Kinderwurst

Ja, es gibt sie, die kleinen Begebenheiten, die einen froh stimmen und für eine Weile den großen Ärger vergessen lassen. Ich beginne mit der Erinnerung an eine Zeit, als wir noch Jungen waren. Wir mussten die Einkäufe erledigen, mindestens einmal täglich beim Lebensmittelhändler, etwa zwei mal die Woche beim Metzger. Unsere Mutter schrieb auf, was zu kaufen war, die Verkäuferin schrieb an, und samstags kaufte Mutter selbst ein und bezahlte. Wir empfanden unsere Einkaufspflicht nicht als schlimm, aber doch als etwas lästig, vor allem, wenn wir lieber auf dem nahen Schulplatz gebolzt hätten. Andererseits bekamen wir beim Metzger immer eine Scheibe Schinkenwurst auf die Faust, und beim Lebensmittelhändler durften wir in das große Glas mit Himbeer-Bonbons greifen.

Vor einigen Tagen nun im Supermarkt, an der Fleischtheke. Die Verkäuferin fragte ein kleines Mädchen zu meiner Linken, ob es eine Scheibe Wurst wolle. Das Mädchen strahlte und nickte überdeutlich. Während die Kleine die Scheibe Schinkenwurst von der hingehaltenen Gabel streifte, sah ich nach rechts, wo die Mama des Kindes stand. Geht das überhaupt noch, dachte ich, heute, wo sich alles um gesunde Ernährung dreht? Müssen da die Kinder nicht ausgewogen (= fleischlos) ernährt werden? Aber die Mama strahlte auch, freute sich, als sie zusah, wie die Kleine die Wurstscheibe andächtig zusammenfaltete und ins Mündchen steckte. Ich konnte nicht anders, ich musste mitstrahlen. Wir lächelten gemeinsam, es war, als wären wir für einige Momente miteinander vertraut geworden.

Doping

Immer, wenn es um Wettbewerb geht, versuchen die Parteien, möglichst viele Vorteile zu ergattern. Im Sport ist das nicht anders, zumal der Leistungssport mit lukrativen Geschäften verbunden ist. Siegen bringt nicht nur Ruhm, sondern vor allem auch Geld, mitunter viel Geld. Oft so viel, dass der sportliche Gedanke in den Hintergrund rückt.

Aber Vorteile nützen nur etwas, wenn der Gegner noch nicht drüber verfügt. Vorsprung ist also angesagt. Und wenn der Gegner einen Vorsprung hat, muss dieser möglichst schnell aufgeholt werden. Wohlgemerkt, hier geht es nicht um die sportliche Leistungsfähigkeit im engeren Sinne, sondern um Rahmenbedingungen, die einen erheblichen Einfluss auf die sportlichen Ergebnisse haben können. Und so arbeitet man seit jeher an diesen Rahmenbedingungen.

Man entwickelt zum Beispiel leistungsfördernde Sportbekleidung. Die Gegner ziehen mit einigen Jahren Verzögerung zwar nach, aber im Augenblick hat man die Vorteile auf der eigenen Seite. Oder man befreit die Athleten von beruflichen Zwängen, stellt sie beruflich frei, so dass sie sich intensiv auf Sportereignisse vorbereiten können. Da können nicht alle mitziehen, aber einige Länder lassen sich ihre Sportkanonen einiges kosten. Trainingslager, Höhentraining usw.

Natürlich müssen die Athleten körperlich auf der Höhe der Leistungsfähigkeit sein. Sie müssen also richtig ernährt werden, unter ärztlicher Kontrolle. Sie brauchen evtl. Nahrungsergänzungsstoffe, ein abgestimmtes Maß an Vitaminen usw. Sie brauchen Medikamente für eine Top-Gesundheit. Es gibt auch Medikamente, die die Leistungsfähigkeit unmittelbar erhöhen. Also verwendet man sie. Bei all diese Maßnahmen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit, angefangen von den Rahmenbedingungen bis zur Gesundheits- und Leistungsförderung geht es nicht um Sportlichkeit, sondern um Ergebnisse.

Nur ist es so, dass gewisse Maßnahmen für den Athleten schädlich sind, und das geht natürlich in einer Zeit, die voll auf Gesundheit abgefahren ist, überhaupt nicht. Man verbietet sie also und bezeichnet die verbotenen Maßnahmen als „Doping“. Die Grenze zum Erlaubten ist allerdings fließend, und man kann sich nur helfen, indem man einen stets wachsenden Katalog von verbotenen Maßnahmen verwaltet, wobei man den kreativen Doping-Akteuren immer einen Schritt hinterherhechelt.

