Generationsfrage

Die Jüngeren leben mit und im Internet, das Smartphone ist für sie alles. Die Älteren sind da (noch) etwas zurückhaltender, vielleicht auch deshalb, weil sie die vordigitale Welt mit ihren Werten noch kennen. Interessant ist, dass die jüngere Generation für sich beansprucht, mit den digitalen Mechanismen besser zurechtzukommen; sie beansprucht die digitalen Lebensformen praktisch für sich. Dabei vergessen sie gerne, dass es die mittlere und ältere Generation war, die die Voraussetzung für die Digitalisierung geschaffen hat. Man hat das virtuelle Leben den Jüngeren aufs Auge gedrückt und schaut entsetzt und hilflos zu, wie der Bezug zur realen Welt mit den damit verbundenen Verantwortlichkeiten immer stärker abnimmt.

Grund zum Pessimismus? Eigentlich nicht, eher Grund zur Vorsicht, denn irgendwann wird auch die jüngere Generation merken, dass sich das echte Leben nicht im Internet abspielt, sondern auf dem Planeten Erde. Dass es nicht reicht, auf dem Smartphone herumzuwischen, wenn man protestieren will.

Außerdem sollten wir uns nicht von Horrorzahlen beeindrucken lassen. Heute stand in der Zeitung, das ein Jugendlicher knapp 60 Stunden pro Woche im Internet ist, also fast 10 Stunden täglich. Blöde Zahlenspielerei, ohne Aussagekraft. Wer das Smartphone einschaltet, ist damit auch online. Im Grunde wird mit den Zahlen nur gesagt, dass ein durchschnittlicher Jugendlicher morgens sein Handy einschaltet und abends wieder ausschaltet. Na und? Das wissen wir doch schon längst, auch ohne Statistik.

Wenn die Jugend gegen den Klimawandel protestiert, dann ist das ein hoffnungsvolles Zeichen. Ja, auch für das Klima, aber nur ein wenig, weil die klimazerstörenden Strukturen (grenzenlose Mobilität, Autovernarrtheit, ungezügelte Reiselust, enormer Engergiebedarf durch Digitalisierung, extremes Komfortbedürfnis usw.) so fest verankert sind, das man sie nicht in kurzer Zeit auflösen kann. Nein, hoffnungsvoll ist die Bewegung „Fridays for Future“ deshalb, weil Jugendliche handeln. Dass sie dabei immer öfter über das Ziel hinausschießen, ist ihr Priviieg. Die schlimmste Alternative wäre eine passive, digitalgesteuerte Jugend.

Blankes Entsetzen

Ja, diese Meldung bewirkte bei mir ein kaum noch zu beschreibendes Entsetzen. Worum geht’s? Eine amerikanische Firma, typisches Start-up-Unternehmen, arbeitet an Algorithmen und sensorischen Verfahren, um die Gedanken von Menschen lesen und analysieren zu können. Damit sollen dann Geräte gesteuert werden, typischerweise die Geräte des SmartHome. Wohlgemerkt, es geht nicht darum, dass Schwerstbehinderte selbständig ihren Rollstuhl oder ihre Prothesen steuern können, sondern es geht um so triviale Dinge wie das Aus- und Einschalten von Licht oder das automatische Umschalten auf einen anderen TV-Kanal, wenn der Sensor feststellt, dass einem eine Sendung nicht gefällt. Oder dass man gerade scharf ist und etwas Porno eingespielt haben möchte.

Was hier geschieht, das ist der Versuch, in die privatesten Zonen des Menschen einzudringen. Es gibt nichts Schützenswerteres, Sensibleres, Unantastbareres als die persönlichen Gedanken. Die Überwachung und Analyse von Gedanken ist schlichtweg die Höchststufe an Kontrolle und kann durch nichts mehr überboten werden. Ein Mensch, der ohne zwingenden Grund seine Gedanken von Technik überwachen lässt, gibt seine Freiheit auf, und zwar restlos. Noch einmal: Ich spreche nicht von Extremsituationen wie Schwerstbehinderungen, wo unter sorgfältigster Kontrolle im Einzelfall derartige Techniken sinnvoll sein können, aber dann auch nur, wenn sie auf bestimmte Antwendungsbereiche begrenzt werden. Die dabei anfallenden Daten müssen in einem streng geschützten Raum verbleiben; das Internet scheidet deshalb grundsätzlich aus, weil es den  erforderlichen Schutz systembedingt nicht bieten kann.

Der Einsatz bei Gesunden wird mit dem Ziel einer weiteren digitalen Komfortsteigerung begründet. Man muss, um das Beispiel der Raumbeleuchtung aufzugreifen, nicht aufstehen und sich mühsam die 3 Meter zum Lichtschalter schleppen. Ach, das sowieso nicht, denn dafür benützt man ja Smartphone-Apps. Aber man muss nicht mal mehr das schwere Smartphone vom Tisch hochheben, denn inzwischen gibt es ja Alexa. Aber das ist immer noch Energieverschwendung; infolgedessen sollen auch das Aufmachen des Mundes und die Bewegungen der Stimmbänder nach Meinung der Superdigitalsierer demnächst der Vergangenheit angehören. Tja, eine konsequente Verfolgung des digitalen Glaubensbekenntnisses: „We’ll make the world a better place.“

So, und jetzt wird’s richtig spannend, denn das Start-up-Unternehmen ist in seinen Möglichkeiten natürlich begrenzt. Da muss ein Globalplayer her, der über die nötigen Mittel verfügt und gleichzeitig die Möglichkeit sieht, mit den Verfahren viel Geld zu verdienen. Und seine Macht auszubauen. Den gibt es, diesen Globalplayer. Er hat das Start-up-Unternehmen für eine knappe Milliarde aufgekauft, einfach so, nach bewährter Methode. Es ist Facebook.

Ausgerechnet Facebook! Ausgerechnet diese Bande, die mit ihren schmutzigen Methoden schon jetzt im Datenbereich so viel Schaden anrichtet, soll demnächst auf unsere Gedanken losgelassen werden! Zum Glück sind die Erfolgsaussichten nicht sehr groß.

 

Smarte Kinderwelt

„Ein Land, das bei der Digitalisierung nicht vorne mitmischt, wird in die Bedeutungslosigkeit versinken. Und Firmen, die nicht ganz schnell auf den Digitalisierungszug aufspringen, werden bald keine Chancen mehr haben!“ So oder ähnlich klingen die Mahnungen aus Politik und Wirtschaft.

In der Tat, Digitalisierung ist alles. Digitalisierung ist Aufgeschlossenheit und Fortschritt; Digitalisierung ist Glaube und Hoffnung; Digitalisierung bedeutet Gewinn und Macht; Digitalisierung ist Zukunft und Perfektion; Digitalisierung bedeutet Gesundheit und Wohlbefinden. Diesen Eindruck erhält man, wenn man den Sachkundigen in Politik und Wirtschaft zuhört.

