nicht die Thesen und Begründungen des Artikels aufgreifen, sondern nur auf die im Artikel eingebundene Liste von Ratschlägen für mehr Datensicherheit  eingehen. Die Tipps lesen sich wie eine Zusammenfassung dessen, was ich seit mehreren Jahren in diesem Blog immer wieder thematisiere. Ich möchte aber in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass ich in meinen Beiträgen zwar den einen oder anderen Zeitungsartikel zitiert habe, dass das aber nur zur Veranschaulichung meiner persönlichen Meinung geschah. Meine Meinung basiert auf gesundem Menschenverstand und einer Portion Erfahrung im Umgang mit Computern und Algorithmen.

Umgekehrt darf ich auch davon ausgehen, dass den Autoren des Stern-Artikels mein Blog unbekannt war. Und so war es für mich äußerst verblüffend, was ich im Stern unter der Überschrift „Wie schütze ich mich?“ las:

  • Bezahlen statt gratis. Klar, es geht zu Recht gegen das Geschäftsmodell von Facebook & Co. Ich selbst war niemals mit Facebook unterwegs und bevorzuge die saubere Plattform Threema für Kontakte innerhalb der Familie. Nein, keine Likes, kein „Teilen“.
  • Nichtkommerzielle Software nutzen. Ein Hieb gegen Micrsooft und ein Plädoyer für Open-Source-Programme. Seit 15 Jahren arbeite ich teilweise, seit 4 Jahren fast ausschließlich mit Linux. Übrigens kinderleicht zu installieren und zu bedienen.
  • Handy richtig konfigurieren. Hier stieß ich auf Resignation: „Leider gibt es, was den Datenschutz angeht, keine wirklich empfehlenswerten Smartphones“. Stimmt, habe ich wiederholt festgestellt und als Urheber die ständige Netzanbindung und das App-System herausgestellt.
  • Weniger googeln. Gemeint ist vor allem, weniger die miteinander verkoppelten Google-Dienste in Anspruch nehmen. Habe ich noch nicht direkt thematisiert, aber eine damit zusammenhängende Technik, die Synchronisation von persönlichen Geräten, habe ich mehrmals kritisch hinterfragt.
  • Bar bezahlen, in lokalen Läden einkaufen. Natürlich darf der Online-Kauf im Interesse eines gesunden Gemeinwesens nur eine Ergänzung sein, und bargeldloses Bezahlen ist immer mit der Preisgabe von Daten verbunden. Ich weiß nicht, wie oft ich das schon angesprochen habe. Der Erhalt des Bargelds ist immens wichtig.
  • Keine Sprachsteuerung. Wörtlich: „Alexa, Siri und Google-Assistent [… ] sind faktisch Wanzen, die allem, was wir tun, im Hintergrund zuhören.“  Wie oft habe ich die diese Geräte schon verdammt, teils ironisch, teil bissig, aber immer vehement.
  • Weniger smart sein. Also weniger Klamotten ans Internet hängen, vor allem die Geräte des Smart Home.  „… haben oft nur einen begrenzten Mehrwert, öffnen aber das eigene Zuhause der Überwachung aus dem Internet …“. – So schön habe ich es noch nicht formuliert; ich sprach nur wiederholt von einem hohen Maß an Überflüssigkeit. Begrenzter Mehrwert – das gefällt mir.
  • Weniger vernetzen. Gemeint ist die Einschränkung der Nutzung sozialer Netzwerke. Kein Kommentar, wer die Beiträge in meinem Blog überfliegt, der merkt schnell, was ich schon seit Jahren ständig anmahne.

Soweit diese Übersicht im Stern – Wasser auf meine Mühlen. Und danke auch für den Ausdruck, den ich bisher noch nicht kannte: Human downgrading. Er beschreibt die Abwertung des menschlichen Miteinanders durch die Vernetzung. Downgrading, welch treffender Gegensatz zu der bislang gültigen Maxime des ständigen Upgradings in der IT-Welt. Vernetzung hoch – menschliches Miteinander runter. Wer diesen Zusammenhang versteht, der merkt schnell, wie bodenlos zynisch es ist, wenn ausgerechnet Facebook in seinen Anzeigen mit dem Begriff „Miteinander“ wirbt.

Kapiert ihr’s endlich?

In letzter Zeit ist es üblich, China als Muster für eine lückenlose digitale Überwachung vorzustellen. Sicher, China ist der Überwachungsstaat schlechthin, und in vielerlei Hinsicht wird der von George Orwell (1984) beschriebene Albtraum durch die Realität bereits übertroffen. Doch China scheint für viele weit weg zu sein, zu weit, um sich bedroht zu fühlen. Jedenfalls macht man unbekümmert weiter, klickt auf dem Smartphone herum, dass es glüht, genießt den „Komfort“, sich mit Fingerabdruck oder Gesichtserkennung einloggen zu können, freut sich über „künstliche Intelligenz“, die dank der Spracherkennung das mühsame Schreiben in vielen Fällen entbehrlich macht.

Und dann auf einmal die Nachricht, die regelrecht aufschreckte und vielerorts für Entsetzen sorgte: In den USA gibt es eine Internet-Plattform namens ClearView, die mehr als drei Milliarden Bilder von Gesichtern enthält, diese per Gesichtserkennung auswertet und die gewonnenen Personendaten in einer gigantischen Datenbank speichert. Wer zahlt, kann auf die Daten zugreifen, und zahlende Interessenten gibt es reichlich, vor allem in der amerikanischen Polizei- und Geheimdienstszene.

