Wenn’s um unsere Interessen geht …

Wie sagte vor einigen Wochen unser ehermaliger Außenminister Sigmar Gabriel (sinngemäß)? „Der Flücktlingspakt mit der Türkei ist kein schlimmer Deal. Denn immerhin werden dabei auch deutsche Interessen berührt.“ Klar doch, wenn’s um deutsche Vorteile geht, kann man durchaus in Kauf nehmen, dass der osmanische Sultan die Flüchtliche in menschenunwürdige Lager sperrt. Sind ja weit weg, diese Lager.

Wie sagte der Manager von Bayer Leverkusen? „Der Kauf von Monsanto verschafft uns einen gewaltigen Kundenkreis und enorme Absatzmärkte“. Sogar die Gewerkschaft begrüßt die Fusion, wegen der Arbeitsplätze.  Klar doch, wenn’s um wirtschaftliche Vorteile, vor allem um die Stellung im globalen Wettbewerb geht, kann man nicht zimperlich sein. Da muss man auch schon mal eine verpestete Kröte wie Monsanto schlucken.

Wie sagte die Hure, als sie in ihrem Edelappartement interviewt wurde? „Natürlich muss ich bereit sein, meinen Arsch an die Mauer zu stellen und täglich einige stinkende Freier über mich herrutschen zu lassen. Sonst könnte ich mir dieses Appartement gar nicht leisten.“ Klar doch, wenn’s ums Überleben oder einfach nur ums Besserleben geht, kann man sich nicht in dem vergraben, was die Gutgehenden der Gesellschaft als Moral bezeichnen.

Wie sagte der Konzernboss, der wie jedes Mal bei einem China-Besuch die Schleppe der Kanzlerin hielt? „China bietet riesige Absatzmärkte. Da werden die Interessen der deutschen Wirtschaft elementar berührt.“ Klar doch, wenn’s um die globale Vorherrschaft geht, da kann man nicht kleinlich über fehlende Menschenrechte stolpern. Da darf man sich auch nicht allzu laut über die Kontrolle deutscher Betriebe in China beklagen.

Wie sagte der deutsche Außenpolitiker, nachdem Trump einmal mehr um sich herumgeschlagen und dabei den Deutschen Sanktionen und Strafzölle angedroht hat? „Wir müssen mit den Amerikanern im Gespräch bleiben. Schließĺich sind sie unsere wichtigsten Verbündeten, und somit liegt das gute Verhältnis zu den Amerikanern in unserm Interesse.“ Klar doch, ist egal, wen die Amis ins Weiße Haus schicken. Selbst wenn’s ein dressierter Gorilla wär, da kann man doch nicht zimperlich und allzu deutlich sein. Oder?

Was haben diese Beispiele nun miteinander zu tun? Ich denke, am ehesten kann uns die Nutte eine plausible, allgemeingültige Antwort geben: Moral ist ein gut verkäuflicher Wert. Man spricht in dem Zusammenhang auch von Prostitution.

 

Komfort – na was denn?

Viele Dinge rund um die Digitalisierung werben mit Komfort, und die Leute sprechen drauf an. Absolut erfolgreich, diese Werbung. Da klingeln die Kassen der Werbetreibenden, und die Leute, die sich beeinflussen lassen, merken nicht mal, wie sie verarscht werden. Besser gesagt: Eigentlich wollen sie’s nicht merken, denn Komfort ist ja sowas Schönes, sowas Bequemes. Als Beispiel will ich hier nur das SmartHome erwähnen, und da wiederum den berühmten und inzwischen auch erfolgreichen Echo-Lautsprecher von Amazon. Ein bisschen Smalltalk mit Alexa, bequem vom Sofa aus, und schon kommt alles ins Haus. Nein, nicht das, was man eigentlich haben sollte, sondern das, was Alexa, dieser einfühlsame Geist, für richtig hält. Und was den Gewinn von Amazon steigert.

Komfort wird oft mit Bequemlichkeit gleichgestellt. Dabei sind das ganz verschiedene Dinge. Den Arsch aus lauter Bequemlichkeit nicht mehr hochkriegen zu müssen, hat nur ins Ausnahmefällen etwas mit Komfort zu tun (z.B. bei Behinderten). In der Regel meint Komfort etwas ganz anderes, nämlich die Fülle an Möglichkeiten, das Leben intensiver, reichhaltiger, lebenswerter zu gestalten. Faulheit ist kein Lebenswert, sondern das Gegenteil. Ja, Komfort kann sogar das Gegenteil von Bequemlichkeit bedeuten, nämlich Anstrengung, die lästige Aufforderung, mal zu denken oder zu planen. Planerische Möglichkeiten machen Komfort aus.

Nun werden alle Bequemlichkeitsanbieter unisono einwenden, dass es bei Dingen wie dem SmartHome doch nur darum geht, nebensächliche und überflüssige Anstrengungen zu vermeiden. Mag sein, aber dann reihen sie sich in die Kategorie des Überflüssigen, Unwichtigen ein. Und sollten nicht so laut tönen, sondern sich in der Spielzeugabteilung hinten anstellen. Abteilung lächerliches Digitalspielzeug.

Fragwürdige Studie

Kaum setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass die Meinungsbildung im Netz gesteuert wird, dass die Meinungssuchenden manipuliert werden, da erscheint in England eine Studie, dass das nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Gerade das Internet biete eine Vielzahl verschiedener Informationsquellen, so dass die Chancen einer vielseitigen Meinungsbildung noch nie so groß gewesen seien. Außerdem sei nicht erkennbar, dass die Suchmaschine von Google vorrangig solche Webseiten anbiete, die die Meinung des Anfragenden in einer bestimmten Richtung beeinflussen sollen. Überhaupt gebe es keine empirischen Beobachtungen, die die These von der Meinungslenkung im Internet begründeten.