Und so grübeln die Verantwortlichen in den Betrieben und an den Schalthebeln der Wirtschaft, was alles digitalisiert werden kann. Ja, es ist eine ganze Menge, und immer mehr Ideen zur Digitalisierung erhält man, wenn man erst mal zu Gange ist oder einfach mal umherschaut. Da kann es nicht verwundern, dass die Produkte für Kinder in den Fokus der digitalen Brille geraten. Hören wir mal dem Geschäftsführer des Bundesverbands  des Spielwaren-Einzelhandels, Steffen Kahnt, zu. Oder dem Vorstand des Bundesverbands Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller, Michael Neumann. Toll, was die Digitalisierung auf diesem Sektor hervorbringt.

Zum Beispiel die smarten Kindersitze. Wenn die Kinder versehentlich im Auto zurückbleiben, gibt es ein Signal auf dem Smartphone. Man stelle sich die Situation mal vor: Mama und Papa gehen einkaufen und genehmigen sich einen Kaffee im Stehcafé. Da fällt dem Papa etwas siedenheiß auf die Seele: „Du, Lara, schalt doch mal dein Smartphone ein. Es könnte sein, dass wir unsere Deborah im Auto vergessen haben.“ Tja, ein Segen, dass es die smarten Sicherheitsmaßnahmen gibt, kann man da nur feststellen. Man kann ja nicht an alles denken, oder?

Ein anderer Segen, den die smarten Kindersitze bieten, ist die Benachrichtigung, wenn der Sitz nicht richtig montiert wurde. Da sind Mama und Papa also unterwegs zum Urlaubsort, und auf der Autobahn, als die kleine Deb endlich eingeschlafen ist, greift Mama auf dem Beifahrersitz zum Smartphone – und erschrickt. „Du, Tim, fahr mal den nächsten Parkplatz an. Der Kindersitz ist nicht richtig montiert, irgendeine Schnalle sitzt wohl nicht richtig.“ Papa schaut auf den Navi: „Ja, noch 20 km bis zum Parkplatz.“

Klar, wenn es um die Sicherheit von Kindern geht, darf es keine Nachlässigkeit geben. Sicher, wenn schon Elektronik im Kindersitz, dann hätte auch eine einfach Kontrolllampe am Gestell gereicht. Dann wär man gar nicht erst mit falsch montiertem Sitz losgefahren, und es wäre keine Meldung ins Netz gerauscht, dass Papa Tim zu blöd oder zu oberflächlich ist, einen Kindersitz richtig anzubringen. Andere Alternative: Der Hersteller macht die Montage so einfach und narrensicher, dass sich eine elektronische Kontrolle erübrigt. Doch beide Alternativen haben einen gravierenden Nachteil: Sie sind nicht zeitgemäß.

Michael Neumann bringt noch einen weiteren Pluspunkt smarter Kindertechnik ins Gespräch, nämlich die „volle Überwachung des Babys in Bezug auf Puls, Herzschlag, Temperatur“. Das alles sei schon möglich und werde sicherlich die nächsten Jahre Einzug in den Massenmarkt erhalten. – Wenn das kein Grund für die Gesellschaft ist, so richtig aufzuatmen. Wir alle wissen doch, wie extrem wichtig es ist, möglichst umfassende Personenprofile zu haben. Versicherungen, die Polizei, die Werbewirtschaft, Krankenkassen, die Personalabteilungen in den Betrieben, alle profitieren davon. Das Gesundheitsprofil ist ein wesentlicher Bestandteil des Personenprofils, denn es erlaubt Rückschlüsse auf die Brauchbarkeit von Menschenmaterial und bietet der Gesellschaft die Chance, unbrauchbares Materiel auszusortieren. Nun kann also eine wesentliche Lücke im Gesundheitsprofil geschlossen werden, und zwar durch datenmäßige Erfassung frühkindlicher Gesundheitsmerkmale. Gerade Kinderdaten sind so wichtig, dass wir sie nicht einfach liegenlassen dürfen. Wenn das kein Fortschritt ist …

Nun könnte es ja ignorante Zeitgenossen geben, die nüchtern feststellen, dass das alles nicht nur Scheiße ist und gehörig stinkt, sondern darüber hinaus sogar gefährlich für die Entwicklung der Gesellschaft. Dieselben Zeitgenossen könnten könnten den Machern von smartem Kindermaterial zugestehen, dass diese ihr Zeug ebenfalls als Mist einstufen, denn sie sind ja nicht dumm oder total naiv. Was also bewegt die Leute, trotzdem so einen Kram zu produzieren?

Die Antwort geben wieder Branchenvertreter. Die Eltern seien bereit, für die Ausstattung ihrer Kleinen sehr viel Geld auszugeben. Im vergangenen Jahr seien es durchschnittlich 750 Euro gewesen. Na also, kann man da nur sagen, bei soviel Freigiebigkeit wäre man ja bescheuert, wenn man sie nicht zum Gewinn der Branche nutzen würde. Letzten Endes geht es auch bei smarten Wohltaten ums Geld. Eigentlich nur ums Geld, alles andere ist nur vorgeschoben.

 

 

Falscher Ansatz

Die „Digitalisierung“ hat zur Folge, dass eine inzwischen unüberschaubar große Zahl von Geräten auf den Markt geworfen wurde. Ich meine an dieser Stelle nicht die unmittelbar betroffenen Geräte wie Smartphones, Router usw., sondern Geräte, die für ganz andere Aufgaben bestimmt sind und dazu digitale Techniken verwenden oder in irgendeiner Form vernetzt, also „smart“ sind. Beispiel Waschmaschine oder SmartWatch. Eine Waschmaschine ist dazu da, um Bettlaken und Unterhosen wieder sauber zu kriegen, und eine Uhr ist dazu da, um die Zeit anzuzeigen. Was bewegt die Leute, immer neue „smarte“  Geräte zu erfinden oder bestehende Geräte „smart“ zu machen?

Wenn es um die Entwicklung neuer Technik geht, dann gibt es grundsätzlich zwei Ansätze, die Sache in Angriff zu nehmen bzw. zu planen. Dazwischen gibt es noch etliche Zwischentöne, aber um die Ansätze deutlich zu machen, beschränke ich mich auf die Extrempositionen. Immer, wenn es um etwas Neues geht, sollte die Kernfrage sein: „Wozu das eigentlich?“ Auch wenn es nur um technische Dinge geht – Technik hat immer (!) nur eine Hilfsfunktion, eine Werkzeugfunktion -, dann muss diese Frage gestellt werden, wenn die Menschen die Herrschaft über Technik behalten wollen.

Der eine Ansatz besteht also darin, erst mal zu fragen: Was vermissen wir, was wollten wir immer schon haben? Und wenn dann die vernetzte Digitaltechnik eine Lösung anbietet, dann schließt sich gleich eine zweite Frage an: Ist das, was mit digitalen Mitteln möglich wird, so wichtig, so gewinnbingend, dass die Vorteile gegenüber den negativen Auswirkungen und Gefahren, die untrennbar mit der „Digitalisierung“ verbunden sind, hinreichend deutlich überwiegen?

