„Alexa, öffne den Backofen.“

Nach meinem gestrigen Vorabbericht über die IFA nun ein ganz konkretes Beispiel, in unserer heutigen Tageszeitung mit undeutlichem Bild veröffentlicht. Ein Backofen neben dem anderen, quasi eine ganze Backofenwand, davor ein Mensch in einer heftigen Bewegung, vorgestellt als BSH-Manager Roland Hagenbucher. Vermutlich hat der gerade den schicksalsschwereren Ausspruch (siehe Überschrift) getan und vor den verblüfften Zuschauern geht die Klappe auf. Ich kann im Bild nicht genau erkennen, ob die Klappen auch noch einen Griff haben, für den Fall, dass Alexa mal schlecht drauf ist. Man will ja nicht verhungern oder nach zwei Stunden Wartezeit vor einem verkohlten Auflauf sitzen.

Lassen wir mal einfach den Vorteil (welchen überhaupt?) und die massiven Nachteile des smarten Backofens unbeachtet. Einfach nur eine Frage: Ist dem Hagenbucher diese komische Show eigentlich gar nicht peinlich? Wenn es sich nicht um einen Backofen handelte, sondern um einen künstlichen Hund, dann könnte man die Szene noch als unterhaltsamen Gag verstehen: „Alexa, heb‘ mal Struppis Beinchen.“ Aber für einen ernsthaften Gebrauch in der Küche?

Und noch etwas verstehe ich nicht. Es wird nachgefragt, was Kunden davon abhält, sich diese smarten Geräte in die Wohnung zu stellen. Immerhin 90% der Menschen hat (noch) Vorbehalte. was die Branche für verwunderlich hält. Ich wundere mich auch. Ich wundere mich darüber, dass jeder Zehnte so maßlos bescheuert ist, sich dieses nutzlose, aber dennoch gefährliche Zeugs in die Wohnung zu stellen. Ist unsere Gesellschaft drauf und dran, geistig zu veröden und trauen sich die Menschen nicht mehr zu, eine Klappe am Griff zu öffnen? [1] Es gab mal eine Redensart: Zu doof, um einen Eimer Wasser umzuschmeißen. Die Benutzer des SmartHome sind die Produkte der digitalen Verdummung.

Nach etwas mühsamer Recherche konnte ich feststellen, was die Abkürzung „BSH“ bedeutet: „Bosch Siemens Haushaltsgeräte“. Gewaltiges Unternehmen mit weltweiter Verbreitung. Und klarer Akzentuierung. Ja, die Leute von Bosch haben’s drauf; sie waren ja auch maßgeblich an der Programmierung von Abgas-Software für Dieselautos beteiligt. Allmächtige Software, richtig und gewinnbringend eingesetzt, darauf kommt es an. Viel Misserfolg, kann man nur wünschen.

[1] Kann ja sein, dass die 10 Prozent nur ihren technischen Spieltrieb befriedigen. Vielleicht sollten die sich mal überlegen, ob es nicht sicherer wäre, ihren Trieb an smarten, pinkelnden Kunststoffhunden auszutoben statt sich eine Wanze in die Wohnung zu stellen. – Für die Hiflosen im Umgang mit Backöfen hier noch die Gebrauchsanweisung: Griff mit einer Hand umfassen, dann Richtung Körper ziehen, dann geht auch eine analoge Klappe auf. Eine halbe Stunde Übung reicht, um den Handgriff sicher zu beherrschen. Na gut, digitalisierte Leute brauchen vielleicht 2 Stunden, aber dann hat’s jeder drauf. Garantiert. Und will den Komfort, einen von Alexa, Netz und Amazon unabhängigen Backofen zu haben, nicht mehr missen. Garantiert nicht.

Schöne neue Welt – KI im Haushalt

Bis vor einigen Monaten ging’s bei der Digitalisierung des Haushalts vornehmlich um die Vernetzung, also das Internet der Dinge. Schon überholt. In Zeiten, wo die ganze Welt nach „künstlicher Intelligenz“ schreit, dringt dieselbe auch in den modernen Haushalt ein und … ja was eigentlich?

Unsere Tageszeitung brachte einen Vorabbericht über die in Kürze beginnende IFA, jene Ausstallung, die sich mal mit Fernsehen, Rundfunk und Stereoanlanlagen befasste, sich nun aber als allgemeine Elektronikmesse und Motor für technischen Fortschritt versteht – echten Fortschritt und eingebildeten (bzw. eingeredeten) Fortschritt. Hier die wichtigsten Aussagen in dem Artikel:

  • „Die Geräte … werden immer mehr in der Lage sein, ihren Nutzer besser zu verstehen und mit ihm zu interagieren.“ (Gemeint sind Haushaltsgeräte)
  • „Je länger man … ihnen Gelegenheit gibt, das Nutzungsverhalten ihrer Besitzer zu analysieren, desto schlauer werden sie.“
  • „Wenn Sie den Ofen mit Ihrem Backhähnchen immer zum selben Zeitpunkt ausmachen, wird das Gerät das sehr schnell lernen.“
  • „… dass man die Geräte mit Daten anfüttern und die erfassten Messwerte kontinuierlich per App ins Netz geben muss – denn das eigentliche Hirn der KI sitzt nicht im Gerät selbst.“
  • „Schlaue Geräte werden in erster Linie den Komfortgedanken bedienen.“
  • „Der Saugroboter weiß, in welchem Raum Sie typischerweise wann sind und saugt dann, wenn Sie nicht da sind.“
  • „Trinkt der Bewohner nachts gerne noch Milch, bereitet sich der mitdenkende Kühlschrank mit der Zeit diese Routine vor. Er kühlt sich kurz vor dem üblichen Trink-Zeitpunkt noch mal herunter.“

Als ich diesen Artikel gelesen hatte, habe ich ein paar Mal tief durchgeatmet und dann laut „Scheiße!“ geschrieen, nachdem ich die Tür geschlossen hatte. Ich wollte ja die anderen Familienmitglieder nicht übermäßig erschrecken.

Wenn man sich die Kernaussagen mal auf der Zunge zergehen lässt und nicht auf der Prämisse herumreitet, dass jede moderne Technik schon deshalb gut ist, weil sie modern ist, dann offenbaren sich einige erschreckende Tendenzen. Außer einem mehr als zweifelhaften, ja geradezu lächerlichen Komfort hat diese Technik nichts Vorteilhaftes zu bieten. Ein Saugroboter, der hinter dem Rücken durch die Räume fegt, wenn man nicht da ist, was hat das mit Komfort zu tun? Ist es so unkomfortabel, einfach mal eine Taste (oder Fußschalter) auf dem Saugroboter zu drücken und ihn dann im Auge zu behalten? Wenn’s denn ein Saugroboter sein muss, denn das Saugen mit einem herkömmlichen Staubsauger hat auch seine Vorteile. Oder das automatische Abschalten des Backofens, wenn der Flattermann die zum Benutzer passende Garstufe erreicht hat. Ist es so umständlich, einfach den Schalter am Backofen auf „aus“ zu stellen und den Garvorgang im Auge zu behalten? Kann ja sein, dass man das Steak mal etwas anders probieren möchte.

Wenn man das SmartHome mal ein bißchen – ein klitzekleines bißchen kritisch betrachtet, dann zeigt sich doch folgendes: Der Komfort ist vorgeschoben oder allenfalls vernachlässigbar gering, dafür ist das ganze Zeugs höchstgradig überflüssig. Da stellen sich zwei Fragen: Warum wird so etwas überhaupt hergestellt, und was veranlasst die Leute, so einen Kram zu kaufen? Die erste Frage ist schnell beantwortet: Es geht um Geld. Die Hersteller, allen voran Bosch, müssen was Neues auf den Markt schmeißen, egal ob sinnvoll oder nicht, egal, ob brauchbar oder nicht. Es muss nur als sinnvoll und brauchbar angepriesen werden. Ein Bedarf muss nicht bestehen, ein Bedarf muss geweckt werden.

Und die Käufer? Es gab mal eine Zeit, da war ich überzeugt, dass die meisten Menschen in einer demokratischen Gesellschaft sich vernünftig verhielten. Das war ein Irrtum, wie sich nicht nur an dem Konsum- und Kaufverhalten zeigt. Mit geeigneter Marketing-Strategie und mit Unterstützung der extrem leistungsfähigen Werbeindustrie lassen sich die Konsumenten am Nasenring zu jedem gewünschten Ort führen. Die Digitalisierung hat ein übriges getan, um Personengruppen lenkbar zu machen. Nee, die Leute kaufen jeden Scheiß, sofern er nur ins passende Licht gerückt wird.

Nun könnte man ja annehmen, dass die Annehmlichkeiten des „intelligenten“, smarten Hauses eher harmlos sind, so etwas wie Spielzeug. Peinlich zwar, aber letzten Endes nicht schlimm. Auch das stimmt nicht.