Dieses Ergebnis ist so verblüffend, dass man sich die Augen reibt. Alles nur Erfindungen von böswilligen Internetfeinden? Da muss natürlich zuerst die Frage gestellt werden, wer denn hinter der Studie steht und wie dessen Grundeinstellung zum Internet ist. Denn dass Studien, sie mögen noch so wissenschaftlich erscheinen, in gewünschte Richtungen gelenkt werden können, ist klar und durch unzählige Beispiele belegt. Verdächtig ist in diesem Fall, dass die Studie ausgerechnet in England entstand, dem Land, in dem die Entscheidung für den Brexit den Verdacht auf manipulative Unterstützung im Netz nährte.

Und die Fakten? Dass großartige Manipulationen über die Google-Suchmaschine erfolgen, ist eher unwahrscheinlich. Google hat vor allem ein Interesse an Geld, und so ist das Ranking hauptsächlich kommerziell bestimmt. Informationen? Ja, die gibt es auch, oft erst ab Seite 4 oder 5. Nein, die Meinungsbildung spielt bei Google eine eher untergeordnete Rolle.

Die eigentliche Meinungsmanipulation spielt sich auf den „sozialen“ Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram  usw. ab, wo Bots und Hackergruppen gezielte Informationen platzieren, je nachdem, wer sie bezahlt hat. Die Meinungsmacher können dabei völlig im Verborgenen bleiben, so dass der Nachweis von Manipulationen praktisch unmöglich ist. Selbst groß angelegte, statistische Studien versagen mehr oder weniger, weil Vergleichspopulationen fehlen. Wer kann zum Beispiel sagen, dass eine internetfreie Gesellschaft einen Kaputtmacher wie Trump nicht gewählt hätte? Auch wenn vieles dafür spricht? Genau hier steckt die Beweisnotlage, die es den Kritikern an der Digitalisierung so schwer macht, mit Fakten aufzuwarten. Und Studien wie die genannte haben es einfach, das Internet als sauber hinzustellen – entgegen den Tatsachen.

Doch es gibt Whistleblower und Insider, die die Schnauze voll haben und deutlich sagen, was da alles schief läuft. Und – ich glaube ihnen mehr als einer fragwürdigen, englischen Studie.

„Im Netz der Lüge“

So lautet ein Aufmacherartikel im Focus 47/19. Eigentlich gehört der Focus nicht zu meiner Standardlektüre, da bevorzuge ich eher den Spiegel oder Zeitungen wie die Süddeutsche. Doch ab und zu muss ich auch meine gelegentlich aufflammende Sehnsucht nach konservativer Lektüre stillen, nicht zuletzt eines breiten Meinungsspektrums willen. Und wenn da noch eine Kritik an der Digitalisierung durchscheint, dann kann ich nicht widerstehen.

In der Tat: Es tat richtig gut, den Artikel zu lesen. So langsam bahnt sich ja doch eine kritische Grundhaltung gegenüber dem „größten Wandel in der Geschichte der Menschheit“ an. Ich will gar nicht im Detail auf den Inhalt des Artikels eingehen, den kann jeder Interessierte nachlesen – oder einfach aus den rundum zu beobachtenden Phänomenen schließen – mit ein wenig Menschenverstand und ein wenig logischem Denken. Kurz: der Artikel zeigt eindringlich auf, wie sehr die öffentliche Meinungsbildung von den digitalen Medien nach Belieben gesteuert wird, bis hin zur unmerklichen Manipulation von Millionen von Menschen. Auch die Folgerung, dass wir davon ausgehen müssen, dass sowohl die verheerende Wahl Trumps als auch der Brexit auf derartige Meinungsmanipulationen zurückzuführen sind, ist äußerst plausibel.

Dabei geht es in dem Artikel nur um eine von mehreren schädlichen bis zerstörenden Auswirkungen der Digitalisierung, nämlich um die digitalen Medien. Die gesellschaftliche Verstumpfung, die wachsenden Gefahren von Angriffen im Internet, die hemmungslose Verbreitung von widerlichen oder kriminellen Inhalten usw. werden gar nicht mal angesprochen. Aber auch die Beschränkung auf das Thema der „sozialen“ Medien hat es in sich. In einer Art Zusammenfassung wird dann vorgeschlagen, „wie Sie der Manipulationsfalle entgehen“. Diese Übersicht ist hoch interessant, so dass ich die genannten 7 Tips kurz mit eigenen Worten beschreiben und natürlich auch kommentieren will.