Bei einer solchen Fragestellung kann die „Digitalisierung“ sehr viel Positives bewirken. Sowohl die Hersteller von Produkten als auch die Konsumenten profitieren von der neuen Technik. Doch leider verführt das große Gestaltungspotential rund um Digitalisierung und Vernetzung zu der entgegengesetzten Fragestellung: Was kann man damit alles anstellen, und wie kann ich die Produkte als sinnvoll und nützlich darstellen? Diesem Ansatz kommt entgegen, dass die Entwicklungs- und Erprobungszeiten für neue, digitale Produkte oft vergleichbar gering sind. Die Fülle von Angeboten und die immer kürzer werdenden Produktionszyklen sind sehr vielsagend. Eines steht dabei an letzter Stelle, nämlich der wirkliche Bedarf der potentiellen Kunden, denn die Motivation liegt einseitig bei den Herstellern und ihrem Gewinnstreben. Doch wo kein natürlicher Bedarf vorhanden ist, muss ein künstlicher Bedarf erzeugt oder einfach vorgegaukelt werden. Das SmartHome mit seinen vielen Varianten ist kennzeichnend dafür.

Nun darf man diese Sichtweisen nicht nur auf digitale Produkte beschränken. Die Produktvielfalt ist inzwischen unüberschaubar. Supermärkte müssen in immer geringeren Abständen neue, größere Verkaufshallen bauen, weil sie sonst das Warenangebot nicht komplett präsentieren können. Und der Kunde steht vor dem Regal mit gefühlt drei Dutzend verschieden aromatisierter Sorten desselben Tees und hat Probleme, die von ihm bevorzugte Sorte zu finden, nämlich diejenige ohne kitschige Geschmacksverschiebung. Das nur als Beispiel.

Jedenfalls ergibt sich ein derartiges Sortiment aus der zweiten Fragestellung (siehe oben). Aber im Supermarkt ist das Überangebot eher lästig als tragisch, denn wer keine Schokolade mit Himbeergeschmack mag, lässt sie im Regal liegen. Und eine versehentlich in den Einkaufswagen gelegte Tafel der falschen Sorte kann man schließlich noch wegwerfen. Die „richtige“ Ware ist immer noch zu finden, und verhungern muss niemand wegen der Geschmacksverirrung von Schokolade- oder Teeproduzenten.

Ganz anders der digitale Sektor. Was hier so smart daherkommt und den Leuten als Sicherheitsgewinn, Superkomfort oder Erleichterung aufgedrängt wird, ist mit gefährlichen Nebenwirkungen verbunden, auf die ich nicht erneut eingehen muss. Nebenwirkungen, die allzu leicht übersehen werden, weil sie in einer smarten Verpackung angeboten werden.

 

 

Merkel in China

Wenn Merkel in Peking zu Gast ist, und das ist regelmäßig der Fall, dann haben wir immer dasselbe Bild: Eine resolute, auf dem internationalen Parkett erfahrene Kanzlerin schreitet zielstrebig voran, gefolgt von einem ganzen Tross von Wirtschaftsvertretern. Das markante Gesicht von Joe Kaeser ist fast immer dabei. Klar, eine Weltfirma wie Siemens kann China nicht einfach ignorieren. Und auch der Ablauf ist immer ähnlich: Es beginnt mit einem Gespräch mit einem Chinesen aus der ersten Reihe, wobei Merkel pflichtgemäß die Menschenrechte anspricht. Die Chinesen hören zu, mit scheinbar freundlichem Gesichtsausdruck. Das täuscht allerdings, denn die Gesichter strahlen keine Freundlichkeit, sondern eher eiskalte Höflichkeit aus. Immerhin dauert die Pflichtübung nicht lange; die Chinesen hören vielleicht gar nicht hin. Kann auch sein, dass sie den Standardtext vorher ausgehändigt bekamen und sofort in den Papierkorb werfen konnten.

Anschließend beginnt der eigentliche Besuch. Die deutsche und die chinesische Wirtschaftsdelegationen fallen übereinander her. Die Deutschen wollen Absatzmärkte, um den Wohlstand zu sichern. Die Chinesen wollen mit ihrer Kapitalmacht Einfluss in Europa, um so ihrem Ziel der Weltherrschaft ein Stück näher zu kommen.

Und dann kommt auf einmal ein Student aus Hongkong nach Deutschland und stellt mit einer gewissen historischen Weitsicht fest, dass es zwischen dem inzwischen freien Berlin und dem nicht mehr ganz freien Hongkong deutliche Parallelen gibt. Und dieser schmächtige Geselle schafft, was Merkel mit ihrer gebetsmühlenartigen Kritik an China nicht hingekriegt hat: er bringt die Mächtigen des mächtigsten Landes der Erde auf die Palme, erregt ihren Zorn, verleitet sie zu Maßnahmen und Verlautbarungen, die nur ihre verdeckte Schwäche offenbaren. Und warum?

Ganz einfach, dieser junge Typ aus Hongkong handelt, und er handelt konsequent. Er redet nicht nur, wie Merkel, und geht dann zur Tagesordnung über. Doch Merkel sind die Hände gebunden, denn Deutschland kann nicht handeln. Deutschland muss ja für das Wohlergehen der deutschen Industrie Sorge tragen, da darf man nicht zimperlich sein. Und auch die Forderung nach Einhaltung von Menschrechten nicht allzu nachdrücklich zum Ausdruck bringen. Schließlich ist man ist ja erpressbar. Und das Einfordern von Menschenrechten – du liebe Güte, die Chinesen wissen doch, wie’s gemeint ist.

Registrieren wir einfach: Unser Streben nach Wohlstand macht uns zum Komplizen eines gigantischen Unrechtsstaates. Geld, Geld, Geld … Ja, Deutschland ist käuflich.

Smartes Hören

Das Ziel der smarten Revolution ist, alles miteinander zu vernetzen: alle Menschen, alle Betriebe, alle Behörden, alle Gesundheitseinrichtungen und nicht zuletzt alle Dinge, bei denen es technisch möglich ist. Ein gigantischer Anspruch und doch weitgehend realisierbar. Das vorgelegte Digitalisierungstempo lässt erwaren, dass das Ziel schon in wenigen Jahren erreicht werden kann. Zukunftsforscher sprechen in diesem Zusammenhang von der „Konvergenz der Netze“ und meinen damit die Verkopplung verschiedener dezentraler bzw. spezifischer Netze zu einem alles umfassenden und alles kontrollierenden Netz.