Das Gesundheitsargument gegen das Dopen muss man gelten lassen, wir sehen ja heute, welchen Preis die Medaillenflut der DDR verlangte. Aber das Argument der unerlaubten, unsportlichen Vorteilsbeschaffung ist einfach nur bescheuert, quasi vorgeschoben, denn wenn es darum ginge, dann müsste man viel tiefer ansetzen. Sportlich faire Verhältnisse und Profisport – das sind zwei Dinge, die offenbar nicht zusammenpassen. Bechränken wir uns also auf den Unterhaltungswert.

Macht was ihr wollt !

Vor kurzem fragte mich ein Bekannter, ob ich mich nicht auch einer Aktion gegen den Artikel 13 der EU-Urheberrechts-Reform anschließen wolle. Schließlich habe ich auf meiner Webseite doch deutlich bekundet, dass ich Gegner von Urheberrechten sei.

Stimmt, ich habe in meinem Impressum ausdrücklich auf jeden Urheberanspruch auf meine Webinhalte verzichtet. Mit dem, was ich veröffentliche, kann also jeder machen was er will, ohne Einschränkungen. Nee, ich halte nicht viel von Urheberrechten, zumal die eigentlichen Nutznießer ja die mächtigen Verwertungsgesellschaften sind. Ich habe auch Probleme mit dem Begriff „geistiges Eigentum“? Lassen sich geistige „Produkte“ überhaupt verwerten, indem man sie auf monetäres Niveau herabzieht? Nicht zuletzt ist das, was zum Beispiel in der Musikszene als geistiges Eigentum produziert wird, eher digital produzierter Lärm.

Auf der anderen Seite pochen die Gegner der Urheberrechtsreform auf den Erhalt der Freiheit im Intenet. Doch was ist das, diese Freiheit? Die Freiheit, alles Mögliche hemmungslos verbreiten zu dürfen? Erfordert das Internet mit seinen vielfältigen Möglichkeiten nicht auch die Fähigkeit und Bereitschaft, mit der Freiheit verantwortungsvoll umzugehen? Bis jetzt ist davon nicht viel zu sehen. Eigentlich nichts. Diejenigen, die nach Freiheit schreien, sollten erst mal zeigen, dass sie damit vernünftig umgehen können.

Und Upload-Filter? Auch so ein krummes Ding. Die Medienplattformen haben m.E. weder Befugnis noch wirksame Werkzeuge, um als Zensoren auftreten zu können. Sicher, sie müssen geeignete Mittel schaffen, dass alle (!) unrechtmäßig verbreiteten Inhalte schnell und bis in die letzten Winkel wieder gelöscht werden können, restlos, aber das ist eine rein technische Frage. Andererseits: Wenn mal etwas zu viel in den Upload-Filtern hängen bleibt, na und? Die Internetgemeinde kann sich über ein zu Wenig an Inhalten ganz bestimmt nicht beklagen. Ich weiß gar nicht, ob die Protestierenden überhaupt wissen, worum es eigentlich geht. Kann gut sein, dass sie bereits Opfer eines „Hochwasser-Internets“ sind. Vielleicht können Upload-Filter dazu beitragen, dass einige Leute ein wenig vom Smartphone wegkommen. Dann hätte das krumme Ding immerhin noch etwas Gutes.

Fassungslosigkeit

Ich wollte meinen Mobil-Vertrag ändern und wandte mich in der Telekom-Geschäftsstelle an den Mitarbeiter und reichte ihm mein Smartphone. Es war ausgeschaltet. Der Mitarbeiter schüttelte den Kopf und meinte mit freundlicher Missbilligung: „Sie dürfen das Smartphone doch nicht ausschalten.“ „Und warum nicht? Geht es dann kaputt?“ „Nein, aber Sie müssen doch immer erreichbar sein.“ Ich klärte ihn auf: „Erstens bin ich mit dem Auto gekommen, und da ist mein Handy grundsätzlich ausgeschaltet. Und zweitens will ich gar nicht immer erreichbar sein.“ Der Gute sah mich fassungslos an. Jemand, der nicht immer erreichbar sein will, das passte absolut nicht in sein digitales Weltbild. Ich sah’s ihm an. Doch das scheint allgemein so zu sein: Wenn jemand auf Unerreichbarkeit pocht, stößt er auf Unverständnis. Jeder muss jederzeit und überall erreichbar sein, meint man. Mein Gott, muss man sich da noch wundern, dass die Leute sich selbst verlieren? Wer sich nicht mehr gelegentlich selbst besitzen darf, wird zum Getriebenen und kann irgendwann nicht mehr wirklich für andere da sein.