Die Annahme, sowas wie in China könne in der demokratischen, westlichen Welt nicht entstehen, ist pure Blauäugigkeit. Es ist einfach eine Erfahrungstatsache, die sich aus psychologisch-soziologischer Sicht wahrscheinlich sogar begründen lässt: Was technisch möglich ist, wird auch gemacht – irgendwann, irgenwo, von irgendjemand. Und Technik, die missbraucht werden kann, wird missbraucht, irgendwann, irgendwo. Wenn mit irgendwas Geld zu machen ist, egal worum es sich handelt, wird es zu Geld gemacht, irgendwo und irgendwann. So ist das nun mal, und in den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass sich Daten herrvorragend vermarkten lassen, sofern kein eindeutiger Riegel vorgeschoben wird. Intimsphäre? Datenschutz? Achtung vor der Menschenwürde? Facebook hat vorgemacht, wie sich diese Dinge hervorragend ignorieren lassen. Man braucht nur kräftige Schlagworte, um das miese Geschäft in ein positives Licht zu stellen. Bei Facebook heißt die wirkungsvolle Parole „miteinander“. Die damit verbundene Lüge wird von den meisten Menschen dann gern überhört.

Bei der Gesichts-Datenbank heißt die Parole „Sicherheit“, ebenfalls eine Lüge, denn den paar Fahndungserfolgen, mit denen die Polizei ihren Zugriff auf die Datenbank rechtfertigt, steht ein Einbruch in die Privatbereiche von Milliarden von Menschen gegenüber. Bereiche, die nicht wirklich sicher gemacht werden können, denn die Sammlung der Gesichtsdaten erfolgt ja nicht durch kompliziert zu öffnende Hintertüren, sondern ganz einfach durch das Scannen von Fotos in den digitalen Netzwerken oder auf Internetseiten.

Was man dazu braucht, ist nicht viel. Der Urheber von ClearView, ein Australier mit vietnamesischen Wurzeln, hat es: Man braucht vor allem einen gewissen Hackerinstinkt und dann einige Freunde oder Investoren, die Geld für die Start-up-Investition bereitstellen und etwas Know-how im Umgang mit Programmierung und KI-Systemen besitzen. Den Rest besorgen automatische Scan-Programme, die sich durch Webseiten und Medien hangeln. Links und Likes machen es diesen Programmen einfach. Vor allem natürlich ist es die Leichtfertigkeit der Nutzer, die ClearView ermöglicht. Konsequenz? Ganz einfach: Bilder von Privatpersonen gehören weder auf eine Internetseite noch in einen Twitterbeitrag, erst recht nicht auf Instagram oder Whatsapp. Und jetzt kommt’s: Da jedes Smartphone eine Kamera enthält und Apps sich dieser Kamera bedienen können, ohne dass man etwas davon mitbekommt, lässt sich gar nicht vermeiden, dass Bilder in die schmutzigen Fänge von Datenhaien wie ClearView gelangen. Die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind, liegen auf der Hand, und so will sie hier nicht auseinanderlegen. Ja, es sind schwerwiegende Konsequenzen, die sich ergeben.

Andererseits auch nicht allzu schwerwiegend, denn man kommt hervorragend zurecht, wenn man das Smartphone sparsam, am besten nur in dringenden Fällen benutzt. Ich halte mich dran und vermisse nichts. Gar nichts. Aber je stärker die Gesellschaft von diesen Dingern Gebrauch macht, desto mehr nähern wir uns den chinesischen Zuständen. Garantiert. Als ClearView in einer TV-Sendung vorstellt wurde, da fragte man einen  Vertreter der Polizei, ob die Benutzung einer solchen Datenbank auch in Deutschland denkbar sei. Der Polizeisprecher hatte seine Bedenken und forderte vor allem nationale, von den USA unabhängige Lösungen. Aber die Leistungsfähigkeit der in Deutschland entwickelten Gesichtserkennung sei noch nicht ausreichend; die Trefferquote sei noch nicht zufriedenstellend.

Ich bin sicher, dass man diese Schwächen bald ausmerzt, und dann steht einem deutschen China ja nichts mehr im Wege.

 

Fleisch

FFFFriday For Future. Eine neue, weltweit agierende Bewegung, die Kraft und Nachdrücklichkeit vor allem aus der Jugend der Beteiligten bezieht. Toll. Am Anfang gab es ja einige kritische Stimmen, von wegen Schule schwänzen am Freitag oder einfach Lust am Prostestieren haben. Die sind weitgehend verstummt, diese Stimmen, denn FFF kommt immer überzeugender daher. Vor allem durch die Bereitschaft der Akteure, persönliche Beiträge zum Klimaschutz zu leisten. So lehnen es die meisten der Protestierenden kategorisch ab, mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen. Oder sie vermeiden das energiehungrige Streaming, überhaupt jeden überlfüssigen und stromfressenden Datenverkehr mit dem Smartphone. Und – viele essen auch kein Fleisch mehr, da sich inzwischen herumgesprochen hat, wie klimaschädlich das ist.

Vor allem das Rindvieh macht gewaltige Probleme, da sie als Wiederkäuer so einiges an Methangas produzieren, das – pups – hinten entweicht. Da fällt mir ein, dass es schon im 19. Jahrhundert einen Klimaschützer gab, vielleicht den ersten der Weltgeschichte. Er hieß Buffalo Bill und reinigte die amerikanische Prärie nachhaltig von Methan furzenden Büffelviechern. Nicht dass die damals schon großen Klimaschaden anrichtten konnten, aber stellen wir uns vor, diese vielen tausend Viecher würden heute noch leben und im Verein mit Autos, Kraftwerken, Smartphones und den Rindern am Klima knabbern.