Nun las ich, dass der Hörgerätehersteller Kind ebenfalls smarte Geräte im Angebot hat bzw. dynamisch darauf hinarbeitet, Hörgeräte generell smart zu machen. Ich wurde neugierig und informierte mich auf der Internetseite von Kind. Dass es sich inzwischen kein Hersteller leisten kann, nicht auf den smarten Zug aufzuspringen, war mir schon klar, aber mich interessierte vor allem, welcher Sinn dahinter steckt, wenn Hörgeräte vernetzt werden. Immerhin gehören diese Geräte zu den privatesten Dingen, die man sich vorstellen kann; der größte Teil dessen, was sie empfangen und verstärken, ist nur für den Benutzer der Hörhilfe gedacht und von daher überhaupt nicht für den Datenverkehr über das Internet geeignet. Es muss also extrem schwerwiegende Gründe geben, um diesen privaten Raum aufzureißen.

„Smart Hearing“ nennt sich die Methode, erfuhr ich auf der Kind-Internetseite. Ah ja, klingt in manchen Ohren (auch ohne Hörgerät) wie Zukunft, wie Komfort, wie die bessere Welt, die uns die Digitalisierung ja verspricht. In der Tat: „Umfassende Vernetzung ermöglicht ganz neue Komfortfunktionen“ ist ein Absatz überschrieben. Beispiele: Man bekommt eine Nachricht aufs Smartphone gesendet, wenn Akkus der Hörgeräte zur Neige gehen. Man kann sich Nachrichten oder Tweets direkt aufs Hörgerät schicken lassen. Oder sich anzeigen lassen, dass die Waschmaschine durchgelaufen ist. Oder sich signalisieren lassen, wenn es an der Haustür klingelt.

Besonders der letzte Punkt ist sehr nützlich, vor allem, wenn man kein Hörgerät im Ohr hat. Denn mit Hörgerät könnte man das Klingeln ja direkt hören – falls die Hörhilfe etwas taugt. Nein, die smarte Hörwelle ist so schief wie das SmartHome allgemein. Komfort, der einem eingeredet werden muss, sonst nähme man ihn ja gar nicht wahr. Und um Nachrichten zu erfahren, braucht man nicht mal mehr zu lesen, einfach nur auf Empfang zu bleiben. Um das zu hören, was einem vorgesetzt wird. Da werden nun also auch die Hörgeschädigten in Informationsblasen gefangen. Keiner soll außen vor bleiben, wenn es gilt, die Menschen auf Meinung zu trimmen.

Meine Güte, gibt es denn niemand mehr, der sagt: „Es gibt was Wichtigeres und Besseres als die Totaldigitalisierung“? Sind die wirtschaftlichen Zwänge bereits so, dass nichts mehr unterhalb einer Allesdigitalsierung akzeptabel ist? Keine Inseln mehr, wo man vor dem allgegenwärtigen Smarten geschützt ist und das bewahren und regenieren kann, was sich der Digitalisierung entzieht, nämlich Menschlichkeit? Oder Urteilsfähigkeit und Urteilskraft?

 

Diskriminierung? Datenmissbrauch?

In NRW gibt es ein neues Streitthema: Innenminister Herbert Reul will, dass die Polizei künftig in ihren Berichten auch die Nationalität von Tatverdächtigen angibt. Dagegen gibt es Widerstand – erwartungsgemäß. So wird befürchtet, dass diese Maßnahme gegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Ferner wird ein Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht vermutet, denn immerhin gehöre die Nationalität zu den geschützten, personenbezogenen Daten. Andere wiederum befürchten einen Angriff auf die Integrationsbemühungen.

Ich denke, dass ich nicht im geringsten verdächtig bin, den Datenschutz auf die leichte Schulter zu nehmen, und wer gelegentlich in diesem Blog liest, weiß auch, dass ich mich immer vehement gegen die Diskriminierung von Ausländern, Menschen mit anderer Hautfarbe usw. gewandt habe. Ebenso kann ich guten Gewissens behaupten, dass ich kein Freund von einseitig auf Sicherheit bedachten Innenministern bin. Dennoch muss ich in diesem Fall mal die Position von Reul vertreten.

Zu den Irrtümern im Zuge der Digitalisierung gehört das Unverständnis darüber, welche Daten überhaupt schützenswert sind. Persönliche Daten, zu denen auch personalisierbare Sachdaten gehören, sind schützenswert, klar. Grundsätzlich erst mal. Aber es gibt Ausnahmen: die Adresse zum Beispiel, oder das Geschlecht. Das sind zwar persönliche Daten, aber öffentliche, die ohnehin nicht geschützt werden können. Schützenswert sind dagegen die privaten, persönlichen Daten. Das, was Facebook, Google oder Apple machen, das sind Verstöße gegen den Datenschutz. Aber das, was jeder sowieso erkennen kann?

In den Zeitungen liest man des öfteren Meldungen der folgenden Art: „Ein 26-Jähriger hat mit mit einem Messer …“ Ok, es interessiert hier nicht, was mit dem Messer gemacht wurde, aber ist nicht die Altersangabe eine Preisgabe persönlicher Daten? Und werden dadurch nicht die männlichen (!) Mitglieder der Altersgruppe 20 – 30 diskriminiert? Doch hierbei denkt niemand an Verstöße gegen den Datenschutz. Irgendetwas passt nicht. Die europäische Datenschutzgrundverordnung krankt daran, dass nicht hinreichend zwischen öffentlichen und privaten Daten unterschieden wird. Es gehört zu den Nebenwirkungen der Digitalisierung, dass der Schutz des Privaten immer mehr vernachlässigt wird, was andererseits zur Folge hat, dass öffentliche Daten mitunter krampfhaft unter einen Schutzschirm gestellt werden sollen.

Keine Frage, die sogenannten „Anderen“ in unserer Gesellschaft müssen vor Diskriminierung geschützt werden. Aber ist das Nichterwähnen der Nationalität das richtige Mittel? Schauen wir uns doch einfach mal die Reaktion von Mitmenschen an, die von einem Verbrechen erfahren, bei dem nichts über den Täter gesagt wird. Wie oft hört man bei solchen Gelegenheiten, dass man bei allem Verständnis für Flüchtlinge und Migranten dafür sorgen müsse, dass Deutschland mit den vielen Ausländern nicht überlastet werde. Viele unserer lieben Mitmenschen assoziieren Gewaltverbrechen fast automatisch mit Ausländern und ignorieren, dass immer noch die meisten Verbrechen in Deutschland von Deutschen begangen werden. Inzwischen sind viele Verantwortliche in unserer Gesellschaft der Meinung, dass für eine gerechte Beurteilung vor allem eine faktisch richtige und einigermaßen vollständige Information gehört. Ich denke, dass Migranten ein Recht haben, gerecht beurteilt zu werden. Man sollte der Bevölkerung die Möglichkeit dazu geben.