  • Da ist die Rede von der Analyse des Nutzerverhaltens, und an anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass die KI nicht in den Endgeräten steckt, sondern in zentralen Servern. Also wird das Nutzerverhalten brühwarm an diese Server übermittelt, wo es dann im großen Stil analysiert wird. Wohlgemerkt, es geht hier um nutzerspezifische Dinge, also um ganz persönliche Daten, und nicht um ein paar technische Informationen. Unfassbar. Wir regen uns über eine dreckige Daten-Analysefirma wie Cambridge Analytica auf und lassen an anderer Stelle zu, dass unser Kühlschrank der Zentrale meldet, wann ich nachts mein Bier oder meine Milch trinke, oder dass der Saugroboter den Server davon unterrichtet, wann ich nicht zu Hause bin. Oder gewohnheitsmäßig auf dem Klo.
  • Es wurde wiederholt davor gewarnt, dass die vernetzten Hausgeräte beliebte Einfallstore für Hackerangriffe sind. Jedenfalls stellen sie Verbreitungs-Plattformen für gefährliche Schadsoftware dar. Kurz: Mit Sicherheit hat der smarte Hauskram nichts zu tun, und die sogenannte „Intelligenz“ von Maschine, Ofen oder Kochtopf ist nur möglich, wenn der Haushalt sperrangelweit Richtung Internet geöffnet wird. Haus der offenen Türen.
  • Die größte Gefahr, die vom intelligenten Haushalt ausgeht, kommt auf leisen Sohlen daher, schleichend, smart eben. Sie „verstehen“ ihre Benutzer, gehen auf sie ein, finden deren Gewohnheiten heraus und verfestigen diese. Für kreative Abweichungen ist kein Platz mehr, die Handlungen werden automatisiert. Der Kühlschrank, der die nächtliche Milch [1] zur gewohnten Zeit abkühlt, ist hilflos, wenn der Milchtrinker mal um zwölf, mal um zwei Uhr nach dem weißen Gesöff verlangt. Und da kühle Milch besser schmeckt als nicht ganz so kühle Milch, passt sich der milchtrinkende Gesundmensch seinem Kühlschrank an, stabilisiert seine Gewohnheiten und weist alles Ungewohnte zurück. Und der Saubermensch, der seinem Saugroboter nicht im Weg stehen will, geht dann aus dem Haus, wenn der intelligente Sauger in Aktion treten will. Kurz: die Haushaltsgeräte automatisieren den Tageslauf der Menschen, die sich anpassen. Natürlich kann man einen Saugroboter auch von Hand anwerfen, und zwar immer dann, wenn man den Raum nicht betreten muss, aber genau das ist ja nicht der Zweck eines mit KI gesteuerten Hauhalts. Bei vernünftigem Gebrauch benötigen die Haushaltsgeräte keine künstliche Intelligenz oder Internetanbindung.

[1] Gibt’s das wirklich, nächtlichen Durst auf Milch? Durst auf ein Bier, das kann ich verstehen, aber Milch passt besser in das Werbekonzept der Gerätehersteller. Milch ist gesund, und so bekommt der „intelligente“ Gerätepark klammheimlich noch den Gesundstempel aufgedruckt, unmerklich für den Käufer oder Benutzer. Aber Werbung ist halt größtenteils ein Spiel mit dem Unbewussten, mit verstecken Assoziationen, mit hintergründigen Wünschen und Abneigungen.

Freiheit in Gefahr

Schon seit Wochen protestieren viele Einwohner von Hongkong gegen den wachsenden Einfluss der Zentralregierung in Peking, was aus Sicht eines an Freiheit gewohnten, westlichen Bürgers durchaus verständlich ist. Freiheit ist ein Grundbedürfnis der Menschen, und ohne ein Mindestmaß an Freiheit können sie sich nicht entfalten und ihr Menschsein leben. Wie wichtig Freiheit für die menschlichen Gemeinschaften ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Um der Freiheit willen wurden Kriege geführt, vielleicht die einzigen berechtigten Kriege. Denken wir an die Befreigungskriege nach der napoleonischen Herrschaft in Europa, oder denken wir an den Sezessionskrieg in den Vereinigten Staaten, wo es um die Befreiung der Sklaven ging. Um der religiösen Freiheit willen wanderten viele Menschen aus Europa nach Amerika aus und nahmen lebensbedrohliche Strapazen in Kauf. Die Feiheitsstatue vor Manhattan soll daran erinnern, wofür die USA einmal standen. Es war das Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse, die zu Revolutionen führte. Eugène Delacroix erhob in seinem Bild „Die Freiheit führt das Volk“ die Figur der Marianne zur Symbolfigur für den allgemeinen Freiheitsanspruch und das Auflehnen gegen Unterdrückung.

Das sind nur einige Beispiele dafür, wie wichtig Freiheit ist. Was Freiheit im tieferen Sinne bedeutet, und was die Ursachen für das Streben nach Freiheit sind, darüber will ich mich hier nicht auslassen. Das ist Sache von Psychologen, Soziologen und Philosophen. Hier nur soviel: Feiheit ist kein Ja oder Nein, sondern eine quantitative Angelegenheit. Niemand kann in der Gesellschaft völlig frei agieren, das würde umgehend in ein Chaos führen. Es kann also nur darum gehen, möglichst viel Freiheit für die Individuen zu sichern und die Freiheitsrechte gegen andere Anliegen aufzuwiegen. Wobei, das möchte ich in aller Deutlichkeit feststellen, die Freiheitsrechte einen hohen Stellenwert haben, viel höher als der von Sicherheit und extrem höher als der von Komfort und Bequemlichkeit.

Ein anderer Aspekt: Freiheit ist bis zu einem gewissen Grade eine individuelle Sache. Geistig und körperlich aktive Menschen beanspruchen einen größeren Freiheitsradius als inaktive oder geistig anspruchslose Menschen. Wobei man die Sache auch anders herum sehen kann: Mangel an Freiheit kann zu körperlicher Passivität und geistiger Austrocknung führen. Die individuell ausgeprägten Freiheitsansprüche bieten totalitären Systemen die Möglicheit, die Bürger mit Ersatzangeboten zu befriedigen, also Sicherheit, Bequemlichkeit, Wohlstand usw. China ist ein deutliches Beispiel für gelungene Freiheitsunterdrückung bei gleichzeitiger Grundzufriedenheit der Bürger.

Überhaupt ist die Situation in China in mancherlei Hinsicht aufschlussreich, wenn es um die Betrachtung von Freiheit geht. Man sagt, die Festlandchinesen seien mit ihrer Situation gar nicht so unzufrieden, weil sie – historisch gesehen – schon seit  Generationen mehr oder weniger unfrei gelebt hätten. Die Bürger von Hongkong jedoch kennen Freiheit und empfinden den drohenden Mangel an Freiheit als Verlust. Auch über die Methoden zur Durchsetzung von Unfreiheit kann man am Beispiel China einiges erfahren. Natürlich geht es in erster Linie um Zwangsmaßnahmen und konsequente, mitunter drastische Sanktionen. Um hier wirkungsvoll agieren zu können, braucht der Staat das nötige Wissen über die Bürger. Also geht es auch um Überwachung. Andererseits lässt man den Bürgern dort eine wohldosierte Portion Freiheit, wo diese dem System nicht schaden kann. Damit die Bürger damit zufrieden sind, werden sie von allen Informationen abgeschnitten, die Begehrlichkeiten wecken könnten. Zwang, Strafe, Verdummung, harmlose Leckerli, damit lässt sich vieles umschreiben.

Und dennoch, so brutal uns Demokraten das autoritäre Vorgehen in China auch vorkommen mag: Die dort praktizierten Vorgänge rund um Freiheitsentzug sind nicht mal die schlimmsten, denn sie können Widerstand erzeugen, wenn die Abschottung von Informationen mal irgendwo aufbrechen sollte. Viel gefährlicher ist der Freiheitsentzug, der mit sanften, smarten Miteln erzeugt wird. Die Bürger wähnen sich frei, weil sie von der Überwachung und der aus dem Hintergrund erfolgenden Manipulation nichts mitbekommen. Sie zappeln wie Marionetten, sehen aber die Fäden nicht, an denen sie hängen.

Die schlimmste Form des sanften Freiheitsentzugs aber ist die, bei der die Menschen aus Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit auf ihren Freiraum verzichten. Diese freiwillige Entliberalisierung der Gesellschaft ist aus zwei Gründen fatal. Zum einen gibt es keine wirksame Möglichkeit, gegenzusteuern, denn es fehlt die entscheidende Triebkraft, nämlich das Verlangen nach Freiheit. Zum anderen ist dieser Verzicht ein alarmierendes Zeichen, dass die Gesellschaft bereits im Begriff ist, geistig-moralisch auszutrocknen. Dort, wo Freiheit den Menschen egal ist, treten Stumpfsinn und geistig-moralische Armut in den Vordergrund.