 

Es gab mal eine Zeit …

Vorweg: Ich will hier auf keinen Fall die alten, analogen Zeiten wieder heraufbeschwören. Dennoch möchte ich einige positiven Aspekte aus jener Zeite herausstellen, damit deutlich wird, was heute falsch läuft. Also, nur einige Beispiele, die stellvertretend für viele andere Sachverhalte stehen:

Es gab mal eine Zeit, da kostete ein Artikel im Wert von 20,00 DM (oder Schillinge oder was auch immer) auch 20,00 DM und nicht 19,99 DM. Dass die Welt solche „Neuner-Preise“ als normal empfindet, zeigt nur, wie wunderbar sich Konsummenschensassen verarschen lassen. Sind so blöd, die Leute, die merken gar nicht, wie bescheuert, ja pervers das alles ist.

Es gab mal eine Zeit, da konnte man im Herbst einen oder zwei Zentner Kartoffeln in die Kiste im Keller schütten, und die waren im Frühjahr immer noch genießbar. Sicher, sie keimten und wurden langsam etwas welk, waren aber ansonsten noch in Ordnung. Die Kartoffeln können stellvertretend für eine Unmenge von Lebensmitteln stehen.

Es gab mal eine Zeit, da konnte man den reinen, unverfälschten Tee mit sicherem Griff aus dem Regal ziehen. Da brauchte man noch nicht zehn Minuten vor den gefühlten 100 aromatisieren Teesorten stehen und schließlich ohne Tee weiterziehen, weil die gesuchte Sorte nicht verhanden war oder einfach übersehen wurde. Unüberschaubarkeit des Warenangebotes, gilt nicht nur für Tee, sondern (nur einige Beispiele) für Kosmetika, Waschmittel, Knäckebrot, Gurkenkonserven und und und …

Es gab mal eine Zeit, da  funktionierten Glühlampen (pardon: Leuchtmittel) etliche Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Ehrlich, die gab’s. Und die Hersteller waren stolz darauf, eine solche Qualität anbieten zu können.

Es gab mal eine Zeit, da konnte man einer Akkuzelle, die mit 2000 mAh ausgewiesen wurde, 2 Stunden lang einen Strom von 1A entnehmen. Na ja, in etwa jedenfalls. Heute machen solche Zellen schon schlapp, wenn gerade mal 600 oder 700 mAh rausgequetscht wurde (und das nur bei neuen Zellen). Sicher, man kann sich drauf einstellen: nur die Hälfte glauben, auch beim Spritverbrauch eines Autos, oder beim Nettogewicht von Seelachsfilet, der erstaunlich leichtgewichtig wird, wenn man nach dem Auftauen einfach das Wasser rauswringt, wie aus einem nassen Schwamm. Mit diesem Küchentip schließe ich meine Beobachtungen.

Klar, man darf

Die Frage erregt die Gemüter und entfacht eine Diskussion, wieder einmal: Soll man, darf man Killerroboter zulassen, also jene fliegenden, schwimmenden oder fahrenden Kampfmaschinen, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind und unbemannt möglichst viele Feine totmachen können? Da wird u.a. so etwas wie ein Ethikrat bemüht, obwohl es ziemlich schrill ist, in dem Zusammenhang überhaupt von Ethik und Moral zu sprechen. Überhaupt ist die ganze Diskussion einfach nur Quatsch. Warum soll man solche effektiven Kampfmaschinen nicht einsetzen? Weil hinter jedem Töten eine menschliche Entscheidung stehen muss? Weil es Kollateralschäden geben kann? Aber was ist, wenn man ganze Landstriche nach konventioneller Art vermint? Oder Bomben auf bewohnte Städte abwirft? Auch eine Frage von Ethik und Moral? Nein, künstlich-intelligente Killerroboter stellen keine neue Qualität dar, allenfalls eine Perfektionierung.