„Alexa, öffne den Backofen.“

Nach meinem gestrigen Vorabbericht über die IFA nun ein ganz konkretes Beispiel, in unserer heutigen Tageszeitung mit undeutlichem Bild veröffentlicht. Ein Backofen neben dem anderen, quasi eine ganze Backofenwand, davor ein Mensch in einer heftigen Bewegung, vorgestellt als BSH-Manager Roland Hagenbucher. Vermutlich hat der gerade den schicksalsschwereren Ausspruch (siehe Überschrift) getan und vor den verblüfften Zuschauern geht die Klappe auf. Ich kann im Bild nicht genau erkennen, ob die Klappen auch noch einen Griff haben, für den Fall, dass Alexa mal schlecht drauf ist. Man will ja nicht verhungern oder nach zwei Stunden Wartezeit vor einem verkohlten Auflauf sitzen.

Lassen wir mal einfach den Vorteil (welchen überhaupt?) und die massiven Nachteile des smarten Backofens unbeachtet. Einfach nur eine Frage: Ist dem Hagenbucher diese komische Show eigentlich gar nicht peinlich? Wenn es sich nicht um einen Backofen handelte, sondern um einen künstlichen Hund, dann könnte man die Szene noch als unterhaltsamen Gag verstehen: „Alexa, heb‘ mal Struppis Beinchen.“ Aber für einen ernsthaften Gebrauch in der Küche?

Und noch etwas verstehe ich nicht. Es wird nachgefragt, was Kunden davon abhält, sich diese smarten Geräte in die Wohnung zu stellen. Immerhin 90% der Menschen hat (noch) Vorbehalte. was die Branche für verwunderlich hält. Ich wundere mich auch. Ich wundere mich darüber, dass jeder Zehnte so maßlos bescheuert ist, sich dieses nutzlose, aber dennoch gefährliche Zeugs in die Wohnung zu stellen. Ist unsere Gesellschaft drauf und dran, geistig zu veröden und trauen sich die Menschen nicht mehr zu, eine Klappe am Griff zu öffnen? [1] Es gab mal eine Redensart: Zu doof, um einen Eimer Wasser umzuschmeißen. Die Benutzer des SmartHome sind die Produkte der digitalen Verdummung.

Nach etwas mühsamer Recherche konnte ich feststellen, was die Abkürzung „BSH“ bedeutet: „Bosch Siemens Haushaltsgeräte“. Gewaltiges Unternehmen mit weltweiter Verbreitung. Und klarer Akzentuierung. Ja, die Leute von Bosch haben’s drauf; sie waren ja auch maßgeblich an der Programmierung von Abgas-Software für Dieselautos beteiligt. Allmächtige Software, richtig und gewinnbringend eingesetzt, darauf kommt es an. Viel Misserfolg, kann man nur wünschen.

[1] Kann ja sein, dass die 10 Prozent nur ihren technischen Spieltrieb befriedigen. Vielleicht sollten die sich mal überlegen, ob es nicht sicherer wäre, ihren Trieb an smarten, pinkelnden Kunststoffhunden auszutoben statt sich eine Wanze in die Wohnung zu stellen. – Für die Hiflosen im Umgang mit Backöfen hier noch die Gebrauchsanweisung: Griff mit einer Hand umfassen, dann Richtung Körper ziehen, dann geht auch eine analoge Klappe auf. Eine halbe Stunde Übung reicht, um den Handgriff sicher zu beherrschen. Na gut, digitalisierte Leute brauchen vielleicht 2 Stunden, aber dann hat’s jeder drauf. Garantiert. Und will den Komfort, einen von Alexa, Netz und Amazon unabhängigen Backofen zu haben, nicht mehr missen. Garantiert nicht.

Schöne neue Welt – KI im Haushalt

Bis vor einigen Monaten ging’s bei der Digitalisierung des Haushalts vornehmlich um die Vernetzung, also das Internet der Dinge. Schon überholt. In Zeiten, wo die ganze Welt nach „künstlicher Intelligenz“ schreit, dringt dieselbe auch in den modernen Haushalt ein und … ja was eigentlich?

Unsere Tageszeitung brachte einen Vorabbericht über die in Kürze beginnende IFA, jene Ausstallung, die sich mal mit Fernsehen, Rundfunk und Stereoanlanlagen befasste, sich nun aber als allgemeine Elektronikmesse und Motor für technischen Fortschritt versteht – echten Fortschritt und eingebildeten (bzw. eingeredeten) Fortschritt. Hier die wichtigsten Aussagen in dem Artikel:

  • „Die Geräte … werden immer mehr in der Lage sein, ihren Nutzer besser zu verstehen und mit ihm zu interagieren.“ (Gemeint sind Haushaltsgeräte)
  • „Je länger man … ihnen Gelegenheit gibt, das Nutzungsverhalten ihrer Besitzer zu analysieren, desto schlauer werden sie.“
  • „Wenn Sie den Ofen mit Ihrem Backhähnchen immer zum selben Zeitpunkt ausmachen, wird das Gerät das sehr schnell lernen.“
  • „… dass man die Geräte mit Daten anfüttern und die erfassten Messwerte kontinuierlich per App ins Netz geben muss – denn das eigentliche Hirn der KI sitzt nicht im Gerät selbst.“
  • „Schlaue Geräte werden in erster Linie den Komfortgedanken bedienen.“
  • „Der Saugroboter weiß, in welchem Raum Sie typischerweise wann sind und saugt dann, wenn Sie nicht da sind.“
  • „Trinkt der Bewohner nachts gerne noch Milch, bereitet sich der mitdenkende Kühlschrank mit der Zeit diese Routine vor. Er kühlt sich kurz vor dem üblichen Trink-Zeitpunkt noch mal herunter.“

Als ich diesen Artikel gelesen hatte, habe ich ein paar Mal tief durchgeatmet und dann laut „Scheiße!“ geschrieen, nachdem ich die Tür geschlossen hatte. Ich wollte ja die anderen Familienmitglieder nicht übermäßig erschrecken.

Wenn man sich die Kernaussagen mal auf der Zunge zergehen lässt und nicht auf der Prämisse herumreitet, dass jede moderne Technik schon deshalb gut ist, weil sie modern ist, dann offenbaren sich einige erschreckende Tendenzen. Außer einem mehr als zweifelhaften, ja geradezu lächerlichen Komfort hat diese Technik nichts Vorteilhaftes zu bieten. Ein Saugroboter, der hinter dem Rücken durch die Räume fegt, wenn man nicht da ist, was hat das mit Komfort zu tun? Ist es so unkomfortabel, einfach mal eine Taste (oder Fußschalter) auf dem Saugroboter zu drücken und ihn dann im Auge zu behalten? Wenn’s denn ein Saugroboter sein muss, denn das Saugen mit einem herkömmlichen Staubsauger hat auch seine Vorteile. Oder das automatische Abschalten des Backofens, wenn der Flattermann die zum Benutzer passende Garstufe erreicht hat. Ist es so umständlich, einfach den Schalter am Backofen auf „aus“ zu stellen und den Garvorgang im Auge zu behalten? Kann ja sein, dass man das Steak mal etwas anders probieren möchte.