Doch ist Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft wie der unsrigen überhaupt ernsthaft bedroht? Und wenn ja, an welchen Stellen wird das freiheitliche Gemeinwesen brüchig? Zur Beantwortung dieser Fragen kann es hilfreich sein, einmal zu überlegen, wie sich Freiheit äußert. Oder – anders formuliert – welche konkreten Erscheinungsformen von Freiheit es gibt.

Da haben wir zunächst mal die offensichtlichste Form der Freiheit, nämlich die Bewegungsfreiheit. Für die Art und Weise, wie man sich bewegt, gibt es naturgemäß strenge Regeln. Man muss, um es ganz platt zu sagen, auf der Straße rechts fahren. Usw. Aber diese Regeln sind letzten Endes eher belanglos. Entscheidend ist, dass jeder mündige Mensch das Recht auf Freizügigkeit hat, also dorthin gelangen kann wohin er möchte. Ebenso entscheidend ist, dass er, sofern er keine anderen Pflichten verletzt, niemand Rechenschaft schuldig ist, wohin seine private Reise geht. In diesem Sinne ist die Freizügigkeit innerhalb Europas, ohne Grenzkontrollen, eine historische Leistung sondergleichen. Und damit kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Kontrollen schränken die Freizügigkeit ein, sie sind Einschnitte in die persönliche Bewegungsfreiheit. Nicht, weil die Fahrzeuge an Grenzen anhalten müssen, sondern weil durch Kontrollen Bewegungsprofile ermöglicht werden, die das Verhalten des Einzelnen sanktionsfähig machen. Wer befürchten muss, dass aus seiner Fortbewegung oder seinen Aufenthalten irgendwelche Rückschlüsse gezogen werden können, ist diesbezüglich nicht mehr frei.

Die größte Gefahr für die Bewegungsfreiheit geht allerdings nicht von Grenzkontrollen aus, sondern von der digitalen Überwachung. Diese erfolgt meistens versteckt unter dem Deckmantel von wohlfeilen gesellschaftlichen Anliegen wie Sicherheit, Komfort, Abrechnungsgerechtigkeit usw. Es sind smarte Methoden, deren negative Auswirkungen auf die persönliche Freiheit von vielen Menschen nicht wahrgenommen werden. Eine Sensibilisierung findet, wenn überhaupt, nur ansatzweise statt.

Eine andere Form von Freiheit ist die private Freiheit. Damit meine ich die Rückzugsgelegenheit in eine Privatsphäre, wo man tun und lassen kann was man will, sofern die Rechte von Mitmenschen nicht verletzt werden. Gemeint ist die Wohnung, die schlichtweg unverletzlich sein muss. Es hat schon seinen Grund, wenn das Eindringen in eine Wohnung, und sei es nur in Form von Abhörgeräten, grundsätzlich nur auf richterlichen Beschluss und in aktuten Gefahrenlagen erfolgen darf. Geschützte Privaträume sind umso wichtiger, je mehr sich ein Mensch in öffentlichen Räumen bewegen muss. Zum Schutz der Privatsphäre gehört auch die zeitweilige Unerreichbarkeit, etwa per Telefon oder Handy.

Und auch diese Freiheit ist durch die Digitalisierung gefährdet. Die vernetzten Geräte des Smarthome, der Echo-Lautsprecher von Amazon, ja, selbst das in der Wohnung eingeschaltete Smartphone, all das sind Geräte, die im Sinne von Abhöranlagen funktionieren können – und wahrscheinlich unbemerkt auch so agieren. Alle Geräte, die für ihre Funktion eine Verbindung zu einem zentralen Server benötigen, sind potentielle Angreifer auf die persönliche Freiheit. Vielfach wird auf die Gefahr hingewiesen, dass die Daten aus der privaten Wohnung am Ende bei einem Geheimdienst landen könnten. Ich weiß nicht, ob das so ist, doch ich bin sicher, dass die privaten IT-Unternehmen wie Facebook, Google oder Apple mit den unerlaubt gesammelten Daten mehr Unheil anrichten als ein unter staatlicher Aufsicht agierender Geheimdienst.

Machen wir weiter mit der Meinungsfreiheit. In einer demokratischen Gesellschaft ist die Meinungsfreiheit relativ gut gesichert – meint man. Im Grunde kann dort jeder das sagen, was er möchte, sofern er keine anderen Mitmenschen damit verletzt. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht, denn die Freiheit der Meinungsäußerung ist sinnlos, wenn man nur in einem schalldichten Container ohne Zuhörer sprechen darf. Sie ist auch sinnlos, wenn die Zuhörer, Leser oder Zuschauer keine Möglichkeit haben, sich ihre Meinung frei zu bilden, z.B. weil die Informationen gefiltert werden. Meinungsfreiheit beinhaltet immer auch Freiheit der Informationsbeschaffung. Dass die Informationen ein möglichst breites Spektrum abbilden müssen, und dass dieses wiederum nur bei zugesicherter Meinungsvielfalt möglich ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Recht der Meinungsfreiheit.

Somit ist es nur verständlich, wenn autoritäre Systeme darauf bedacht sind, die Informationsbeschaffung zu beschränken und zu kanalisieren. Auf dem Weg in eine Autokratie geht es als erstes den freien Medien an den Kragen, weniger, um den dort tätigen Journalisten zu schaden, sondern vor allem um die Bevölkerung von Informationen fernzuhalten. In einem demokratischen System geschieht so etwas nicht, und doch ist auch hier die Meinungsfreiheit ständig gefährdet, haptsächlich durch Informationsblasen. Besonders bei regem Meinungsaustausch kommt es – vor allem wegen der Höherbewertung von allgemein bevorzugten Meinungsrichtungen, zu einer Art von „Meinungsverklumpung“. Gleichgesinnte bestärken sich gegenseitig in ihrer oft extremen Meinung und kapseln sich gleichzeitig nach außen hin ab. Diese Erscheinung kann zu einem bizarren Wahlverhalten führen, wie wir es jetzt in den USA erlebt haben. Aber auch die antisemitischen und fremdenfeindlichen Wellen in der Vergangenheit und – leider – auch Gegenwart haben sehr viel damit zu tun.

Die Entstehung von Informationsblasen kann man sehr deutlich analysieren, wenn man den regen Informationstausch in den digitalen Medien beobachtet. Man weiß inzwischen, welche verheerende Wirkung der ungehemmte Informationstausch in den sozialen Medien hat. Die Menschen, die sich in die Kommentarketten hineinhängen oder wie wild twittern, posten und liken, merken meistens gar nicht, wie sie sich immer mehr in einem eingeengten Meinungsbild verfangen und wie sich die Informationsblase um sie herum immer enger zusammenzieht. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Informationen vor allem über Messenger zugestellt werden. Informationsfreiheit verlangt aber, dass Informationen immer abgeholt werden. Nur so sind manipulative Einflussnahmen weitgehend zu begrenzen. Wenn jemand über seine App mit einer Reihe von Informationen konfrontiert wird, die alle in eine Richtung gehen aber irgendwie plausibel klingen, dann beginnt die Meinungs- und Informationsfreiheit gehörig an zu wackeln.

Schließlich noch ein Blick auf die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Kaum etwas wird durch Normen, gesellschaftliche Zwänge, betriebliche bzw. administrative Abläufe oder schlichten Gehorsam so sehr eingeschränkt wie unsere Handlungsfreiheit. Zunächst einmal möchte ich registrieren, dass hierbei eine positive Tendenz zu beobachten ist. Mit fortschreitender Demokratisierung auch in Betrieben und Verwaltungen wird der Freiraum für den Einzelnen größer. Der Anspruch auf ein „selbstbestimmtes Leben“, überhaupt das Verlangen nach Selbständigkeit ist kennzeichnend für diese Entwicklung. Doch diese Bestrebungen kommen aus einer nach Humanität strebenden Gesellschaft und werden – erneut – von der Digitalsierung gefährdet.

„Künstliche Intelligenz“, eine Kernfunktion der Digitalisierung, ist gedacht und geeignet, den Menschen Entscheidungen abzunehmen, nicht zuletzt deshalb, weil menschliche (humane) Entscheidungen oft unvollkommen sind, was immer man auch als Maßstab für Vollkommenheit setzen mag. Das „Befreien“ von lästigen Entscheidungen reicht bis in die privatesten, persönlichsten Bereiche hinein und macht das Leben unfreier. Mehr noch: Da eine freie Handlung normalerweise auf einer freien Entscheidung beruht, Entscheidungsfreiheit aber ständig geübt werden muss, wird die Gesellschaft auf schleichendem Wege unfähig, das Recht auf Handlungsfreiheit wahrzunehmen. Die Menschen wollen nicht mehr agieren, sondern sich digital bedienen lassen. Und sich nebenbei nicht mit der Verantwortung herumplagen, die untrennbar mit jeder freien Entscheidung verbunden ist.