  1. Auswahl der Informationsquellen. Gemeint ist, das man zugewiesene Informationen kritisch hinterfragen und die Vertrauenswürdigkeit der Quelle prüfen soll. – Ich habe es schon wiederholt gefordert: Meinungsbildende Informationen mussen grundsätzlich geholt werden, ob einzeln oder im Abonnement spielt keine Rolle. Die Zustellung von Informationen, etwa auf einen Messenger, ist immer fragwürdig.
  2. Andere Medien als Kontrolle. Gemeint ist, dass man besonders bei Sensationsmeldungen nicht einfach drauf anspringt, sondern sich mit Hilfe von anerkannt seriösen Medien Bestätigung sucht. – Ok, klingt plausibel, obwohl: warum wendet man sich nicht gleich an seriöse Quellen und meidet fragwürdige?
  3. Andere Meinungen zulassen. Gemeint ist, dass man nicht nur Meinungen an sich heranlässt, die sich bequem ins persönliche Meinungsbild einfügen, sondern auch gegensätzliche Ansichten. – Ebenfalls nichts Neues für mich. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass Meinungsfreiheit nicht zuletzt auch Meinungsvielfalt und Meinungsgegensätzlichkeit beinhaltet. [1]
  4. Ruhig bleiben. Gemeint ist: Nicht sofort und unüberlegt im Netz reagieren, insbesondere nicht in Gruppen, wo sich in der Regel Meinungsblasen bilden und einseitige Meinungen verfestigen. Wut und Hetze sind Triebkräfte und Ergebnis eines überzogenen Aktionismus im Netz. – Facebook wirbt neuerdings aus gutem Grund in Form ganzseitiger Zeitungsanzeigen mit Gruppen, wohlwissend, dass dort die meist einseitigen und oft hasserfüllten Aktivitäten auf Betriebstemperatur gehalten werden.
  5. Vorsicht bei Humor. Was auf den ersten Blick lustig und humorvoll erscheint, ist sehr oft verletzend und inhuman. – Diesen Aspekt hatte ich bisher noch nicht im Fokus (mit „k“), aber es stimmt. Vor allem Youtube, zum Beispiel die vielen Beiträge „Just for laughs“ oder die vielgestaltigen „Pranks“ sind oft nur gemein, nicht humorvoll. Solche „lustigen“ Beiträge heizen die Netz-Schimpfereien gehörig an.
  6. Kontakt zur Welt haben. Also nicht nur Smartphonegefummel, sondern öfter und länger in der realen Welt leben. Keine Pseudokontakte mit sogenannten „Friends“, sondern Gespräche mit richtigen Kontakten zu anderen Menschen. – So selbstverständlich, dass sich ein Kommentar erübrigt.
  7. Lieber zögern als teilen. Hier treffe ich zum ersten Mal auf eine Stimme, die das „Teilen“ im Netz kritisch sieht. Es handelt sich ja auch nicht um wertvolles Teilen, sondern auf Grund der zweifelhaften Verbreitungstechniken um entwertendes Vervielfachen. Im Grunde wird hier das Kernproblem der digitalen Medien, das eng mit den Geschäftsmodellen der Plattformen verknüpft ist, angesprochen. Es geht darum, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen (wieviel Likes?) und deshalb auch Aufmerksamkeit, die oft in Hektik ausartet, zu spenden.

Klingt auf den ersten Blick gut und plausibel, was der Focus den Internetnutzern rät. Nur hat die Sache einen Haken, nein zwei:

Die Nutzer wollen sich ja gar nicht vor der Manipulation im Netz schützen. Sie mögen zwar Opfer sein, fühlen sich aber nicht als solche. Die zerstörende Macht der digitalen Medien zu begrenzen, ist nicht Aufgabe der vordergründig nutznießenden Teilnehmer, sondern der Institutionen in der Gesellschaft, die die Menschenwürde der Netzbenutzer und die Gesundheit der Gesellschaft zu schützen haben.

Und damit zum zweiten Haken: Politik, Justiz usw. zeigen sich unfähig, diesen Schutz zu gewährleisten. Nicht, dass sie die Probleme nicht erkennen, aber das Denken und Handeln der Verantwortlichen wird von einer völlig falschen Auffassung von der Digitalisierung beherrscht. Am erstes muss doch die Frage gestellt werden: Was ist das eigentlich, diese Digitalisierung oder – besser gesagt – das, was man komischerweise mit diesem Begriff verbindet?

So komplex die Thematik auch sein mag, die Antwort auf diese Frage ist gar nicht mal so schwierig: Es handelt sich um ein Bündel von Werkzeugen bzw. Verfahren, mit dem die Menschheit versucht, einige ihrer Probleme zu lösen. Nicht mehr. Andererseits handelt es sich um sehr leistungsfähige Werkzeuge, nicht weniger. Alle Werkzeuge sind nicht Selbstzweck, sondern sie dienen einem Zweck. Werkzeuge können verbessert werden, sie können ausgetauscht werden, wenn sie nicht „gut in der Hand liegen“. Werkzeuge müssen, damit sie kein Unheil anrichten, beherrscht werden. Und dann können sie eingesetzt werden, um das Leben auf unserem Planeten zu berherrschen. Bei Verfahren ist es ähnlich, sie müssen ständig optimiert und überprüft werden.

Die Digitalisierung wird von den maßgeblichen Gestaltern aber nicht als Werkzeug gesehen, sondern als  Gesellschaftsziel. Betrachten wir einmal, welchen Stellenwert die Digitalisierung in Politik, Wirtschaft, Verwaltung usw. hat. Restlos überall nimmt die Digitalisierung einen Spitzenplatz in der jeweiligen Agenda ein. Kein Politiker, der nicht die Digitalisierung als wichtigstes Zukunftsziel propagiert. Die Gesellschaft ist überzeugt,  dass die Digitalisierung überwältigende Vorteile bietet – ohne dass solche Vorteile konkret benannt werden müssen.

Digitalisierung als gesellschaftliches Ziel also. Ziele hinterfragt man nicht, man diskutiert allenfalls, auf welche Weise sie möglichst schnell und möglichst umfassend erreicht werden können. Und so wird die Entwicklung nicht gesteuert, sondern angeheizt. Dabei entsteht ein Sog, dem sich kaum jemand entziehen kann. Erst recht nicht die Internetnutzer, die einfach mitgerissen werden und sich – natürlich – keine großartigen Gedanken über das Wohlverhalten im Netz machen können. Warum sollen sie sich an Lügen stören, wenn sich daraus keine offensichtlichen negativen Folgen ergeben? Warum sollen sie selbst nicht lügen, wenn wohltuende Aufmerksamkeit das Resultat der Lüge ist? Warum sollen sie nicht beschimpfen und heruntermachen, wenn es doch so schön kribbelt und die Opfer außer Sichtweite sind?