Wenn man das SmartHome mal ein bißchen – ein klitzekleines bißchen kritisch betrachtet, dann zeigt sich doch folgendes: Der Komfort ist vorgeschoben oder allenfalls vernachlässigbar gering, dafür ist das ganze Zeugs höchstgradig überflüssig. Da stellen sich zwei Fragen: Warum wird so etwas überhaupt hergestellt, und was veranlasst die Leute, so einen Kram zu kaufen? Die erste Frage ist schnell beantwortet: Es geht um Geld. Die Hersteller, allen voran Bosch, müssen was Neues auf den Markt schmeißen, egal ob sinnvoll oder nicht, egal, ob brauchbar oder nicht. Es muss nur als sinnvoll und brauchbar angepriesen werden. Ein Bedarf muss nicht bestehen, ein Bedarf muss geweckt werden.

Und die Käufer? Es gab mal eine Zeit, da war ich überzeugt, dass die meisten Menschen in einer demokratischen Gesellschaft sich vernünftig verhielten. Das war ein Irrtum, wie sich nicht nur an dem Konsum- und Kaufverhalten zeigt. Mit geeigneter Marketing-Strategie und mit Unterstützung der extrem leistungsfähigen Werbeindustrie lassen sich die Konsumenten am Nasenring zu jedem gewünschten Ort führen. Die Digitalisierung hat ein übriges getan, um Personengruppen lenkbar zu machen. Nee, die Leute kaufen jeden Scheiß, sofern er nur ins passende Licht gerückt wird.

Nun könnte man ja annehmen, dass die Annehmlichkeiten des „intelligenten“, smarten Hauses eher harmlos sind, so etwas wie Spielzeug. Peinlich zwar, aber letzten Endes nicht schlimm. Auch das stimmt nicht.

  • Da ist die Rede von der Analyse des Nutzerverhaltens, und an anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass die KI nicht in den Endgeräten steckt, sondern in zentralen Servern. Also wird das Nutzerverhalten brühwarm an diese Server übermittelt, wo es dann im großen Stil analysiert wird. Wohlgemerkt, es geht hier um nutzerspezifische Dinge, also um ganz persönliche Daten, und nicht um ein paar technische Informationen. Unfassbar. Wir regen uns über eine dreckige Daten-Analysefirma wie Cambridge Analytica auf und lassen an anderer Stelle zu, dass unser Kühlschrank der Zentrale meldet, wann ich nachts mein Bier oder meine Milch trinke, oder dass der Saugroboter den Server davon unterrichtet, wann ich nicht zu Hause bin. Oder gewohnheitsmäßig auf dem Klo.
  • Es wurde wiederholt davor gewarnt, dass die vernetzten Hausgeräte beliebte Einfallstore für Hackerangriffe sind. Jedenfalls stellen sie Verbreitungs-Plattformen für gefährliche Schadsoftware dar. Kurz: Mit Sicherheit hat der smarte Hauskram nichts zu tun, und die sogenannte „Intelligenz“ von Maschine, Ofen oder Kochtopf ist nur möglich, wenn der Haushalt sperrangelweit Richtung Internet geöffnet wird. Haus der offenen Türen.
  • Die größte Gefahr, die vom intelligenten Haushalt ausgeht, kommt auf leisen Sohlen daher, schleichend, smart eben. Sie „verstehen“ ihre Benutzer, gehen auf sie ein, finden deren Gewohnheiten heraus und verfestigen diese. Für kreative Abweichungen ist kein Platz mehr, die Handlungen werden automatisiert. Der Kühlschrank, der die nächtliche Milch [1] zur gewohnten Zeit abkühlt, ist hilflos, wenn der Milchtrinker mal um zwölf, mal um zwei Uhr nach dem weißen Gesöff verlangt. Und da kühle Milch besser schmeckt als nicht ganz so kühle Milch, passt sich der milchtrinkende Gesundmensch seinem Kühlschrank an, stabilisiert seine Gewohnheiten und weist alles Ungewohnte zurück. Und der Saubermensch, der seinem Saugroboter nicht im Weg stehen will, geht dann aus dem Haus, wenn der intelligente Sauger in Aktion treten will. Kurz: die Haushaltsgeräte automatisieren den Tageslauf der Menschen, die sich anpassen. Natürlich kann man einen Saugroboter auch von Hand anwerfen, und zwar immer dann, wenn man den Raum nicht betreten muss, aber genau das ist ja nicht der Zweck eines mit KI gesteuerten Hauhalts. Bei vernünftigem Gebrauch benötigen die Haushaltsgeräte keine künstliche Intelligenz oder Internetanbindung.

[1] Gibt’s das wirklich, nächtlichen Durst auf Milch? Durst auf ein Bier, das kann ich verstehen, aber Milch passt besser in das Werbekonzept der Gerätehersteller. Milch ist gesund, und so bekommt der „intelligente“ Gerätepark klammheimlich noch den Gesundstempel aufgedruckt, unmerklich für den Käufer oder Benutzer. Aber Werbung ist halt größtenteils ein Spiel mit dem Unbewussten, mit verstecken Assoziationen, mit hintergründigen Wünschen und Abneigungen.

Freiheit in Gefahr

Schon seit Wochen protestieren viele Einwohner von Hongkong gegen den wachsenden Einfluss der Zentralregierung in Peking, was aus Sicht eines an Freiheit gewohnten, westlichen Bürgers durchaus verständlich ist. Freiheit ist ein Grundbedürfnis der Menschen, und ohne ein Mindestmaß an Freiheit können sie sich nicht entfalten und ihr Menschsein leben. Wie wichtig Freiheit für die menschlichen Gemeinschaften ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Um der Freiheit willen wurden Kriege geführt, vielleicht die einzigen berechtigten Kriege. Denken wir an die Befreigungskriege nach der napoleonischen Herrschaft in Europa, oder denken wir an den Sezessionskrieg in den Vereinigten Staaten, wo es um die Befreiung der Sklaven ging. Um der religiösen Freiheit willen wanderten viele Menschen aus Europa nach Amerika aus und nahmen lebensbedrohliche Strapazen in Kauf. Die Feiheitsstatue vor Manhattan soll daran erinnern, wofür die USA einmal standen. Es war das Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse, die zu Revolutionen führte. Eugène Delacroix erhob in seinem Bild „Die Freiheit führt das Volk“ die Figur der Marianne zur Symbolfigur für den allgemeinen Freiheitsanspruch und das Auflehnen gegen Unterdrückung.

Das sind nur einige Beispiele dafür, wie wichtig Freiheit ist. Was Freiheit im tieferen Sinne bedeutet, und was die Ursachen für das Streben nach Freiheit sind, darüber will ich mich hier nicht auslassen. Das ist Sache von Psychologen, Soziologen und Philosophen. Hier nur soviel: Feiheit ist kein Ja oder Nein, sondern eine quantitative Angelegenheit. Niemand kann in der Gesellschaft völlig frei agieren, das würde umgehend in ein Chaos führen. Es kann also nur darum gehen, möglichst viel Freiheit für die Individuen zu sichern und die Freiheitsrechte gegen andere Anliegen aufzuwiegen. Wobei, das möchte ich in aller Deutlichkeit feststellen, die Freiheitsrechte einen hohen Stellenwert haben, viel höher als der von Sicherheit und extrem höher als der von Komfort und Bequemlichkeit.