Fazit:

Es scheint noch nicht ins Bewusstsein der meisten Bürger gedrungen zu sein, aber wenn die Positionen eines PKWs an etlichen Stellen registriert werden, wenn eine Gesichtserkennung verrät, dass Frau Sowieso zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Laden war, dann kann von freier Bewegung keine Rede sein. Wenn das Smarhome irgendetwas aus der Wohnung preisgibt, dann ist das wie eine Wanze, dann verliert die Wohnung als freien Schutz- und Rückzugsraum ihren Wert. Wenn man eine Meinung, die einem ungewollt von Facebook im Messenger präsentiert wird, aufgreift und zur Maxime eigenen Handelns aufgreift, dann vernachlässigt man die Grundregeln der Meinungsfreiheit. Wer sich in persönlichen Dingen auf digital berechnete Entscheidungen einlässt, trägt dazu bei, dass menschliche Entscheidungsfreiräume nach und nach aufgegeben werden. Smarter Freiheitsverlust.

Aber vielleicht ist das sowieso alles Schnee von gestern. Vielleicht kann (oder will) der smarte, zukünftige, aufgeschlossene, technisch versierte Mensch der Zukunft gar nicht mehr frei sein, sondern einfach nur noch funktionieren. Und dabei gut (= bequem) leben.

 

Trump

Wenn man die Geschichte der USA Revue passieren lässt und dabei mal die vielen Präsidenten betrachtet, dann kann man nur feststellen, dass der derzeitige Präsident, Donald Trump, mit Abstand der schwächste ist, und diesen Rang wird er wohl für immer belegen. Uneinholbar, denn miserabler geht’s einfach nicht. Ich will jetzt gar nicht die vielen persönlichen Defizite aufzählen, die ihn „auszeichnen“, sondern einfach mal einige seiner Fehlleistungen nennen.

Trump ist ein Nationalist durch und durch, und in Folge seines „America first“ mischt er die Wirtschaft der gesamten Welt auf. Immer mehr Zölle, und das in Zeiten eines globalen Handels. Sein protektionistisches Vorgehen hat das Potential, eine Weltwirtschaftskrise heraufzubeschwören,

Trump hat mit einem Federstrich das Abkommen mit dem Iran vom Tisch gewischt und damit die Lunte erneut an das Pulverfass Naher Osten gelegt. Und es war Trump, der ebenfalls mit einem Federstrich den mühsam erarbeiteten INF-Vertrag gekündigt hat und damit den Startschuss zu einem erneuten Wettrüsten gegeben hat. Wahrscheinlich wollte er es so, denn die Tatsache, dass schon wenige Wochen später die USA bereits wieder einen Test mit Mittelstreckenraketen durchführten, ist bezeichnend. Dieser Mensch und seine Berater haben offenbar nicht kapiert, dass man so wichtige Verträge nicht einfach kündigt, selbst wenn der berechigte Verdacht besteht, dass die andere Seite nicht ganz vertragstreu ist. In diesem Fall muss man alles daran setzen, den anderen zur Einhaltung des Vertrages zu bewegen. Für solche elementaren politischen Einsichten fehlt dem Trump so einiges.

Und natürlich ist Trump ein lupenreiner Rassist. Dafür sprechen nicht nur seine dumm-dreisten Angriffe auf die farbigen Kandidatinnen der Demokraten, sondern vor allem die Energie und erbarmungslose Konsequenz, mit der er bemüht ist, restlos alle Errungenschaften seines farbigen Vorgängers im Amt, Barak Obama, wieder wegzuräumen. Na ja, und sein mildes Urteil über die Neo-Ku-Kluxer passt ja ebenfalls ins Bild.

Nicht zuletzt ist Trumps Sympathie für die NRA zu nennen. Bewaffnung, um sich vor Angriffen mit eben solchen Waffen zu schützen. Geradzu pervers sein Ansinnen, Lehrer in den Schulen zu bewaffnen. Dass er mit dieser Einstellung eine Spirale von Gewalt befeuert, geht ihm wohl nicht den Sinn. Wobei man in der Tat fragen muss, was überhaupt Eingang in sein Gehirn findet, außer seinen eigenen Hirngespinsten und seinem Gieren nach Deals. Vielleicht sollte ihn die Waffenbande der NRA als Gewehrputzer einstellen, dann könnte die Welt immerhin aufatmen.

Es ist schon bemerkenswert, was ein einzelner, miserabler Präsident alles kaputt machen kann. Und dennoch kann ich dem Trump nicht so richtig böse sein. Solche Typen gibt es überall und immer wieder, aber sie gehören nicht in eine Regierung. Normalerweise haben sie nichts zu sagen und kotzen sich an Stammtischen oder in Fußballstadien aus. Nein, die eigentliche Schuld liegt bei den Republikanern, die trotz besserer Einsicht (gestehe ich ihnen ohne weiteres zu) an ihrem Kandidaten festhalten. Denn eines verbindet viele Republikaner mit ihrem Trampeltier im Weißen Haus: Der Hass auf die Demokraten und der Wille, alle Obama-Spuren zu beseitigen. Natürlich auch die Waffenliebe. Die Tea-Party-Bewegung ist Ausdruck einer fanatisch-überzogenen Gegnerschaft zu den Demokraten. Wenn Abraham Lincoln, einer der Väter der Republikaner, wüsste, was aus seiner Partei geworden ist, er würde sich wohl im Grabe umdrehen.

Aber auch die Republikaner sind nicht die einzigen Urheber der amerikanischen Trump-Katastrophe. Letztlich sind es die Wähler, die diesem weltbedrohlichen Ungeheuer zum Erfolg verholfen haben. Nicht alle Wähler, nein, nicht einmal die Mehrheit, denn das komische USA-Wahlrecht kann auch Minderheiten zum Erfolg verhelfen. Ich dachte immer, die Amerikaner mit ihrem lautstark geäußerten Anspruch auf Freiheit seien innerlich stabil genug, um auf populistisches Gebrüll nicht hereinzufallen. So kann man sich irren. Amerika, das Land der unbegrenzten Freiheit, ist genau so anfällig für populistisch-nationalistische Gesänge wie inzwischen eine Reihe von europäischen Ländern, Deutschland eingeschlossen.

Und damit noch kurz ein Blick auf Europa. Die Gründung der EU ist die wohl größte historische Leistung der letzten Jahhunderte, und zwar weltweit. Der Kerngedanke von Europa, nämlich der Verzicht auf nationalen Egoismus und Unterordnung von nationalen Interessen unter ein viel wertvolleres Gemeinwesen ist letztlich die beste (vielleicht sogar einzige) Voraussetzung für eine friedvollere Zukunft. Aus diesem Grunde kann man das nationalistische Bestreben in Großbritannien, das bekanntlich zum drohenden Brexit führt, nur verurteilen. Und die Typen, die aus Eigennutz dieses Bestreben angestachelt haben, sind meines Erachtens einfach nur erbärmlich. Dass Trump, und damit komme ich zur Hauptperson dieses Beitrags zurück, sich mit dem britischen Brexit-Agitator, Boris Johnson, so gut versteht, passt ins Bild. Ja, der große Kaputtmacher im Weißen Haus hat den Brexit bereits mehrfach gelobt. Meine Güte, und die Welt muss solche Typen erdulden, muss zusehen, wie die Trumps und Johnsons die historischen Errungenschaften einfach zertreten.

Es gibt da noch etwas, was mich maßlos ärgert: die schwammige, sanft-moderierende Art deutscher Politiker, mit dem Ungetüm im Weißen Haus umgehen. Der Mensch kapiert nicht die diplomatischen Regeln, sondern braucht klare Kante. Wenn Trump von seiner Mauer an der Grenze zu Mexiko schwärmt, warum lädt ihn die deutsche Politik nicht öffentlich zu einem Besuch nach Berlin ein, wo er sich die Reste der Mauer anschauen kann, quasi als Planungshilfe für seine Mauer?

Oder wenn er lästert, dass zu viele deutsche Autos die amerikanische Landschaft verunstalten, warum gestehen wir nicht demütig, dass wir gerne amerikanische Autos kaufen würden – wenn die nur besser wären? Oder dass wir gerne mehr amerikanische Agrarprodukte kaufen würden, wenn jenseits des Atlantiks nicht ständig mit schmutzigen Gen-Pfoten darin herumgerührt würde.

Oder wenn er Macron wegen dessen Digitalsteuer anmotzt, warum sagen wir dem Trampeltier nicht ins Gesicht, dass Europa gerne auf die mickrigen 1 % Digitalsteuer verzichten könnte, wenn die amerikanischen IT-Giganten ihre Gewinne auch nur halbwegs sauber versteuern würden?

Oder wenn er die deutschen Politiker wegen der Erdgas-Pipeline nach Russland anmacht, warum sagen wir ihm nicht klipp und klar, dass die Russen gegenüber Deutschland noch nie vertragsbrüchig geworden sind, wenn es um Energielieferungen geht, und dass etwaige Gaslieferungen aus den USA nicht in Frage kommen, wenn der Präsident Verträge nach Belieben bricht? Und Staaten, die nicht ebenfalls brechen, erpresst?