Dennoch hat man das unbestimmte Gefühl, mit solchen Killermaschinen eine Grenze zu überschreiten. Stimmt, es wird eine Grenze überschritten, doch warum soll speziell beim Töten von Menschen eine Grenze beachtet werden, die sonst überall (überall !) schon weit überschritten wurde, und das ohne Ethikrat oder irgendwelche gesellschaftlichen Skrupel? Längst haben die Menschen ihre Urteilsfähigkeit an künstliche Intelligenz delegiert; längst haben die Menschen ihre Entscheidungshoheit an Algorithmen abgegeben. Warum soll da das Abschlachten von Feinden eine Ausnahme sein? Außerdem werden auf der richtigen Seite (der eigenen natürlich) menschliche Opfer gespart. Ergibt doch ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis, oder?

Wenn man zudem in größeren zeitlichen Dimensionen plant, dann muss man feststellen, dass Killerroboter kaum mehr als Abschreckungscharakter haben, ähnlich wie knurrende Kampfhunde, die an der Leine zerren. Der wirkliche Krieg der modernen Zeit wird als Cyberwar übers Internet geführt werden, in Form von landesweiten, digitalen Brunnenvergiftungen. Aber auch diesbezüglich kann man optimistisch in die Zukunft schauen. Mindestens zwei bedeutsame Staaten werden auf jeden Fall überleben, denn die haben sich vom internationalen Internet abgeknipst oder sind dabei: China und Russland. Tröstlich.

 

Zutiefst dankbar

Ja, ich bin zutiefst dankbar für die „analogen“ Jahre, die ich leben und erleben durfte, bevor die Digitalisierung sich agressiv wie ein Geflecht von Metastasen über den Planeten ausbreitete. Ich bin dankbar für das Internet der ersten Jahre, für das Netz, das zwar auch schon anfällig und moralisch versumpft war, das aber zum Glück noch so unbedeutend war, dass es noch keinen so großen Schaden anrichten konnte wie heute. Ich bin dankbar für die Google-Suche, als sie noch nicht vom kommerziell geprägten Ranking verbogen war, sondern echte Hilfe leistete beim wichtigsten, das das Intenet zu bieten hat: bei der Beschaffung von sachlichen Informationen. Ich bin dankbar für das Internet, bevor es vom millionenfachen Bla–bla-Gesabbel geflutet wurde. Ich bin dankbar für die Kontakte, die zwar vergleichsweise selten, aber intensiv waren. Ich bin dankbar für die wenigen, aber wertvollen Fotos, die mir geschenkt wurden, bevor die gigantische Welle von multimedialem Streaming an mir und den Menschen vorbeirauschte – zu wertlos, um es zu behalten. Ich bin dankbar für die Zeit, als ich meine Daten noch schützen und als Teil meiner selbst wegschließen konnte.

Ich bin dankbar, dass ich beide Epochen, die analoge und die digitale, aus eigener Erfahrung vergleichen kann und nicht, wie die junge Generation heute, in der digitalen Schein- und Parallelwelt aufwachsen musste. Ich bin zutiefst dankbar, dass ich – wenn auch einen kleinen – Anteil an der Welt haben durfte und nicht von technischen Automatismen und Algorithmen in die Zange genommen wurde.

Danke

 

Gleich 2 Angriffe am Tag

Der erste landete in meiner Mailbox. Eine englischsprachige Mail, in der ich aufgefordert wurde, eine Betrag von knapp 90 Euro zu überweisen. Damit sollte ich eine Intenetdomäne bezahlen. Ich hatte diese Domäne tatsächlich, aber schon vor 5 Jahren bei einem Providerwechsel freigegeben. Wie die Dreckshunde die Verbindung dieser Domäne zu meiner jetzigen EMail-Adresse hergestellt haben, weiß nicht nicht. Klar, dass ich die Mail auf kürzestem Wege entsorgt habe.

Fall zwei, am selben Nachmittag (vor einigen Tagen): Ich war mit dem Firefox unterwegs, als plötzlich die dringende Aufforderung kam, Firefox aus Sicherheitsgründen zu aktualisieren. Verdächtig war, dass dabei der Rechner auf Fullscreen umgeschaltet wurde, und dass alle Versuche, die Meldung wegzublenden oder irgendetwas anderes zu machen, fehlschlugen. Selbst nach dem Neustart des Rechners und des Firefox war der Bildschirm wieder da. Nun, es gibt immer Wege, sich zu befreien, und ich hab’s auch geschafft, aber leider gibt es Menschen, die dahinter keinen Angriff vermuten und arglos auf den Installationsbutton klicken. Damit haben sie sich wahrscheinlich einen netten Trojaner eingefangen. Die Tatsache, dass man alles blockiert außer dem einen Button, ist doch ein eindeutiger Hinweise, dass Kriminelle über den Browser in den Computer eingedrungen sind.