Ein anderer Aspekt: Freiheit ist bis zu einem gewissen Grade eine individuelle Sache. Geistig und körperlich aktive Menschen beanspruchen einen größeren Freiheitsradius als inaktive oder geistig anspruchslose Menschen. Wobei man die Sache auch anders herum sehen kann: Mangel an Freiheit kann zu körperlicher Passivität und geistiger Austrocknung führen. Die individuell ausgeprägten Freiheitsansprüche bieten totalitären Systemen die Möglicheit, die Bürger mit Ersatzangeboten zu befriedigen, also Sicherheit, Bequemlichkeit, Wohlstand usw. China ist ein deutliches Beispiel für gelungene Freiheitsunterdrückung bei gleichzeitiger Grundzufriedenheit der Bürger.

Überhaupt ist die Situation in China in mancherlei Hinsicht aufschlussreich, wenn es um die Betrachtung von Freiheit geht. Man sagt, die Festlandchinesen seien mit ihrer Situation gar nicht so unzufrieden, weil sie – historisch gesehen – schon seit  Generationen mehr oder weniger unfrei gelebt hätten. Die Bürger von Hongkong jedoch kennen Freiheit und empfinden den drohenden Mangel an Freiheit als Verlust. Auch über die Methoden zur Durchsetzung von Unfreiheit kann man am Beispiel China einiges erfahren. Natürlich geht es in erster Linie um Zwangsmaßnahmen und konsequente, mitunter drastische Sanktionen. Um hier wirkungsvoll agieren zu können, braucht der Staat das nötige Wissen über die Bürger. Also geht es auch um Überwachung. Andererseits lässt man den Bürgern dort eine wohldosierte Portion Freiheit, wo diese dem System nicht schaden kann. Damit die Bürger damit zufrieden sind, werden sie von allen Informationen abgeschnitten, die Begehrlichkeiten wecken könnten. Zwang, Strafe, Verdummung, harmlose Leckerli, damit lässt sich vieles umschreiben.

Und dennoch, so brutal uns Demokraten das autoritäre Vorgehen in China auch vorkommen mag: Die dort praktizierten Vorgänge rund um Freiheitsentzug sind nicht mal die schlimmsten, denn sie können Widerstand erzeugen, wenn die Abschottung von Informationen mal irgendwo aufbrechen sollte. Viel gefährlicher ist der Freiheitsentzug, der mit sanften, smarten Miteln erzeugt wird. Die Bürger wähnen sich frei, weil sie von der Überwachung und der aus dem Hintergrund erfolgenden Manipulation nichts mitbekommen. Sie zappeln wie Marionetten, sehen aber die Fäden nicht, an denen sie hängen.

Die schlimmste Form des sanften Freiheitsentzugs aber ist die, bei der die Menschen aus Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit auf ihren Freiraum verzichten. Diese freiwillige Entliberalisierung der Gesellschaft ist aus zwei Gründen fatal. Zum einen gibt es keine wirksame Möglichkeit, gegenzusteuern, denn es fehlt die entscheidende Triebkraft, nämlich das Verlangen nach Freiheit. Zum anderen ist dieser Verzicht ein alarmierendes Zeichen, dass die Gesellschaft bereits im Begriff ist, geistig-moralisch auszutrocknen. Dort, wo Freiheit den Menschen egal ist, treten Stumpfsinn und geistig-moralische Armut in den Vordergrund.

Doch ist Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft wie der unsrigen überhaupt ernsthaft bedroht? Und wenn ja, an welchen Stellen wird das freiheitliche Gemeinwesen brüchig? Zur Beantwortung dieser Fragen kann es hilfreich sein, einmal zu überlegen, wie sich Freiheit äußert. Oder – anders formuliert – welche konkreten Erscheinungsformen von Freiheit es gibt.

Da haben wir zunächst mal die offensichtlichste Form der Freiheit, nämlich die Bewegungsfreiheit. Für die Art und Weise, wie man sich bewegt, gibt es naturgemäß strenge Regeln. Man muss, um es ganz platt zu sagen, auf der Straße rechts fahren. Usw. Aber diese Regeln sind letzten Endes eher belanglos. Entscheidend ist, dass jeder mündige Mensch das Recht auf Freizügigkeit hat, also dorthin gelangen kann wohin er möchte. Ebenso entscheidend ist, dass er, sofern er keine anderen Pflichten verletzt, niemand Rechenschaft schuldig ist, wohin seine private Reise geht. In diesem Sinne ist die Freizügigkeit innerhalb Europas, ohne Grenzkontrollen, eine historische Leistung sondergleichen. Und damit kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Kontrollen schränken die Freizügigkeit ein, sie sind Einschnitte in die persönliche Bewegungsfreiheit. Nicht, weil die Fahrzeuge an Grenzen anhalten müssen, sondern weil durch Kontrollen Bewegungsprofile ermöglicht werden, die das Verhalten des Einzelnen sanktionsfähig machen. Wer befürchten muss, dass aus seiner Fortbewegung oder seinen Aufenthalten irgendwelche Rückschlüsse gezogen werden können, ist diesbezüglich nicht mehr frei.

Die größte Gefahr für die Bewegungsfreiheit geht allerdings nicht von Grenzkontrollen aus, sondern von der digitalen Überwachung. Diese erfolgt meistens versteckt unter dem Deckmantel von wohlfeilen gesellschaftlichen Anliegen wie Sicherheit, Komfort, Abrechnungsgerechtigkeit usw. Es sind smarte Methoden, deren negative Auswirkungen auf die persönliche Freiheit von vielen Menschen nicht wahrgenommen werden. Eine Sensibilisierung findet, wenn überhaupt, nur ansatzweise statt.

Eine andere Form von Freiheit ist die private Freiheit. Damit meine ich die Rückzugsgelegenheit in eine Privatsphäre, wo man tun und lassen kann was man will, sofern die Rechte von Mitmenschen nicht verletzt werden. Gemeint ist die Wohnung, die schlichtweg unverletzlich sein muss. Es hat schon seinen Grund, wenn das Eindringen in eine Wohnung, und sei es nur in Form von Abhörgeräten, grundsätzlich nur auf richterlichen Beschluss und in aktuten Gefahrenlagen erfolgen darf. Geschützte Privaträume sind umso wichtiger, je mehr sich ein Mensch in öffentlichen Räumen bewegen muss. Zum Schutz der Privatsphäre gehört auch die zeitweilige Unerreichbarkeit, etwa per Telefon oder Handy.