Und so bleibt nur das bange Warten auf den Augenblick, wo die Welt erst mal wieder aufatmen kann.

 

Entschleunigung

Ein längerer Artikel in der Wochenendausgabe unserer Zeitung: Es wurde ein universeller Mensch vorgestellt, Arzt, Naturliebhaber und Künster. Es war ein Artikel, den ich normalerweise nicht beachtet hätte, aber da war ein Bild, das ich einfach nicht einordnen konnte. Auf dem Rasen standen einige Rohre, die an verschiedenen Stellen rechtwinklig abgebogen und ineinander verflochten waren, ohne dass sie sich gegenseitig berührten. Was sollte das? Offensichtlich handelte es sich um ein Kunstwerk, aber da ich mit Kunst nicht allzuviel am Hut habe, sagte mir die Plastik nichts. [1]

Bis ich im Text den Titel für das Gebilde fand: „Entschleunigung“, und da machte es ganz plötzlich „klick“ bei mir. Entschleunigung als Umweg, als Knick, als Richtungsänderung, als Abweichen vom heute allzu verbreiteten Straightforward. Die verwinkelten Wege des Lebens nicht als Zeitverschwendung sehen, sondern als Chance zur Besinnung, zur Überprüfung, zur Erholung, zur Korrektur, zur Neugliederung.

Gerade heute, wo allgemein nur „Tempo, Tempo, Tempo!“ geschrieen wird, wo Digitalisierung eine immer höhere Schlagzahl bewirkt, da ist Entschleunigung wichtiger denn je. Man braucht die Dinge nicht alle aufzuzählen, die mangels Reflexion und kritischem Abstand total falsch gelaufen sind, weil sie mangels Stopp-Phasen eine unbremsbare Eigendynamik entwickelt haben. Jeder kennt die Fehlentwicklungen inzwischen, aber keiner ist bereit, einfach mal eine Pause einzulegen, sich mal umzuschauen und neu zu orientieren. Straightforward!

Dabei haben wir in der Natur ein eindringliches Beispiel, das uns zeigt, wie wichtig die Umwege sind. Jahrzehntelang haben wir den Flüssen ein Straightforward aufgezwungen, sie gnadenlos begradigt. Dadurch wird nicht nur das Leben in den Flüssen agewürgt, sondern die Flüsse schlagen in Störfällen wie bei Hochwasser zurück. Die Natur verträgt einfach nicht den direkten, kürzesten Weg. Auch wir Menschen sind Bestandteil der Natur, Digitalisierung hin, Digitalisierung her.

Selbst die technisch-wirtschaftlichen Prozesse brauchen Entschleunigung. Teilweise gibt es Zwangspausen, z.B. wenn nach einer Wachstumsphase eine rezessive Phase folgt. Eine Rezession ist kein Weltuntergang, sie ist vielmehr ein ganz natürliches Korrektiv in einem komplexen, exponentiellen Prozess. Das Problem ist ja auch nicht die Rezession an sich, sondern die Unfähgigkeit der auf Tempo getrimmten Menschen, vernünftig damit umzugehen. „Stillstand bedeutet Rückschritt“ äußerte mal ein Manager eines gößeren Konzerns. Typische Haltung eines erfolgsorientierten Managements, und doch so kurzsichtig – und grundfalsch.

[1] Ich hätte gerne das Bild von der Rohrplastik hier vorgestellt, aber zum einen ist die Veröffentlichung von Fotos, die andere aufgenommen haben, grundsätzlich nicht erlaubt; zum anderen befindet sich die Zeitung bereits im Papiercontainer.

Was habe ich eigentlich gegen Smartphones?

Wenn meine persönliche Meinung eklatant von der Mehrheitsmeinung abweicht, dann fühle ich mich irgendwie verpflichtet, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, worauf meine Meinungsbildung beruht und ob die von mir angelegten Kriterien eine krasse Außenseitermeinung rechtfertigen können. Beim Smartphone handelt es sich um einen solchen Fall. Ich mag das Teil nicht, es stößt mich ab. Aber was steckt dahinter, ist es nur subjektive Ablehnung?

An und für sich können die Dinger ja eine ganze Menge, und das zum Teil ausgezeichnet. Und dennoch kann mich die menschliche Leistung an der Entwicklung dieser Geräte nicht beeindrucken, denn das meiste (und komplizierteste) erledigen Computer. Nein, die Erfindung des Rades oder die Berechnung eines Mikroskops oder die Entwicklung des Webstuhls, das waren menschliche Leistungen ganz anderen Kalibers, wobei die Produkte, die mit Computerunterstützung entstehen, um Himmels willen nicht abgewertet werden sollen. Aber bewundern muss man sie ja nicht gerade.

Wie gesagt, mit den Smartphones kann ich beim gesten Willen nicht warm werden. Das hat nichts mit einer grundsätzlichen Ablehnung von IT-Technik zu tun. Im Gegenteil: Ich liebe meine PCs, programmiere begeistert (meistens C++) und finde insbesondere die Digitaltechnik mit ihren klaren, logischen Strukturen äußerst interessant. Also, was habe ich gegen Smartphones?

Ist es die miserable Ergonomie, die mich abstößt? Keine Frage, die meisten Smartphones sind eine ergonomische Zumutung: viel zu breit, viel zu flach, viel zu glatt an den Rändern. Aber damit kann man sich noch arrangieren, man kann ja die Handhabung üben. Bloß muss man das Teil dazu benutzen, und damit hapert es bei mir. Dennoch: eine Macke, nicht mehr.

Oder ist es der Touchscreen, mit dem ich mich nicht anfreunden kann? Zugegeben, dieses Herumfummeln auf einer Hochglanzscheibe, diese matschige, analoge Eingabetechnik bei einem Digitalgerät, das ist zweifellos etwas für weiche Fummelgemüter, wozu ich nicht gehöre. Wie schon gesagt, ich liebe die klaren, eindeutigen Verhältnisse der Digitaltechnik, die mit einem Touchscreen einfach nicht realisierbar sind. Unangenehm, aber nicht schlimm. Eine weitere Macke.

Oder ist es das total unlogische Betriebssystem Android? Ist es die von Google intensiv betriebene Hinwendung zu semantischen Bedienungsstrukturen, damit auch Leute angelockt werden, die – sagen wir mal – lieber drauflostippen oder probieren anstatt zu denken? Na gut, noch ‚ne Macke. Man kann ja das Denken ausschalten. Und irgendwann kann man’s mangels Übung nicht mehr einschalten.

Oder ist es der viel zu kleine Bildschirm, in den man zwar einiges hineinpressen kann, der aber einen wichtigen Aspekt nicht ermöglicht, nämlich Übersicht? Ist es die Tatsache, dass man auf einem Smartphone quasi immer durch enge Kanäle geschleust wird und auf Dauer den typischen, verengten Blickwinkel bekommt? Na ja, auch das kann mal noch als Macke durchgehen lassen, wenn auch so gerade.

Mal ehrlich, welches Produkt hat eigentlich keine Macken? Sicher, das Smartphone hat unangenehm viele davon, aber letztlich ist man auf das Teil ja nicht angewiesen. Solange es noch bessere Alternativen gibt, kann man von Fall zu Fall ja darauf zurückgreifen. Ach, wie liebe ich meine „richtige“ Kamera, auch wenn sie zehn mal so schwer ist wie ein Smartphone und in keine Jackentasche passt. Schlimm wird es allerdings, wenn irgendwann solche Alternativen fehlen sollten. Das darf nie geschehen, und ich möchte nie gezwungen sein, das Smartphone zu benutzen.

Also, die Macken des smarten Gerätes reichen nicht aus, um meine Ablehnung stichhaltig zu erklären. Es gibt da noch etwas anderes, etwas Schwerwiegenderes. Da sind zum Beispiel einige Beobachtungen: Ich bummle durch die Stadt und stelle fest, dass ein großer Teil der Jugendlichen ein Smartphone in der Hand vor sich herträgt.  Ihr Blick verrät eine gewisse Abwesenheit; sie scheinen nur halb in der Welt zu sein. Oder auf dem Rand des Springbrunnens sitzt eine Gruppe von Jugendlichen, offensichtlich befreundet. Nur – sie reden kaum miteinander, sondern fummeln auf ihren Smartphones herum. Es gibt noch viele weitere Beobachtungen, die ähnlich gelagert sind. Da stimmt doch etwas nicht. Vor unseren Augen geschieht etwas, was wir gar nicht zulassen sollten. Da wuchert eine parallele Kommunikationswelt, die mehr und mehr die echte Kommunikation und damit das Gemeinschaftsleben abwürgt. Die negativen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander sind bereits überdeutlich zu spüren. Es fehlt nur noch der Mut, die Verbindungen zwischen den Wertverlusterscheinungen bzw. Verrohungstendenzen und der wachsenden Mobil-Digitalisierung herzustellen (abgesehen von einigen Veröffentlichungen, deren Autoren bemerkenswerterweise direkt aus der Digitalszene kommen).