Nee, wenn es einen Weg zurück in eine nach analogen Maßstäben gesittete Gesellschaft gibt, dann nur, indem man die Digitalisierung  von ihrem Sockel herunterreißt und ganz nüchtern und pragmatisch als das betrachtet, was sie ist: ein Werkzeug, das in bestimmten Situationen gewisse Vorteile bietet, in anderen Situationen mit deutlichen Nachteilen und Gefahren verbunden ist. Nur dann ist die Digitalisierung beherrschbar.

Das gilt in besonderem Maße auch für einen techischen Aspekt der Digitalisierung, die „künstliche Intelligenz“. Auch KI-Systeme sind Werkzeuge, nämlich algorithmische Verfahren zur gezielten Strukturierung großer, ungeordneter Datenmengen. Mit wirklicher Intelligenz hat das nichts zu tun, auch nicht mit dem, was Joseph Weizenbaum, der Schöpfer des Begriffs der „künstlichen Intelligenz“, seinerzeit seiner Eliza einhauchte. Weizenbaum orientierte sich an dem Primat menschlicher Intelligenz und fasste die künstliche Abart derselben vor allem als Simulation auf. Das Ergebnis seiner Forschungen war, dass er zu einem leidenschaftlichen Kritiker des oft fragwürdigen Computereinsatzes wurde.

Die Tatsache, dass Menschen die Vorgänge in den künstlich-neuronalen Netzen nicht mehr durchschauen und deshalb auch nur noch bedingt steuern können, hat den Traum von künstlich-intelligenten Wesen aufleben lassen. Wesen, die lernen, selbständig zu denken und zu fühlen – und vor allem den Menschen als hilfreiche Gestalten zur Seite stehen. Ob in einer Maschine mit „maschineller Intelligenz“ jemals so etwas wie Hilfsbereitschaft entstehen kann, ist mehr als fraglich. Und wenn sich die Maschine als hilfreich erweisen sollte, dann nur deshalb, weil sie eben noch nicht intelligent ist. Doch wie gesagt, Fragen nach dem Sinn sind zur Zeit nicht gefragt. Wichtiger ist, dass die Entwicklung noch schneller vorangeht. Deutschland als Vorreiter in der Entwicklung von KI, das ist die Zukunftsvision vieler Politiker.

[1] Deshalb ist es, auf die politische Praxis übertragen, so extrem wichtig, dass sich die großen Parteien in Opposition gegenüberstehen. Wenn dominante Meinungspole vermengt werden, schleifen sich auch die Meinungsbilder ab. Das ist wiederum mit einem Verlust an Meinungsfreiheit verbunden.

Wertschätzung?

Kürzlich, als meine Frau mich auf einen Flecken auf meinem T-Shirt aufmerksam machte und ich die Sache eingehend betrachtete, fiel mir zum ersten Mal auf, was für ein Wunderwerk so ein Stück Stoff doch ist, dieses enge Geflecht aus hauchdünnen Fäden. „Früher musste man den Stoff mühsam von Hand weben, und heute kann man sowas in gigantischer Menge in kurzer Zeit produzieren“, merkte ich an.  „Aber heute fehlt die Wertschätzung für diese Produkte“, meinte meine Frau.

Sie hat natürlich recht. Geht das überhaupt, Wertschätzung für Dinge, die im Überfluss vorhanden sind? Je größer die Masse, desto geringer der Wert – ein uralter Sachverhalt. Wenn Gold zuhauf in der Gegend herumliegen würde, wäre es nichts wert.

Aber schauen wir uns einmal um und betrachten so einiges, was im Überfluss vorhanden ist bzw. hergestellt wird.

Zum Beispiel Kleidung. Ein paar mal tragen, dann wird das Zeug weggeworfen. Die Energie, die zur Herstellung erforderlich ist, die unerträglichen Arbeitsverhältnisse in Ländern wie Bangladesch, wen interessiert’s? Und Wertschätzung, wenn der Kleiderschrank zu klein wird – und der Weg zum Altkleidercontainer zu mühsam ist?

Zum Beispiel Nahrungsmittel. Elf Millionen Tonnen werden in Deutschland jährlich weggeworfen. Wer denkt da schon an den Wasserverbrauch, an den Energieverbrauch für unnützen Nahrungsmitteltransport? Ja, und wie soll eine vollgefressene oder gar übersättigte Gesellschaft noch etwas wertschätzen, was tonnenweise in Containern landet?

Zum Beispiel Mobiliät. Wie viele Autoflahrten könnte man ohne irgendwelche Nachteile streichen? Hat schon mal jemand ausgerechnet, welche gigantischen Vorteile es für die gesamte Welt hätte, wenn der Autoverkehr auf das notwendige Maß, sagen wir mal auf die Hälfte schrumpfen würde? Es geht ja nicht nur um Sprit und Strom und Kohlendioxidausstoß, es geht ja auch um Straßen, Gesundheitskosten für Unfallopfer, Abholzung von Regenwäldern für den Anbau von Kautschukbäumen (Autoreifen) usw. Sicher. das Auto wird wertgeschätzt, denn für die Menschen ist es Zuhause, Kuscheltier, Prestigeobjekt usw. Aber Mobiliät an sich? Bei mehr Wertschätzung für Mobilität würde man daran denken, dass jede Art von Fortbewegung, außer der mit Muskelkraft, Ressourcen verbraucht.