Haben sie auch darauf eine Antwort, die Digitalisierer, die die Welt zu einem „better place“ machen wollen und meinen, ohne lückenloses, super-giga-schnelles Internet an jeder Milchkanne müsste die Welt zusammenbrechen? Die Welt wird eher an einem smarten Kollaps zusammenbrechen als an Funklöchern.

 

Proteste in Russland

Diesmal gingen die meist jungen Russen nicht auf die Straße, um gegen das Regime zu protestieren, sondern um möglichst zu verhindern, dass Russland sein Internet vom internationalen Netz abkapselt – ähnlich wie in China. Sowohl die Regierung unter Putin als auch die Protestierenden haben gewissermaßen recht – und auch wiederum nicht. Die Regierung argumentiert, dass nur so die Sicherheit des Landes gewährleistet werden kann. Stimmt. Es ist unverantwortlich, vielleicht sogar selbstmörderisch, die Energieversorgung, den Verkehr, die Verteidigung und ähnliche wichtige Dinge über das weltweit zugängliche Internet abzuwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass Russland schon längst die wunden Punkte in den westlichen Ländern gefunden hat und dieses natürlich nicht offenbart. Im Falles eines Cyber-Kriegs braucht man nur einen Schalter umzulegen, um ganze Länder in die Knie zu zwingen. Insofern handelt Russland also vernünftig.

Doch die russische Regierung hat dabei noch einen ziemlich miesen Hintergedanken. Es geht ihr nämlich auch darum, die Bevölkerung von Informationen aus dem Ausland fernzuhalten. Das ist nichts anderes als Einschränkung der Presse- und Informationsfreiheit. Dagegen protestieren die Leute in Russland zu Recht, wobei es den Protestierenen wohl eher um ihre lieben Internetgewohnheiten geht und weniger um verantwortungsvolle Informationsbeschaffung. So edel ist ihr Protest also keineswegs.

Dabei ist eine vernünftige Lösung relativ einfach: Man muss sich endlich von dem Gedanken trennen, dass man alles über das eine Internet bewerkstelligen kann. Das ist eine gefährliche Illusion. Wenn die existenzwichtigen Dinge über vollständig getrennte, dezentrale Netze (mit jeweils eigenen Protokollen) abgewickelt würden, dann könnte man dem Internet freien Lauf lassen. Das öffentliche Internet würde dadurch nicht sauberer, aber was soll’s. Dreckiger, versumpfter, krimineller als das Internet jetzt schon ist, kann es eh kaum noch werden.

Mensch und Maschine – Maschine und Mensch

Die sich derzeit ereignende Highspeed-Digitalisierungswelle berührt in besonderer Weise das Verhältnis von Mensch und Maschine. Wer kann es besser, der Mensch oder die Maschine? ist eine zentrale Frage. Die Antwort liegt auf der Hand: natürlich die Maschine, denn sonst würde ihr Einsatz ja keinen Sinn machen. Denken wir z.B. an das Ausschachten eines Kellers. Wer kann es besser, der Bagger oder der schaufelnde Mensch? Ok, eine Antwort erübrigt sich. Aber ist die Frage überhaupt richtig gestellt? Der schaufelnde Mensch im Kellerschacht benutzt ja schließlich Werkzeuge wie Spitzhacke und Schafeln, und ist der Bagger nicht letzten Endes auch ein Werkzeug, nur ein effektiveres, wenn es um umfangreichere Erdarbeiten geht?

Doch die Werkzeuge ändern sich. Man hantiert immer weniger mit ihnen, sondern man programmiert sie und überwacht dann allenfalls nur noch das einwandfreie Funktionieren. Die Maschinen werden quasi an der langen Leine geführt. Gleichzeitig werden die Maschinen immer komplexer, so dass man vielleicht besser von „Systemen“ sprechen sollte. Man braucht nur einen Blick in eine moderne Fertigungshalle zu werfen. Menschen sind oft nur am Rande zu bemerken, und sie hantieren nicht mit den Maschinen, sondern mit Programm- und Überwachungskonsolen.