Einige Leute argumentieren, dass das Smartphone ein tolles Werkzeug ist, wenn es gilt, die Abläufe in der Welt zu optimieren. Richtig, das Smartphone hat das Zeug, ein solches Werkzeug zu sein, aber die Entwicklung hat es in eine ganz andere Rolle gedrängt. Die meisten Menschen, die mit dem Ding in der Hand durch die Welt irren, benutzen es nicht wirklich, sondern werden benutzt. Sie werden von dem Ding quasi Gassi geführt. Genauer genommen, von den Profiteuren in der IT-Wirtschaft. Der Mensch mit dem Phone in der Hand ist nur selten eine souverän entscheidende und handelnde Person, sondern ein von Daten gelenktes Zahnrad in einem großen Getriebe, in welchem der Einzelne seine Funktion gar nicht mehr einordnen kann. Das ist beängstigend, keine harmlose Macke mehr.

Ein anderer Aspekt: das App-System. Die Welt versinkt inzwischen in einem Dschungel der verschiedensten Apps. Wo in der Gesellschaft wir uns auch bewegen, überall fliegen uns Apps um die Ohren. MIt Apps kann man sich informieren, kann man bezahlen (egal was), kann man Menschen mobben und loben, kann man die Welt mit Nichtigkeiten zumüllen usw. usw. Dabei ist eine „App“ (Wortschöpfung von „Apple“ für „Application“) zunächst mal nichts anderes als ein Programm. Und doch gibt es einen Riesenunterschied zum herkömmlichen Computerprogramm. Ein Computerprogramm installiert der Benutzer selber, und dieser ist zuständig für das einwandfreie Funktionieren. Apps dagegem werden nicht vom Benutzer installiert, sondern grundsätzlich von einem Server bei Google oder Apple ferninstalliert. Der Benutzer bestellt sie nur, und er hat auch keinen Einfluss auf die Funktion oder eventuelle sinnvolle (oder sinnlose) Updates. Alles erfolgt automatisch.

Vordergründig bietet das App-System einige Vorteile, die auch zur Begründung publiziert werden: Die Apps sind einfach zu installieren, und Apple oder Google können problemlos Updates vornehmen, Bugs beseitigen usw., und das alles, ohne dass der Benutzer es merkt oder verhindern kann. Der Benutzer dankt es, indem er sich völlig kritiklos dem App-System anvertraut. Aber das App-System hat noch eine andere Seite, die zwar allgemein bekannt ist, der man aber aus Bequemlichkeitsgründen keine Beachtung schenkt. Über die Apps sind die Smartphones ständig mit dem zentralen Server verbunden. Nichts, was auf dem Smartphone erledigt wird, bleibt in dem Gerät, sondern alles wird als Datenstream zu Apple oder Google oder Facebook hinübergeschaufelt. Viele Funktionen, die scheinbar auf dem Smartphone aktiv sind, laufen in Wirklichkeit auf dem Zentralserver ab. Man denke nur an die Sprachauswertung oder Gesichtserkennung. Im Grunde ist es so, dass die Besitzer eines Smartphones ihr Gerät nicht wirklich besitzen, weil sie nur das damit machen können, was Big Brother im Hintergrund ihnen aktuell zugesteht. Schlimm, keine vernachlässigbare Macke mehr. Und natürlich Kalkül der IT-Firmen.

Und damit zum vielleicht wichtigsten Kritikpunkt, zum Datenmissbrauch. Niemand wird bestreiten, dass die Vernetzung der Welt, auf der die technischen Fortschritte aufbauen, einen enormen Datenaustausch voraussetzt. Solange es um technisch-sachliche Daten handelt, ist das ja auch in Ordnung. Nur wenn es um persönliche oder personalisierbare Daten handelt, liegt eine ganz andere Situation vor. Persönliche digitale Daten und ihre Analyse bedeuten Wissen. Wissen über Menschen, ihr Verhalten, ihren Charakter, ihren Standort, ihre sozialen Beziehungen, ihre Schwächen usw. usw. Bis zu einem gewissen Grade und vor allem für einen begrenzten, betroffenen Personenkreis ist solches Wissen unerlässlich. Man muss ja miteinander umgehen können. Doch durch die digitale Vernetzung werden alle erlaubten und mit den Grundrechten noch zu vereinbaren Grenzen überschritten, so dass hier eine strikte Beschränkung unerlässlich ist – sofern wir nicht bereit sind, die in Jahrhunderten Stück für Stück erworbenen und etablierten Menschenrechte aufzugeben. Erst durch das Smartphone ist die Datensammelei zu dem derzeitigen, skandalösen Ausmaß angewachsen. Keine Macke dieses Gerätes, sondern Fehlentwicklung mit gewaltigem Zerstörungspotenzial.

Als Beispiel weise ich auf die scheinbar harmlose, personalisierte Werbung hin. Nur scheinbar harmlos deshalb, weil die Benutzer sie kaum wahrnehmen und wenn doch, dann oft als angenehm empfinden. In Wirklichkeit ist das tückische Manipulation und Untergrabung der Informationsfreiheit. Ich hoffe, dass ich das hier nicht erläutern muss, denn es ist offensichtlich. Personalisierte Werbung, basierend auf einer Datenflut, die größtenteils von Smartphones geliefert wird, trägt in erheblichem Maße zur Zersetzung der demokratischen Gesellschaft bei. Das Widerlichste dabei: Mit solchen mafiösen Geschäftsmodellen verdienen Konzerne wie Facebook jährlich Milliarden, mehr als andere, seriöse Konzerne.

Schließlich noch ein Aspekt, der irgenwo zwischen Macke und schlimmer Folgeerscheinung angesiedelt ist. Die Smartphones haben sich äußerst negativ auf die Gestaltung von Internetseiten ausgewirkt. Schuld ist eindeutig Google, jener Verein, der neben Facebook wie keine anderer von der explosiven Verbreitung der mobilen Geräte profitiert. Und Google hat hinreichend Macht, um gewünschte Tendenzen so durchzusetzen, dass sie allgemein anerkannt werden – quasi wie Vorschriften. „Mobile first“, heißt so eine Devise, die nichts anderes besagt, als dass alle Internetinhalte auf alllen Endgeräten mit gleicher Qualität dargestellt werden. Und da das schwächste Gerät wegen des winzigen Bildschirms und dem Fehlen eine Cursors nun mal das Smartphone ist, haben sich die anderen anzupassen. Nivellierung auf niedrigstem Niveau, mit Mitteln des Responsive Designs. Folge: Noch nie in der Geschichte des Internets war die Masse der Internetseiten so schwach, so ideenlos, so nach Schema F programmiert wie in den letzten Jahren. Bleibt nicht aus, wenn ein Zwerg wie das Smartphone den Takt vorgibt und Augenhöhe verlangt.

Nun ja, und wenn solche Zwerge gleich in gigantischen Massen auftreten …

Die neuen Menschen

„Wir müssen uns gezielt GENTECHNISCH verändern, wenn wir weiter existieren wollen“

So die Überschrift eines Artikels in unserer Tageszeitung (IVZ), veröffentlicht mit „freundlicher Unterstützung von DIE WELT“. Es handelt sich dabei um ein Interview des Forschers und Buchautors Jamie Metzl, der beim Atlantic Council in Washington D.C. arbeitet. Die Thesen, die Metzl vertritt, sind ganz schön aufwühlend, und ich kann sie auch nicht widerspruchslos hinnehmen. Doch bevor ich dazu Stellung nehme, eine Auflistung der wichtigsten Thesen:

  1. Die künftigen Eltern besprechen mit dem Arzt die Ergebnisse des genetischen Screenings der Eizellen, Spermien und Embryos und entscheiden, welche aussortiert, welche genchirurgisch bearbeitet und welche eingepflanzt werden sollen.
  2. Die Reproduktion durch Sex wird in naher Zukunft als unnötiges Risiko gesehen. Bei künstlicher Befruchtung im Labor besteht die Chance, durch Selektion und gezielte genchirurgische Eingriffe schwere Krankheiten auszuschließen.
  3. Die Gesundheitsversorgung wird sich verändern, und zwar tiefgreifend. An die Stelle der derzeitigen generalisierten Medizin wird ein System der personalisierten Medizin treten.
  4. Die Bevölkerung ist zur Zeit noch nicht hinreichend auf die genetische Revolution vorbereitet. So gibt es in den USA die hinderliche Debatte um Abtreibungen, und in Europa „schnappt ein irrationaler Reflex bei der Debatte um gentechnisch veränderte Lebensmittel“.
  5. Bei der Anwendung der Gentechnologien muss sehr behutsam vorgegangen werden, insbesondere bei Umgang mit der Gen-Schere und den damit verbundenen Gefahren der Off-Target-Effekte, bei denen es zu unbeabsichtigten und potenziell gefähhrlichen Mutationen kommen kann.
  6. Die zukünftigen Menschen müssen als interstellare Spezies gesehen werden, und damit sie außerhalb unseres Planeten lebensfähig werden, ist eine gentechnische Veränderung unerlässlich.