Zum Beispiel Kommunikation. Je mehr „Friends“ man auf einer digital-sozialen Plattform anhäuft, desto oberflächlicher und billiger die Kommunikation, bis hin zu einem kommunikativen Rauschen ohne jeden Informationsgehalt. Wertschätzung von Kommunikation in einem informationellen Getöse? Unmöglich. Schlimm dabei ist, dass damit auch eine mangelnde Wertschätzung von Informationspartnern, also Menschen verbunden ist.

Zum Beispiel das Fotografieren. Schön, dass es die Digitalfotografie gibt, aber die Wertschätzung von fotografischen Produkten gehört in einer Zeit, wo immer an jedem Ort alles fotografiert wird, der Vergangenheit an. Und wie bei der Kommunikation gibt es noch den schlimmen Nebeneffekt, dass die Würde der Mitmenschen an Bedeutung verliert. Die „Gafferfotografie“ ist bezeichnend.

Ja, durch die moderne Technik, insbesondere die Digitalisierung, gehen Werte verloren, und zwar in einem Ausmaß, das eigentlich aufrütteln müsste. Tröstlich dabei, dass die Menschheit sich problemlos in eine immer billiger werdende Gesellschaft einlebt. Heißa, heute Abend trinke ich einen Whisky auf die Zukunft. Einen wertvollen Single-Malt von der Westküste Schottlands. Jeder kleinste Schluck ein wertvolles Geschmackserlebnis.

 

Nicht ok Google, Facebook, Amazon …

Unter diesem Motto finden sich seit einiger Zeit halbseitige Anzeigen in unserer Tageszeitung. Kritische Stimmen – nicht zur Digitalisierung an sich – sondern zur Art und Weise, wie die Digitalisierung von amerikanischen IT-Konzernen vorangetrieben wird. Facebook setzt dagegen, mit ganzseitigen Anzeigen (klar), die vor allem auf Emotionen setzen. Zum Beispiel die Gruppe in Hamburg, die sich mit Hunden beschäftigt. Für jeden eine passende Gruppe, auch für Menschen, die ihre geliebten, süßen Vierbeiner zum Anlass nehmen, einen auf soziale Gruppe zu machen. Natürlich mit Facebook, anders geht es ja nicht, wird einem vermittelt. Teilnehmerzahl im hohen dreistelligen Bereich, eine Zahl die sehr genau berechnet ist, damit sie zwischen den Polen „zu viel, nur unpersönliches Gebrabbel“ und „kaum Beachtung, da nicht relevant“ das werbewirksamste Maß darstellt.

Zurück zur Nicht-ok-Intiative. Grundsätzlich wird es höchste Zeit, dass mal einige kritische Stimmen laut werden. Die Initiative gerechtes-netz.eu, die dahinter steckt, hat natürlich recht, aber leider ist sie vor allem auf die wirtschaftlichen Aspekte der falsch laufenden Digitalisierung fokussiert. Die verheerenden, gesellschaftlichen Schäden, die die amerikanischen IT-Banditen anrichten, sind leider noch gravierender, und zwar deshalb, weil Milliarden von Menschen diese Schäden nicht wahrnehmen (wollen).

Schnell und bequem

Bei vielen Dingen rund um die „Digitalisierung“ frage ich immer wieder erneut, wozu das gut sein soll. Zum Beispiel beim sogenannten „smarten“ Haushalt. Kein Zettel mehr, auf dem man das Fehlende vermerkt, sondern Blick in den Kühlschrank, vom Geschäft aus. Wow, sagen viele. Wobei ich den Eindruck habe, dass ich mit meinem analogen Einkaufszettel viel zügiger zum Ziel kommen kann. Aber vielleicht habe ich noch nicht gelernt, die Vorteile der privaten Digitalisierung zu entdecken. Vielleicht sind die versteckt, wie Ostereier.

Und so bin ich zutiefst dankbar, wenn mir jemand auf die Sprünge hilft. Die Sparkasse zum Beispiel. „Kontaktlos belzahlen. Freiraum ist einfach.“ Und weiter: „… damit mehr Zeit fürs Leben bleibt.“ So steht es auf einem Flyer der Initiative sparkasse.de/kontaktloszahlen.

Danke, liebe Sparkasse. Jetzt weiß ich, worauf es ankommt, und allmählich beginne ich den Google-Slogan „We’ll make the world a better place“ zu verstehen. Wenn ich an der Kasse stehe, brauche ich meine Karte nicht mühsam in den Schlitz zu schieben, sondern ich halte sie einfach davor. Das ist es. Und ich spare dadurch eine Menge Lebenszeit und habe endlich die Möglichkeit, zusammen ins Kino zu gehen, zu entspannen und einen Film zu genießen. Eine wichtige Anregung, die ebenfalls in dem Flyer zu finden ist. Mehr Zweisamkeit wird versprochen. – Klar, wenn ich die Karte nicht mehr in den Schlitz schieben muss, dann sprudelt die Lebensqualität.