Das ist vielleicht die bedeutsamste Veränderung der jetzigen Zeit: Die Maschinen verselbständigen sich immer mehr, und dazu leistet die sogenannte „künstliche Intelligenz“ einen erheblichen Beitrag. Die Abläufe werden immer stärker automatisiert, und die beteiligten Menschen werden zu Modulen in diesen modernen Systemen. Das betrifft nicht nur die produzierende Industrie, sondern auch Bereiche wie Handel, Finanzwesen, Verwaltung, Landwirtschaft, Dienstleistungsgewerbe – eigentlich alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft. Längst ist die eingangs gestellte Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Maschine obsolet. Wir müssen uns heute fragen: Was  kann es besser, ein Maschinensystem mit Menschen oder Maschinen ohne Menschen?

Und auch hier geht die Antwort zugunsten der reinen, menschenfreien Maschinen bzw. Systeme aus. Zwar müssen Menschen derzeit noch gewisse Lücken füllen, aber im Endeffekt sind sie nur Ballast; sie stören. Ja, sie sind in einer Industriegesellschaft der größte Kostenfaktor, und logischerweise besteht der wirksamste Ansatz zur Rationalisierung darin, Menschen aus dem System zu eliminieren. Menschenfreie Syteme und Maschinen, das ist das Ziel einer rational und pragmatisch denkenden Gesellschaft. Zur Zeit befindet sich die Menschheit im Endspurt auf dem Weg dahin. Welche Rolle die Menschen in solchen Systemen spielen können oder sollen, ist noch völlig ungeklärt, und aus der Sicht der Digitalindustrie ist schon die Frage kontraproduktiv. Sie wird übertüncht, diese Frage, und zwar mit dem gebetsmühlenartig heruntergleierten Komfortversprechen: „We’ll make the world a better place“. Die Menschen an den zentralen Schalthebeln der digitalisierten Gesellschaft wissen, wie man die große Masse der Komparsen und Statisten zumindest erst mal ruhig stellt. Appell an die Bequemlichkeit – und mit Beschäftigung. Soziale Netzwerke oder auch süchtig machende Spiele sind hervorragend geeignet, von dummen (= tiefgreifenden) Gedanken abzulenken.

Noch einmal: Das Streben nach Effektivität beinhaltet das Streben nach möglichst weitreichender Automatisierung bei gleichzeitig geringer Menschenbeteiligung. Und sofern Menschen beteiligt sind, müssen sie strikt in das System eingebunden werden. Menschen sind in diesem System nur noch vertretbar, wenn sie annähernd so zuverlässig wie Zahnräder funktionieren. Unter diesem Aspekt ist es verwunderlich, dass es immer noch Soldaten gibt, die im lächerlichen Gleichschritt marschieren und zum Töten mit Schießgewehr und Kanone ausgebildet werden. Reine Symbolfiguren, die eigentlich nur noch so Dinge wie Disziplin und Gehorsam verkörpern, mehr nicht. Die Kriege der Zukunft werden nicht mehr mit Soldaten im Schlachtfeld geführt, sondern mit automatisierten, menschenfreien Kriegsmaschinen in Form von Drohnen. Drohnen, die wahrscheinlich in wenigen Jahren schon so weit mit „künstlicher Intelligenz“ vollgefüttert sind, dass sie selbständig strategisch operieren können. Und ebenso Schiffe und Landfahrzeuge. Fazit: Auch was das effektive Töten betrifft, können Maschinen es halt besser. Menschen haben oft noch hinderliche Skrupel und Ängste; es tut oft lausig weh, abgemurkst zu werden, und das hindert. Da sind Tötungsmaschinen wesentlich freier. Menschen stören beim modernen, digitalisierten Töten.

Na ja, und in dem Zusammenhang muss noch die indirekte Kriegsführung erwähnt werden, die darin besteht, die hochgezüchteten, weigehend menschenfreien Automatismen des Gegners zu zerstören. Aber Menschen hängen davon ab, selbst die digitalisierten, auf einer niedrigen Stufe komfortabel vor sich hin existierenden Menschen. Einfach nur mal den Strom des ganzen Landes für zwei Wochen ausschalten. Geht mit etwas Geschick ruck-zuck, denn die Menschen haben sich ans Internet gehängt, und das schafft weltweiten Zugang zu wichtigen Systemen. Der erste große Cyberwar, der unweigerlich irgendwann kommen wird, verspricht unterhaltsam zu werden.