Die wohl schwerwiegendste Aussage betrifft die Evolution des Menschen, in die die „gentechnische Revolution“ ja erheblich eingreift:

7. Über Milliarden Jahre hinweg hat sich das Leben auf der Erde durch zufällige Mutation und natürliche Selektion entwickelt. Aber jetzt übernehmen die Menschen zum ersten Mal die Kontrolle über die Hebel der Biologie und ihr eigenes Design.

Soweit die wichtigsten Thesen und Forderungen von Jamie Metzl. Was für viele Vertreter der modernen Wissenschaft inzwischen normales Denken ist, löst bei Menschen, die neben dem wissenschaftlichen Fortschritt noch andere Kriterien und Ziele im Blick haben, Befremden und Ablehnung aus. Ach bei mir. Die Beobachtung, dass viele Forscher sich nur noch an einem pragmatischen Fortschrittsgedanken orientieren, ist meines Erachtens bestürzend. Müssen wir wirklich so weit gehen, um das Überleben zu sichern? Und was ist das dann für ein Überleben – also Leben? Ist das noch Leben, wenn es nur um biologisches Funktionieren geht?

Tatsächlich schimmert hier die Arroganz moderner Wissenschaftler durch, die meinen, alles zu wissen und somit alles steuern zu können. Die Menschen sollen die Kontrolle über ihr eigenes Design übernehmen – welch eine Anmaßung! Wie in der modernen Digitalwelt, in der mittels künstlicher Intelligenz neue Wesen geschaffen werden sollen, ist auch der Traum von der Schaffung einer neuen Menschenrasse mit gentechnischen Mitteln Zeichen dieser Arroganz. Alles wissen – alles können. Selbst eine Entwicklung von Milliarden Jahren glauben viele Wissenschaftler einfach so umgestalten zu können, innerhalb weniger Jahre, nur weil das Wissen explodiert.

Doch selbst ein extrem aufgeschlossener Wissenschaftler wie Jamie Metzl treibt nicht nur an, sondern mahnt gleichzeitig zur Besonnenheit. Er ahnt durchaus die Gefahren, die in der Gentechnik stecken. Keine Frage, es kann zu ungewollten Mutationen kommen, die erst dann erkannt werden, wenn die Vererbung schon so weit fortgeschritten ist, dass es kaum noch einen Weg zurück gibt. Insofern sind die Bedenken kein „irrationaler Reflex“, wie Metzl es bezeichnet, sondern Ausdruck berechtigter Sorgen.

Dennoch sind derartige Gefahren eher technischer Natur und berühren nicht die ethische Kernfrage, die dahinter steht. Wer Menschen nach seinen Wünschen und Vorstellungen (designen) gestalten darf – wohlgemerkt nicht durch Erziehung, sondern bereits bei der künstlichen Zeugung -, der erhält gleichzeitig das Recht, sein Produkt, wenn es misslingt, zu zerstören. Herrschaft über Leben und Tod, das gehört in diesem Fall zusammen. Die Selektion unerwünschter Produkte wird dann nicht nur im embryonalen Zustand durch Abtreibung vorgenommen werden. Wenn die gentechnische Gestaltung des Menschen Normalität werden sollte, dann wird bald ein einklagbares Recht auf gelungene Produkte gefordert werden, mit dem gleichzeitigen Recht auf Schadensersatz im Falle des Misslingens und der Einklagbarkeit der Unkosten für die Entsorgung.

Doch selbst wenn wir die ethische Frage beiseite schieben und die Thematik ganz pragmatisch anfassen, dann ergeben sich kuriose Widersprüche. Die moderne Wissenschaft hat längst die Leistungsfähigkeit evolutionärer Vorgänge und Strukturen erkannt und kopiert sie, zum Beispiel in Form der „künstlichen Intelligenz“. Auch hier geht es um zufällige Einflüsse und die Optimierung von Vorgängen und Ergebnissen auf Grund von sehr vielen auswertbaren Ereignissen. Metzl will genau das Gegenteil, nämlich die unmittelbaren, gezielten Eingriffe, und das in Bereichen, die im Grunde für die Menschen noch völlig undurchschaubar sind – und wahrscheinlich immer nur zu einem gewissen Grade durchschaubar werden können. Wir haben gute Gründe, an dem Erfolg zu zweifeln.

Aber vielleicht gibt es in zwanzig Millionen Jahren ja eine andere Primatenart, die über das Aussterben der menschlichen Rasse nachdenkt (wie wir über das Sterben der Dinos) und in den Knochenfunden einen irreversiblen, vererblichen Gendefekt feststellt. Das dieser Defekt von den Menschen in ihrem Fortschrittswahn künstlich erzeugt wurde, bleibt womöglich ein Geheimnis. Vielleicht gibt es bei den Nachmenschen dann einige Forscher, die sowas vermuten und sich wissenschaftlich an den Spuren der Menschheit austoben.

 

Instrumentalisierung

Nachdem im Frankfurter Bahnhof das furchtbare Verbrechen geschah, da war bereits abzusehen, dass es instrumentalisiert werden würde. Und da der Täter ursprünglich in Eritrea zu Hause war, konnte man die Reaktion der AfD schon veraussehen – obwohl die Tat nichts mit der Tatsache zu tun hatte, dass der Täter einen Migrationshintergrund hat. Aber in solchen Fällen ist die AfD sofort zur Stelle, um die Tat für ihre fragwürdigen Ziele zu instrumentalisieren. Dass die AfD in diesem Fall schon zu ihrem gewohnten Argumentationsschema griff, bevor man überhaupt Näheres über den Täter wusste (außer der dunklen Hautfarbe), ist gleichermaßen widerlich wie peinlich. Doch die Peinlichkeit berührt viele Vertreter der AfD nicht; sie sind zu sehr in ihrem dumpfen Nationalismus gefangen.

Gelegenheit, mal etwas über Instrumentalisierung nachzudenken. Wenn zum Beispiel die Grünen eine Umwelt- oder Wetterkatastrophe zum Anlass nehmen, den Klimawandel anzumahnen, ist das mit Sicherheit keine Instrumentalisierung, denn das Ereignis steht in einem unmittelbaren, kausalen Zusammenhang zu den Zielen der Partei. Instrumentalismus liegt nur vor, wenn sachfremde Bezüge oder Argumente eine Rolle spielen.

Man kann es auch so formulieren: Bei einer Instrumentalisierung ist es oft so, dass man sich über ein schlimmes Ereignis freut, weil es sich für eigene Zwecke einspannen lässt. Natürlich zeigt man die Freude nicht, sondern heuchelt Entsetzen. Aber aus der Wortwahl und der Körpersprache derjenigen, die instrumentalisieren, lässt sich leicht herauslesen, wie sie wirklich zu dem Ereignis stehen.

Im übrigen hat es im Zusammenhang mit dem Frankfurter Bahnsteigmord einen weiteren Fall von Instrumentalisierung gegeben. So nahm Horst Seehofer die Tat zum Anlass, eine Grenze zur Schweiz errichten zu wollen. Der farbige Mörder ist ja Schweizer Bürger. Diesen Zusammenhang zu konstruieren, ist einfach nur erbärmlich. Aber hat nicht auch die CSU eine gewisse Tradition, was Instrumentalisierung betrifft? Ist nicht das Argument, man müsse die Ausländer um der Gerechtigkeit willen an den Straßenkosten in Deutschland beteiligen, ist nicht überhaupt die PKW-Maut für Ausländer eine Instrumentalisierung? Geht es nicht in Wirklichkeit um Argumente, die Grenze zu Österreich dicht zu machen und vor allem um die Absicht, mit der Maut ein lückenloses Überwachungssystem im Straßennetz aufzubauen?

Sicherheitsdebatte

Nachdem im Frankfurter Bahnhof das furchtbare Verbrechen geschah, da war schon abzusehen, dass mal wieder der Zeitpunkt für eine Sicherheitsdebatte erreicht war. Wie immer bei solchen schlimmen Ereignissen konnte man schon verlässlich vorhersagen, dass spätestens am Tag darauf die Medien das Sicherheitsproblem aufgreifen werden. Je schlimmer das Verbrechen, je ohnmächtiger die Gesellschaft gegenüber solchen Taten, desto stärker ist die Neigung, die Schuld bei Behörden oder Sicherheitsorganen zu suchen. Man braucht halt einen Schuldigen, der greifbar ist.