Vor einigen Wochen noch, bevor die Sparkasse mich erleuchtete, hätte ich gesagt: „So ein Scheiß. Ist es den Verantwortlichen in den Digital-PR-Abteilungen nicht peinlich, so etwas wie die Schlitz-Einschieb-Vermeidungskarte als Fortschritt zu verkaufen? Doch nun bin ich geläutert. Ich weiß, es geht darum, mehr Lebenszeit für die tollen Dinge zu gewinnen. Nun gibt es womöglich verbohrte Zeitgenossen, die mich brühwarm darüber aufklären, dass es nicht um die Schlitzvermeidung geht, sondern um die Vorteile der direkten Bezahlung ohne lästige PINs und Geheimnummern. Wenn das so ist, frage ich mich, hätte man das Ganze aber doch mit der Einschiebtechnik koppeln können. Aber das wäre wohl zu billig, zu unmodern, zu wenig digital dahergekommen, oder?

Genau das nämlich kann sich zur Zeit niemand leisten. Im übrigen sind die Karten mit RFID-Chip wichtige wichtige Datensensoren.Was man damit alles an persönlichen Daten hereinschaufeln kann – sagenhaft. Man muss sich nur mal die Warenschleusen in modernen Supermärkten vor Augen führen, dann spürt man das ungeheure Potential, dass in solchen Karten steckt. Dann kann nämlich nicht nur gecheckt werden, ob alle Waren im Einkaufswagen bezahlt sind, sondern außerdem noch, wer hinter dem Wagen hergeht. Wertvolle Lückenfüller auf dem Weg in die moderne Datengesellschaft (= Überwachungsgesellschaft).

Noch einmal – „künstliche Intelligenz“

Eigentlich gibt es von mir aus nichts mehr zu dem Thema zu sagen, denn in einem vorangegangenen Beitrag habe ich das, was aus meiner Sicht relevant ist, ausfürlich erörtert. Doch vor kurzem hörte ich von einem angesehenen Wissenschaftler, Prof. Jürgen Schmidhuber, der an vorderster Front rund um KI aktiv ist und Forschung betreibt. Ich wurde neugierig und schaute mir auf Youtube einen Beitrag an, in dem Schmidhuber von einem Freund zu dem Thema interviewt wurde.

Es war ein Déjà-vu-Erlebnis, denn ich wurde ganz intensiv an einen Vortrag des Zukunftsforschers Lars Thomsen erinnert, zu dem ich in dem Blogbeitrag „Future Matters“ ausführlich Stellung nahm. Mein Artikel ist nicht mehr verfügbar (zumindest nicht im Blog), weil er schon 4 Jahre zurückliegt. Jedenfalls konnte der Thomsen hervorragend reden, und was er darlegte, klang beim erstmaligen Zuhören außerordentlich überzeugend. So überzeugend, dass ich zunächst unsicher wurde und meine gesamte Kritik an der Digitalisierung überdachte. Beim zweiten oder dritten Anhören des Vortrags wurde dann allerdings deutlich, dass Thomsens Argumentationskette zwar schlüssig schien, dass aber die Bausteine, aus denen er sein Zukunftsgerüst zurechtbastelte, etliche Fragen hinterließen, ebenso das Ziel, das er mit seinen Zukunftsanliegen verfolgte. Besser gesagt, es gab kein echtes Ziel, sondern nur Voraussagen und Vermutungen.

Nun also Jürgen Schmidhuber. Auch dieser Forscher, der sich ja ebenfalls mit der Zukunft beschäftigt, kann sehr gut reden und überzeugend argumentieren. Er vertritt – natürlich – vehement die Sache der KI und sieht darin die Lösung vieler zukünftiger Probleme. Wie bei Thomsen kam es zunächst so überzeugend rüber, dass ich erneut unsicher wurde. Sollte „künstliche Intelligenz“ wirklich positiver sein als ich bisher dachte? Sollte alles Negative, was ich bis jetzt damit verband, aus der Luft gegriffen sein oder gar auf eine verbohrte Position hinweisen?

Jedenfalls legte Schmidhuber die Vorteile der KI sehr nachdrücklich auseinander. Zum Beispiel die Auswertung von Röntgen- und CT-Bildern. Keine Frage, hier können die Algorithmen der KI etwas leisten, wozu selbst erfahrene Ärzte kaum imstande sind. Auf der anderen Seite werden dazu Milliarden von sensiblen Datensätzen benötigt, die zwar anonymisiert werden sollen, wie man beteuert, ohne aber die Anonymisierung nachprüfbar sicherstellen zu können. Damit ist auch der Missbrauch von persönlichsten Daten nicht auszuschließen, mit kaum abschätzbaren Folgen. Darüber sprechen die KI-Forscher jedoch nicht, und es wird erneut das Kernproblem von Forschungsarbeit aktuell: Sind Forscher auch für die etwaigen Folgen ihrer Forschungsergebnisse verantwortlich, oder dürfen sie sich davon frei machen und sich ausschließlich auf ihre wissenschaftliche Arbeit konzentrieren? Letzteres ist der bequemere Ansatz – und der von Wissenschaftlern bevorzugte.

So wie eine Reihe anderer KI-Forscher unterschied Schmidhuber zwischen der derzeit möglichen „schwachen KI“ und der angestrebten, aber zu Zeit noch utopischen „starken KI“, bei der die damit ausgestatteten Maschinen zu eigenständig denkenden „Wesen“ werden. Schmidhuber machte keinen Hehl daraus, dass die „starke KI“ das große Ziel der KI-Forschung sei. Er erwähnte nicht, dass für alle von ihm genannten Leistungen der KI, einschließlich der medizinischen Diagnostik, die schwache Version ausreicht, also das, was mit Hilfe von künstlich neuronalen Netzen bereits möglich ist, was ich persönlich aber nicht als „Intelligenz“ bezeichne. Es ist mehr oder weniger eine neue, spezielle Form von Algorithmik.