Und auch diese Freiheit ist durch die Digitalisierung gefährdet. Die vernetzten Geräte des Smarthome, der Echo-Lautsprecher von Amazon, ja, selbst das in der Wohnung eingeschaltete Smartphone, all das sind Geräte, die im Sinne von Abhöranlagen funktionieren können – und wahrscheinlich unbemerkt auch so agieren. Alle Geräte, die für ihre Funktion eine Verbindung zu einem zentralen Server benötigen, sind potentielle Angreifer auf die persönliche Freiheit. Vielfach wird auf die Gefahr hingewiesen, dass die Daten aus der privaten Wohnung am Ende bei einem Geheimdienst landen könnten. Ich weiß nicht, ob das so ist, doch ich bin sicher, dass die privaten IT-Unternehmen wie Facebook, Google oder Apple mit den unerlaubt gesammelten Daten mehr Unheil anrichten als ein unter staatlicher Aufsicht agierender Geheimdienst.

Machen wir weiter mit der Meinungsfreiheit. In einer demokratischen Gesellschaft ist die Meinungsfreiheit relativ gut gesichert – meint man. Im Grunde kann dort jeder das sagen, was er möchte, sofern er keine anderen Mitmenschen damit verletzt. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht, denn die Freiheit der Meinungsäußerung ist sinnlos, wenn man nur in einem schalldichten Container ohne Zuhörer sprechen darf. Sie ist auch sinnlos, wenn die Zuhörer, Leser oder Zuschauer keine Möglichkeit haben, sich ihre Meinung frei zu bilden, z.B. weil die Informationen gefiltert werden. Meinungsfreiheit beinhaltet immer auch Freiheit der Informationsbeschaffung. Dass die Informationen ein möglichst breites Spektrum abbilden müssen, und dass dieses wiederum nur bei zugesicherter Meinungsvielfalt möglich ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Recht der Meinungsfreiheit.

Somit ist es nur verständlich, wenn autoritäre Systeme darauf bedacht sind, die Informationsbeschaffung zu beschränken und zu kanalisieren. Auf dem Weg in eine Autokratie geht es als erstes den freien Medien an den Kragen, weniger, um den dort tätigen Journalisten zu schaden, sondern vor allem um die Bevölkerung von Informationen fernzuhalten. In einem demokratischen System geschieht so etwas nicht, und doch ist auch hier die Meinungsfreiheit ständig gefährdet, haptsächlich durch Informationsblasen. Besonders bei regem Meinungsaustausch kommt es – vor allem wegen der Höherbewertung von allgemein bevorzugten Meinungsrichtungen, zu einer Art von „Meinungsverklumpung“. Gleichgesinnte bestärken sich gegenseitig in ihrer oft extremen Meinung und kapseln sich gleichzeitig nach außen hin ab. Diese Erscheinung kann zu einem bizarren Wahlverhalten führen, wie wir es jetzt in den USA erlebt haben. Aber auch die antisemitischen und fremdenfeindlichen Wellen in der Vergangenheit und – leider – auch Gegenwart haben sehr viel damit zu tun.

Die Entstehung von Informationsblasen kann man sehr deutlich analysieren, wenn man den regen Informationstausch in den digitalen Medien beobachtet. Man weiß inzwischen, welche verheerende Wirkung der ungehemmte Informationstausch in den sozialen Medien hat. Die Menschen, die sich in die Kommentarketten hineinhängen oder wie wild twittern, posten und liken, merken meistens gar nicht, wie sie sich immer mehr in einem eingeengten Meinungsbild verfangen und wie sich die Informationsblase um sie herum immer enger zusammenzieht. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Informationen vor allem über Messenger zugestellt werden. Informationsfreiheit verlangt aber, dass Informationen immer abgeholt werden. Nur so sind manipulative Einflussnahmen weitgehend zu begrenzen. Wenn jemand über seine App mit einer Reihe von Informationen konfrontiert wird, die alle in eine Richtung gehen aber irgendwie plausibel klingen, dann beginnt die Meinungs- und Informationsfreiheit gehörig an zu wackeln.

Schließlich noch ein Blick auf die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Kaum etwas wird durch Normen, gesellschaftliche Zwänge, betriebliche bzw. administrative Abläufe oder schlichten Gehorsam so sehr eingeschränkt wie unsere Handlungsfreiheit. Zunächst einmal möchte ich registrieren, dass hierbei eine positive Tendenz zu beobachten ist. Mit fortschreitender Demokratisierung auch in Betrieben und Verwaltungen wird der Freiraum für den Einzelnen größer. Der Anspruch auf ein „selbstbestimmtes Leben“, überhaupt das Verlangen nach Selbständigkeit ist kennzeichnend für diese Entwicklung. Doch diese Bestrebungen kommen aus einer nach Humanität strebenden Gesellschaft und werden – erneut – von der Digitalsierung gefährdet.

„Künstliche Intelligenz“, eine Kernfunktion der Digitalisierung, ist gedacht und geeignet, den Menschen Entscheidungen abzunehmen, nicht zuletzt deshalb, weil menschliche (humane) Entscheidungen oft unvollkommen sind, was immer man auch als Maßstab für Vollkommenheit setzen mag. Das „Befreien“ von lästigen Entscheidungen reicht bis in die privatesten, persönlichsten Bereiche hinein und macht das Leben unfreier. Mehr noch: Da eine freie Handlung normalerweise auf einer freien Entscheidung beruht, Entscheidungsfreiheit aber ständig geübt werden muss, wird die Gesellschaft auf schleichendem Wege unfähig, das Recht auf Handlungsfreiheit wahrzunehmen. Die Menschen wollen nicht mehr agieren, sondern sich digital bedienen lassen. Und sich nebenbei nicht mit der Verantwortung herumplagen, die untrennbar mit jeder freien Entscheidung verbunden ist.

Fazit:

Es scheint noch nicht ins Bewusstsein der meisten Bürger gedrungen zu sein, aber wenn die Positionen eines PKWs an etlichen Stellen registriert werden, wenn eine Gesichtserkennung verrät, dass Frau Sowieso zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Laden war, dann kann von freier Bewegung keine Rede sein. Wenn das Smarhome irgendetwas aus der Wohnung preisgibt, dann ist das wie eine Wanze, dann verliert die Wohnung als freien Schutz- und Rückzugsraum ihren Wert. Wenn man eine Meinung, die einem ungewollt von Facebook im Messenger präsentiert wird, aufgreift und zur Maxime eigenen Handelns aufgreift, dann vernachlässigt man die Grundregeln der Meinungsfreiheit. Wer sich in persönlichen Dingen auf digital berechnete Entscheidungen einlässt, trägt dazu bei, dass menschliche Entscheidungsfreiräume nach und nach aufgegeben werden. Smarter Freiheitsverlust.

Aber vielleicht ist das sowieso alles Schnee von gestern. Vielleicht kann (oder will) der smarte, zukünftige, aufgeschlossene, technisch versierte Mensch der Zukunft gar nicht mehr frei sein, sondern einfach nur noch funktionieren. Und dabei gut (= bequem) leben.