Prompt wurde im Frankfurter Fall diskutiert, ob man die Bahnsteige nicht durch Schranken schützen solle, Schranken, die erst nach Stillstand eines Zuges geöffnet werden. Unser oberster Sicherheitspolitiker, Horst Seehofer, zeigte sich für solche Lösungen aufgeschlossen: Wenn es um die Sicherheit gehe, dürften die Kosten keine Rolle spielen.

In der Tat, solche Barrieren an allen Bahnsteigen sind wohl die Lösung. Sie müssen natürlich hoch genug sein, damit perverse Verbrecher keine kleinen Kinder rüberschmeißen können. Also die Luxusversion mit Rüberschmeißsperre. In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass es 2016 in Hannover mal einen Fall gegeben hat, wo ein Jugendlicher eine ältere Frau auf die Straße gestoßen hat, direkt vor einen Bus. Und einige Wochen später gab es einen ähnlichen Fall in Mannheim. Wie Seehofer schon erwähnte, wenn es um die Sicherheit geht … Warum bringen wir nicht an allen Straßen Sicherheitsbarrien mit Rüberschmeißsperre an? Und an allen Kanälen und Flussufern? Die Gitter an den Straßen können an den Kreuzungen ja Tore haben, die entsprechend der Ampelphasen automatisch geöffnet und geschlossen werden. In Zeiten der Digitalisierung sollte das doch möglich sein, oder?

Jetzt mal Ironie oder Sarkasmus (oder wie ihr es nennen wollt) beiseite: Leute, merkt ihr eigentlich gar nicht, wie dumm und peinlich solche Sicherheitsdebatten sind? Peinlich ist auch die Ernsthaftigkeit, mit der einige Moderatoren im Fernsehen die Sicherheitsfrage aufwarfen. Zum Glück ebbt die Diskussion nach einigen Wochen ab – wie immer. Bis zum nächsten Fall. Vielleicht wirft ein Verrückter einen Backstein aus einem Fenster im 3. Stock, genau in dem Moment, wo ein Passant vorbeigeht. Patsch – mausetot. Was tun? Gitter vor allen Fenstern (außer denen im Erdgeschoss) und natürlich Registrierung der Backsteinbesitzer. Wenn’s um die Sicherheit geht …

Unersättlichkeit

Einstein hat einmal sinngemäß gesagt, unser Planet weine der Menschheit keine Träne nach, wenn sie sich in ihrem Fortschritts- und Technikwahn einmal selbst auslösche. Man kann es auch etwas anders herum formulieren: Wenn die Menschheit ihre Erde unbewohnbar gemacht hat, dann ist niemand mehr da, der dem Planeten eine Träne nachweinen kann.

Kürzlich gab es einen Tag, der den übermäßigen Resssourcenverbrauch zum Thema hatte. Klar, kann nicht schaden, einmal daran zu denken, dass die Menschheit weit über ihre Verhältnisse lebt. Und dann? Wird weitergemacht. Wir können ja nicht unsere Wirtschaft, die unseren Wohlstand schafft, ausbremsen. Wir können ja nicht unsere Mobilität einschränken, zumal sie durch die Digitalisierung immer wichtiger wird und noch kräftig gesteigert werden muss. Usw. Nee, das geht alles nicht, und im übrigen bemühen wir uns ja auch – im Rahmen unserer Möglichkeiten. Und wenn jeder an sich arbeitet …

… dann kommen wir trotzdem keinen entscheidenden Schritt weiter. Dann können wir trotzdem in 40 Jahren eine einigermaßen verlässliche Prognose aufstellen, ob die Menschheit dann noch 100 Jahr schafft oder (wahrscheinlicher) nicht mehr. Die Lösung liegt mit Sicherheit nicht in der Installation von immer mehr Technik, denn das, was wir landläufig als Fortschritt betrachten, ist vielfach ein schnelleres Fortschreiten Richtung Kollaps unseres Planeten. Denken wir nur daran, was beispielsweise der Fortschritt im Verkehrswesen bisher bewirkt hat: hauptsächlich einen explosiven Anstieg des Verkehrsaufkommens mit entsprechender Steigerung des Ressourcenverbrauchs. Oder, anderes Beispiel: Den Fortschritt, den die Kernenergietechnik versprach (man versprach sich verdammt viel davon), erforderte in Wirklichkeit ein Zurückschreiten.

Eine Tatsache, die viel zu wenig beachtet wird, ist, dass jede Energieform mit einem Ressoucenverbrauch verbunden ist. Selbst die hochgelobte Elektromobilität erfordert einen hohen Preis, denn die Herstellung und vor allem Entsorgung der Batterien sind hochproblematisch. Undl die Stromerzeugung? Selbst die Windenergie ist nicht ganz ohne Probleme, denn das Material, aus dem die Flügel hergestellt werden, kann keinem Recycling zugeführt werden. Zwar ist der Müll nicht so kritisch wie etwa Atommüll, und vielleicht findet man ja ein günstigeres Material, aber das Beispiel zeigt, dass bei einem euphorisches Anhimmeln von neuer Technik oft die Nachteile übersehen werden.

Wenn wir uns nicht durchringen können, die Kernprobleme an den Wurzeln zu packen, wird die menschliche Gesellschaft einem totalen Kollaps entgegensteuern. Eine der Wurzeln, vielleicht die dickste, ist die Überbevölkerung. Da gibt es nichts herumzuinterpretieren, die Vermehrung der Population unterliegt exponentiellen Gesetzmäßigkeiten. Und wenn der Faktor größer als 1 ist, also auf Vermehrung steht, dann wird die Bevölkerungszunahme immer schneller erfolgen und am Schluss ganz schnell alle Grenzen sprengen. Zwar geht die Vermehrung in der pflanzlichen oder tierischen Welt ebenfalls exponentiell vonstatten, aber hier gibt es bremsende Einflüsse wie natürliche Feinde, Begrenzung der Lebensräume oder Nahrungsknappheit. Menschen können diese moderierenden Faktoren nicht akzeptieren, sondern setzen im Gegenteil alles dran, um sie so weit wie möglich zu überwinden.

Was also tun? Steuerung der Nachkommengewinnung, etwa nach chinesischem Muster mit Einkind-Ehen oder ähnlichem? Na ja, es hat sich gezeigt, dass derartige Maßnahmen nicht der große Hit sind; damit sind zu viele unerwünschte Nebeneffekte verbunden. Nach meiner Meinung gibt es nur ein wirklich bewährtes Mittel. Wenn wir uns nämlich umschauen, dann wächst die Bevölkerung überall dort am geringsten (oder sie schrumpft sogar), wo freie, demokratische Verhältnisse und allgemeiner Wohlstand herrschen. Es muss also das Anliegen der gesamten Menschheit sein, in allen Ländern für solche Verhältnisse zu sorgen. Aber dass das gelingen kann, ist mehr als zweifelhaft. Schuld darin ist nicht das Fehlen von Ressourcen vor Ort, sondern schlicht und ergreifend die Tatsache, dass in mehr als der Hälfte aller Länder Verbrecher und Dreckschweine regieren, die den Wohlstand in ihren eigenen Taschen anhäufen oder ihre Machtgier genüsslich ausleben. Inzwischen hat eine zivilisierte Form solcher Gangster auch von Nationen Besitz ergriffen (mit Hilfe der Wahlbevölkerung) , die bisher als sicher und fortschrittlich galten.

Krieg? Von Zeit zu Zeit mal den einen oder anderen Staat ganz auslöschen? Na gut, schon der Gedanke daran ist zynisch. Aber wir sollten darüber im klaren sein, dass es Überlebenskriege geben wird, wenn der Planet für die Bevölkerung zu klein wird. Wenn nicht Millionen, sondern Milliarden in die Wohlstandsländer flüchten, dann haben wir Krieg. Vielleicht sollte man vorher aktiv werden und die genannten Verbrecher und Dreckschweine mit Gewalt entmachten. Sicher, das wird dann als Einmischung in die inneren Angelegenheiten bezeichnet werden, aber kann man noch von inneren Angelegenheiten sprechen, wenn Flüchtlingsströme das Land verlassen und anderswo für Probleme sorgen?

Ich habe mich ein wenig an der Überbevölkerung festgebissen; dabei wollte ich noch weitere Belastungsfaktoren für unseren Planeten erörtern. Der Beitrag wird zu lang, deshalb zähle ich nur einige der Ursachen auf:

– Überzogene Mobilität,
– falsche Auffassung von Globalität,
– weltweiter Brutalkapitalismus,
– Materialverschwendung und falsches Material,
– Verklumpung der marktwirtschaftlichen Kräfte,
– Destabilisierung und Wertverfall durch Digitalisierung usw.

Alle haben das Potenzial, die menschliche Gesellschaft bzw. den Planeten kollabieren zu lassen. „Keine Sorge, das werden die Menschen schon richten“, höre ich die beschwichtigenden Einwände. Ich schaue also genauer hin und suche nach Anzeichen, dass die Menschheit sich auf bessere Wege begibt. Ich finde keine.