Dann kam seitens des Interwievers die entscheidende Frage, ob er, Schmidhuber, sich vorstellen könne, dass von „starker KI“ Gerfahren ausgehen könnten. Schmidhuber besann sich nicht lange: „Nein, alles wird prächtig.“ Es klang wie eine vorgezogene Zusammenfassung, und so wartete man auf Begründungen und Erläuterungen. Auch der Interviewer sah Schmidhuber gespannt an, und nach 5 oder 6 Sekunden Stille fragte er nach: „Kommt da noch was?“ „Nein, da kommt nichts mehr“, meinte Schmidhuber schlicht.

Abgesehen von der peinlichen Nichtbeantwortung einer ganz wichtigen Frage war die Äußerung Schmidhubers ziemlich aufschlussreich. Genau das geschieht zur Zeit im Zuge der gesamten Digitalisierung: Man stellt einige Vorteile heraus, macht aber einen großen Bogen um die Einordnung etwaiger Nachteile. Die könnten ja die Entwicklungsdynamik hemmen, was im weltweiten Wettlauf fatal ist, denkt man.

Der Interviewer brachte nach dem Alles-prächtig-Statement eine neue Frage ins Spiel, ob nämlich überhaupt so etwas wie emotionale Intelligenz erreichbar sei, denn die sei ja ein wesentlicher Bestandteil der „starken KI“. Schmidhuber bejahte und erläuterte seine Annahme auch gleich an einem konkreten Beispei. Wenn ein kleiner Roboter (man hörte ihm an, wie lieb er die mit Chips und Schrittmotoren vollgestopften Hightechpuppen hat) von einem Menschen angegriffen wird, dann kann er auf Grund seiner Sensorik und der ihm eingepflanzten Selbstschutz-Variablen erkennen, dass es besser ist, diesen Menschen zu meiden. Er wird sich angstvoll zurückziehen, kann also durchaus Angstgefühle entwickeln.

Was soll man dazu sagen: flennende Roboter als Problemlöser der Zukunft? Ich dachte, auf sowas könnten nur Japaner kommen. Es mag ja sein, dass man Maschinen bauen kann, die in einer Art Lernprozess Selbstschutzmaßnahmen entwickeln können. Aber in die Ecke kriechen und heulen? Genau so gut oder wahrscheinlicher noch wird es zu der Erfahrung kommen, dass man mit einem blitzschnellen Hieb mit einem scharfen Edelstahlfinger die Halsschlagader des Angreifers durchtrennen kann und dann wirklich Ruhe hat.

Wieder fällt mir eine Parallele ein, und zwar die Bestrebungen an einer kalifornischen Uni, Robotern sowas wie Liebe beizubringen (ich erwähnte den Fall in dem oben verlinkten Erstbeitrag zur KI). Auf der gleichen Ebene liegt das Angstbeispiel von Schmidhuber:  Emotionen werden auf Symptome reduziert. Doch Angst ist mehr als das Erkennen von Gefahren und der zwanghafte Versuch, sich in Sicherheit zu bringen. Angst beeinflusst das gesamte Lebensgefühl negativ. Angst lähmt, blockiert, demotiviert. Sehr treffend der Titel eines Fassbinder-Films: „Angst essen Seele auf.“

Und dann ist da ja noch der Mut als eine Möglichkeit, Angst zu überwinden. Mut ist nicht programmierbar, ebensowenig wie Angst. Mut erfordert Unterstützung, kräftigende Impulse, personale Stärke, Vorbilder usw. Und das alles soll proglrammierbar sein bzw. automatisch in Robotern entstehen, wenn man sie nur entsprechend ausstattet und ihnen etwas Zeit zum Lernen gibt? Die Menschen brauchten Jahrmillionen, um sich zu dem zu entwickeln, was ihre neuzeitliche Existenz ausmacht. Na, dann viel Geduld.

Nein, was die KI-Forscher als starke KI im Sinn haben, kann nicht mehr sein als ein lächerlich oberflächlicher Abklatsch, Lichtjahre von dem entfernt, was den Namen „Intelligenz“ verdient. Und den Forschern sollte es peinlich sein, ihre Produkte als intelligente „Wesen“ zu verkaufen. In der Tat, ein vor Angst heulender Roboter, der sich in einer Ecke verkriecht, ist an Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten. Hoffentlich denken die KI-Euphoriker immer daran, den Tränentank ihres Roboters zu füllen, sonst kann der Hampelmann nicht mal heulen. Und natürlich den Frostschutz nicht vergessen, wenn süß Robbilein im Winter draußen arbeiten muss.

Egal, wie sagte Jürgen Schmidhuber: „Alles wird prächtig.“

 

Tatsachen. Klartext

Menschen, denen es erlaubt ist, nach Belieben Schusswaffen zu kaufen, werden immer versucht sein, sie zu benutzen, denn es verschafft einen Kick. Und einige werden sie benutzen. Mit Freiheit hat das Recht auf Waffenbesitz nichts zu tun.

Menschen, denen man eine Plattform bietet, auf der man auf bequeme Weise alles sagen kann, und das noch vor weltweitem Publikum, werden alles sagen, Tatsache. Und sie werden vor allem das sagen, was ihnen den größten Kick verschafft. Freundlichkeiten gehören nicht dazu. Manche halten’s für Freiheit.

Menschen, die erfahren haben, was man alles sagen kann und darf, werden – ein ganz normaler menschlicher Vorgang – ihrem Verlangen nach immer mehr Kick nachgeben und zu Handlungen übergehen. Die Hemmschwelle wird sinken, definitiv.

Menschen, die jederzeit alles mit dem stets präsenten Smartphone fotografieren können, werden bald nicht mehr ihren leer gegessenen Teller fotografieren und im Netz veröffentlichen, sondern die Motive auf den Schlachtfeldern der Zivilisation suchen. Zum Beispiel dort, wo Unfallopfer sich stöhnend auf dem Asphalt wälzen. Es geht um mehr als eine in der Regel wertlose Bilderflut, es geht um Befriedigung von Sensationsgier.

Menschen, denen man eine ungebremste Mobilität zubilligt, werden mobil sein. Sie werden den Klimawandel beklagen und sich dann auf den Weg machen, nicht daran denkend, dass jede Art von Mobilität Ressourcen verbraucht, also unseren Planeten belastet.

Mernschen, denen man abverlangt, dass sie ihren Weg in einer Ellbogengesellschaft finden müssen, werden ihre trainierten Ellbogen gebrauchen, jedem Mitmenschen gegenüber, der in irgendeiner Weise (meist berechtigt) Anlass zum Ärgern gibt. Ellbogenmenschen sind nun mal ichgesteuert, ideale Akteure in einem unkontrollierbar gemachten Netz.

Menschen, die sich daran gewöhnen, dass Preise wie 19,99 oder 89,99 normal sind, werden irgendwann nicht mehr spüren, wie sehr sie verarscht werden. Sie werden als verarschte Kunden auf Schnäppchenjagd gehen und jedes Gespür für Qualität und Nachhaltigkeit verlieren.

usw.

Tja, so sind die Tatsachen. Sie werden durchaus wahrgenommen, doch wenn es um den Umgang mit diesen Tatsachen geht, dann ist allerorten eine bestürzende Naivität festzustellen. Und eine Angst, sich zu verbrennen, wenn man den wirklichen Ursachen zu nahe kommt. Dabei wissen wir doch alle, dass man an den Brandherd heran muss, wenn man einen Brand bekämpfen will. Doch wie gesagt, schmerzfreier ist es, die kleinen Glutnester am Rand des Flächenbrandes zu löschen und sich dann wohlwollend auf die Schulter zu klopfen.

 

 

Die Kastanie

Ich liebe meinen Computer, immer noch. Es ist wunderbar, damit unter Code::blocks an einem C++-Algorithmus zu arbeiten oder mit Panda3D und unter Python virtuelle Landschaften zu konstruieren. Phantastische Märchenwelten. Die vielen Misserfolge stärken einen, und die eher seltenen Erfolge machen froh und frei.

Und dennoch: Je stärker die IT-Technik mit der totalen Vernetzung in die reale Gesellschaft eindringt, desto weiter entferne ich mich innerlich davon. Immer häufiger unternehme ich Spaziergänge, um in frischer Luft frei denken zu können. Natürlich bleibt das Smartphone dabei zu Hause. Um wieviel echter und wertvoller ist doch die Natur in ihrem Jahreszeitenwechsel. Zum Beispiel jetzt im Herbst. In den letzten Tagen habe ich bei jedem Gang eine Kastanie aufgehoben und in meinem Arbeitszimmer ins Bücherregal gelegt.

In der letzten Woche hatte ich so eine braunglänzende Kastanie in der Hand, als ich am Kanal meinen Rundgang machte. Da fragte ich mich: Was ist das eigentlich, was du in der Hand hältst? Überall lagen die Dinger herum, zum Teil zertreten, zum Teil schon vergammelt. Auf einmal wurde mir klar: Was ich in der Hand hielt, war so etwas wie ein Superchip. In dieser kleinen Kugel waren die Anlagen eines kompletten Kastanienbaums einprogrammiert – die Blätter mit ihrer typischen Form und ihren feinen Strukturen, der Stamm mit seiner rustikalen Rinde, die Form der prächtigen Krone. Und dann natürlich die Blüten und die neuen Kastanien. All diese unvorstellbar komplexen und komplizierten Vorgänge und Strukturen befanden sich in der Kastanie, die ich in der Hand hielt.

Kann die Menschheit im IT-Labor jemals so etwas erreichen? Wird die Menschheit imstande sein, mit Hilfe von gigantischen Speichern und extrem leistungsfähiger KI etwas zu schaffen, was nur annähernd an eine Kastanie heranreicht? Ich denke, nein. Besser: Ich hoffe, nein. Denn sollte die Menschheit ihre Technik so weit vorantreiben können, dann würde sie ihr eigenes Ende einläuten, ganz bestimmt. Insofern ist es tröstlich, im Konjunktiv verharren zu können. Denn bei aller Leistungsfähigkeit der natürlichen Vorgänge, sie funktionieren über Jahrmillionen hinweg nur deshalb so zuverlässig, weil sie ganz starr auf ein bestimmtes, vorgegebenes Verhalten ausgerichtet sind. Und weil die Evolution mit ihren Mutationen sich Zeit lässt, immer wieder neue Gleichgewichtszustände herzustellen.

Dazu sind die Menschen nicht imstande. Sie wollen herrschen und beherrschen und sprengen zu diesem Zweck immer wieder die Grenzen der Vernunft und Selbsbeschränkung. Doch bei aller Kritik an dem ausufernden und auch gefährlichen Gebrauch von „künstlicher Intelligenz“ erwarte ich dennoch nicht, dass sie den finalen Gau auslösen wird, obwohl sie natürlich das Zeug dazu hat. Nein, vorher wird uns unser geschändeter Planet die entscheidende Ohrfeige verpassen und sich auf auf ein Leben vor dem Leben der Primaten zurückziehen. Vielleicht gibt es dann nur noch Meerestiere.